Hamburg. Mit einem Damoklesschwert über dem Haupt und einer drohenden Gefängnisstrafe bemüht sich die Frau um Schadensbegrenzung.

Sie hat gestohlen, wieder einmal. All die Warnungen, all die letzten und allerletzten Chancen, die man ihr eingeräumt hatte, haben sie nicht auf den Weg der Tugend zurückführen können. Und nun, mit einem Damoklesschwert über dem Haupt und einer drohenden Gefängnisstrafe vor Augen, bemüht sich die Frau um Schadensbegrenzung. Nun zeigt sie sich einsichtig, reumütig und ernsthaft bestrebt, in ihrem Leben etwas ganz gründlich zu ändern: Nie wieder wolle sie einen Diebstahl begehen, beteuert Nora Z. (Name geändert). Und diese letzte Tat, für die sich die 53-Jährige jetzt vor Gericht verantworten muss, sei eigentlich nur mit den besten Absichten geschehen ­– zum Wohle ihrer Tochter. Außerdem hat eine Therapeutin der Angeklagten eine Kleptomanie attestiert, einen zwanghaften Trieb zum Stehlen.

Konnte sie also nicht anders? Flehend blickt die füllige Hamburgerin, eine Frau mit adrettem Kurzhaarschnitt und Piercing an der Oberlippe, zu den Richtern. Auf ihnen ruht all die Hoffnung der Angeklagten, doch noch dem Knast zu entgehen, nachdem sie im Juli 2017 in einer Parfümerie einen edlen Duft im Wert von 100 Euro gestohlen hat. Ein Ladendetektiv hatte Nora Z. damals beobachtet, als sie an dem Testflakon schnupperte, dann die kleine Flasche am Körper verbarg und das Geschäft schließlich verließ, ohne zu bezahlen. Den Diebstahl will die 53-Jährige gar nicht leugnen; schon in einem ersten Prozess vor dem Amtsgericht hatte sie die Tat gestanden. Doch gegen das Urteil, sechs Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung, ging sie in Berufung, die jetzt vor dem Landgericht verhandelt wird.

Gefühl der Hilflosigkeit

„Ich wünsche mir so sehr ein letztes Mal eine Bewährungsstrafe“, bittet Nora Z. mit rauer Stimme. Seit 1987 ist die Frau, die ohne Schuldabschluss und ohne Job ist, immer wieder straffällig geworden. Ihre letzte Verurteilung hatte sie erhalten, weil sie eine gestohlene Kreditkarte missbraucht und eine Unterschrift gefälscht hatte. Auch da stand die Frau schon unter Bewährung. Mittlerweile, betont Nora Z., bemühe sie sich um eine stationäre Therapie in einer Klinik.

In der Parfümerie, erzählt die Angeklagte, sei sie zur Diebin geworden, nachdem ihre Tochter ihr einige Wochen zuvor offenbarte, dass sie vergewaltigt worden sei. „Deshalb wollte ich ihr das Parfüm schenken, weil ich wusste, dass sie diesen Duft besonders gern mag.“ Der Übergriff auf ihre Tochter liege etwa zehn Jahre zurück und habe bei ihr das Gefühl der Hilflosigkeit und Verzweiflung ausgelöst. Damals sei sie, die Mutter, selber wegen eines Diebstahls kurzfristig in Haft gewesen und habe nun Schuldgefühle gehabt, weil sie ihrem Kind aus dem Gefängnis heraus nicht ausreichend zur Seite hatte stehen können. „Ich wollte ihr mit dem Parfüm etwas Gutes tun“, fasst sie zusammen.

„Emotional instabile Persönlichkeit“

„Warum haben Sie ihr nicht einen Kuchen gebacken“, wirft die Staatsanwältin ein. „Wie soll ein Parfüm über eine Vergewaltigung hinweghelfen?“ Das leuchtet der Angeklagten ein: „Das soll es nicht. Und das kann es nicht.“ In einem Schreiben einer Therapeutin, bei der sich Nora Z. seit gut einem Jahr ambulant behandeln lässt, heißt es, dass die Frau unter Spielsucht und auch unter Kleptomanie leide. Die 53-Jährige stehle zwanghaft, „um Anspannung abzubauen“. Die Angeklagte selber sieht vor allem in ihrer Spielsucht das größte Problem: „Der Drang zu spielen ist so stark!“ sagt sie. „Ganz schlimm ist es seit sechs Jahren. Ich gehe immer die Spielhalle. Ich kann nicht anders.“ Deswegen habe sie auch heftigen Stress mit ihrer Familie, die ihre Sucht nicht akzeptieren wolle. „Aber ich spiele so lange, bis mein Geld alle ist.“

Eine Sachverständige, die die Hamburgerin begutachtet hat, spricht von einer „emotional instabilen Persönlichkeit mit Verdacht auf pathologisches Glücksspiel“. Von einer Kleptomanie, dem zwanghaften Trieb zum Stehlen, gehe sie eher nicht aus. Kleptomanie sei unter Fachleuten ohnehin umstritten, so die Expertin. Zwar könnten Diebstähle durchaus Ausdruck einer psychischen Störung sein. Nach ihrer Überzeugung handelt es sich bei der Angeklagten aber „um ein am Bedarf ausgerichtetes Stehlen. Sie kann ihr Verhalten steuern“.

Sechs Monate Freiheitsstrafe

Die Verteidigerin plädiert dafür, die Strafe für ihre Mandantin „ein letztes Mal zur Bewährung auszusetzen“. Nora Z. habe nun mal eine instabile Persönlichkeit. „Sie leidet unter ihren Taten. Und niemandem ist geholfen, wenn sie in den Knast kommt.“ Doch das Gericht folgt der Forderung der Staatsanwaltschaft, die Berufung zu verwerfen: Bewährung könne es nicht mehr geben; die sechs Monate Freiheitsstrafe muss die 53-Jährige verbüßen. Der Vorsitzende verweist auf die mehrfachen, einschlägigen Vorstrafen. „Irgendwann ist mal Schluss.“