Hamburg. 10.000 sind schon weg. 1400 weitere Leihräder stehen nach Insolvenz zum Verkauf. Nicht alle Kunden sind begeistert.

Die Legende lebt. Der massenhafte Abverkauf der derzeit wohl günstigsten, praktisch fabrikneuen Fahrräder aus der Lagerhalle in Barsbüttel geht weiter. Wer zum Run auf die schwere China-Ware eigentlich schon zu spät gekommen war, konnte gestern an der Stemwarder Straße 15 in Barsbüttel in die zweite Runde starten.

In knapp zwei Augustwochen hatten die Verkäufer um Osman Tazik und Harald Ploß schon 10.000 der skurrilen Obikes ausverkauft. Jetzt konnten sie in Frankreich, Tschechien und Polen noch einmal 1400 Exemplare besorgen, die seit gestern in der Halle auf neue Fahrer warten. Und ewig lockt der Preis: 70 Euro sind aufgerufen, immerhin ein Euro mehr als letztes Mal.

Verkehr brach zeitweilig zusammen

Beim ersten Mal standen die Fahrzeuge bis weit auf die Straße, der Verkehr im Gewerbegebiet brach wegen des Ansturms auf die günstige Ware zeitweilig zusammen. Beschwerden trudelten ein und – zusätzliches Personal. Tazik stellte den anfangs zwei Verkäufern weitere acht zur Seite und sorgte für Einweiser auf dem Gelände, die die plötzlich raren Parkplätze verteilten.

„Viele Pensionsbesitzer von Nord- und Ostsee kamen und kauften gleich fünf oder zehn Räder“, sagt Ploß, „Die kann man den Gästen für die Fahrt zum Strand vermieten. Wer 5 Euro am Tag nimmt, hat die Räder in zwei Wochen amortisiert.“

„Nichts für lange Strecken“

Ein Durchsteigerahmen aus Alu, kleine Klapprad-Räder, Korb vor dem Lenker, Trommelbremsen und Vollgummireifen sind eine ebenso seltene wie wartungsfreundliche Kombination. Vollgummi braucht weder Luft noch Flickzeug, die Bremsbelege könnten das Gefährt überleben. Die Klingel sitzt da, wo Optimisten die Gangschaltung vermuten, die es nicht gibt. Wer den rechten Handgriff dreht, hört dezentes Gebimmel, wechselt aber nicht die Übersetzung.

„Nichts für lange Strecken“, befindet das fachkundige Publikum. „Solide“, sagt Ploß dann, „einfach und robust.“ Den Ansturm kann er sich nicht recht erklären. Was nützt der gute Preis, wenn er nicht bekannt wird? An den Medien liegt es also, befindet er. Das Interesse am Zusammenbruch von Obike sei von Anfang an groß gewesen. Nach dem ersten dpa-Bericht habe es eine Riesenwelle gegeben.

Ausverkauf, Konkurs, Insolvenz

Radio, Zeitung und Fernsehen waren da, hätten die Geschichte des verhinderten Stadtrades erzählt und die Schleuderpreise besprochen, zu denen es nun auf den Markt geworfen werde. Ausverkauf, Konkurs, Insolvenz, das seien die Reizworte, die König Kunde lockten. Dann, so Ploß, hätten Qualität und Preis überzeugt. Tazik nickt beflissen. Die gestern gestartete zweite Runde des Abverkaufs läuft deutlich ruhiger, gegen Mittag waren rund 100 Räder verkauft. Der erste Kunde nahm gleich 20.

Jörn Friedrich ist schon das zweite Mal da. „Es geht immer nur ein Rad ins Auto“, sagt er. Er will den Untersatz für den Campingplatz in Witzeeze, wo er seit 30 Jahren einen Platz hat. Jetzt will er da mit dem Rad zum Bäcker fahren. Und seine Frau soll auch eins haben.

Immer cash statt Karte

Cornelia Pundt und Peter Freudenthal sind mit dem VW-Bus unterwegs. Bei ihnen stimmt die Logistik, die beiden Räder, die sie für die schnelle Tour vom Schrebergarten zum Badesee erstehen, passen locker rein. Sie haben lange überlegt, drüber geschlafen und dann die zweite Chance bekommen. Er ist schnell entschieden, sie fährt ausgiebig Probe in der Halle, der kritische Gesichtsausdruck hellt sich nur langsam auf. Dann baumelt die Lampe neben dem Gabelholm. Das Rad fällt durch. Ein zweites wird begutachtet und für fehlerfrei befunden. Es geht zur Kasse. Immer cash statt Karte.

Der Herr im rosafarbenen Polohemd, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will („Bei Facebook bin ich raus“), überlegt. Im Gegensatz zu seinem Elektro-Rad könnte er das China-Teil sogar draußen stehen lassen. Wenn es geklaut werde, sei das ja nicht schlimm. Er greift zum Handy. „Ich muss das mit meiner Frau besprechen.“

Maximal bis Monatsende soll der Verkauf laufen

Ulla Sommer kauft eine Überraschung für ihren Mann. Er soll das China-Rad zur Arbeit fahren. Sein altes Gerät falle auseinander, und für den einen Kilometer reiche das vollgummibereifte Ein-Gang-Fahrrad aus. Sie selbst wolle es nicht. „Ich habe ein richtiges Fahrrad“, befindet sie. Ihr Ford Fiesta kann auch nur ein Rad schlucken.

Maximal bis Monatsende soll der Verkauf laufen. Dann endet der Mietvertrag, und die Räder verschwinden, wenn denn noch welche da sein sollten. „Beim letzten Mal kamen die Leute noch zwei Wochen lang und wollten kaufen. Wir haben ein riesiges Schild aufgestellt mit dem Hinweis, dass alles weg ist.“ Etwaige Reste will Tazik nach Afrika verschiffen und dort anbieten. Ploss hat 200 Räder gekauft, die er an soziale Einrichtungen geben will.