Hamburg. Raubopfer sagt in Mordprozess aus. Angeklagte googelte vor dem Überfall im Altenheim zu Themen wie „Menschen töten aus Spaß“.

Eine gebrechliche alte Frau im Rollstuhl, rosa Blazer, die Haare schlohweiß, die Haltung gekrümmt. Einst war Irene B. 1,70 Meter groß. Jetzt, im hohen Alter, misst die pensionierte Lehrerin nur noch 1,50 Meter. Zwei Fragen stellen sich, gleich als die 93-Jährige am Dienstagmorgen in den Gerichtssaal gefahren wird: Warum sollte sie sterben? Die paar Hundert Euro Beute hätte ihre kräftig gebaute Peinigerin auch ohne Blutvergießen bekommen können.

Und: Wie ist es der zarten, hochbetagten Dame gelungen, die brutale Messerattacke zu überleben? 32-mal soll Miriam M. am 10. März in Tötungsabsicht auf sie eingestochen haben – in ihrer eigenen Wohnung im Poppenbütteler Altenheim „Hospital zum Heiligen Geist“. Seit Freitag steht die 39-Jährige wegen versuchten heimtückischen Raubmordes aus Habgier vor dem Landgericht. Besonders perfide: Zwischen 2013 und 2016 arbeitete Miriam M. als Auszubildende in dem Altenheim am Poppenbütteler Weg.

Geistig ist die alte Dame gut beieinander

Körperlich mag die alte Dame gebrechlich wirken, geistig ist sie noch gut beieinander. Von wenigen Erinnerungslücken abgesehen, gelingt es der Zeugin – sie wird in dieser Woche 94 Jahre alt – ihr Martyrium konsistent und im Detail zu rekonstruieren. Wie am frühen Morgen des 10. März eine freundlich lächelnde Frau, die sich laut Anklage als Pflegerin ausgibt, ihre Wohnung betritt mit den Worten „Ich habe noch etwas vergessen.“ Wie sich plötzlich zwei Hände um ihre Taille legen, als sie ihr den Rücken zudreht. Wie die Frau dann mit einem Messer auf sie einsticht und Geld fordert. „Ich hatte das Gefühl, ich werde überall mit dem Messer bearbeitet“, sagt Irene B. „Sie hat immer wieder zugestochen.“

Die Täterin habe mehrere von ihr genannte Geldverstecke in der Garderobe und im Schlafzimmer inspiziert. „Sie sagte, sie wolle noch mehr Geld, aber ich hatte nichts mehr“, sagt Irene B. Nachdem die Frau mit rund 400 Euro Bargeld, ihrem Handy und ihrer EC-Karte geflüchtet sei, habe sie mit letzter Kraft den Notrufknopf, den sie um den Hals trug, drücken können. „Dann wurde alles schwarz.“

Das Opfer wechselte in die Langzeitpflege

Irene B. hatte unter anderem einen beidseitigen Pneumothorax erlitten, musste rund vier Wochen im UKE behandelt werden. Zwar sei ihr Körper „irgendwie“ mit den Wunden fertig geworden. Doch funktioniere die Blase nicht mehr richtig, und sie schlafe schlecht. An das Gesicht der Täterin kann sich Irene B. nicht erinnern, selbst als ihr die Richterin mehrere Fotos vorlegt – nur noch daran, dass ihre Peinigerin eine „warme Stimme“ hatte. Ständig müsse sie an das Geschehen denken, lange habe sie nicht darüber sprechen können. Gern wäre sie wieder in ihre Wohnung zurückgekehrt, sagt Irene B. Weil ihr aber alltägliche Verrichtungen wie das Kochen schwer fielen und es ihr seit der Tat körperlich schlecht gehe, habe sie in die Langzeitpflege wechseln müssen.

Während Miriam M. selbst (noch) keine Antworten auf Fragen zu ihrem Motiv gibt, offenbart ein vom Gericht am Dienstag verlesenes Auswertungsprotokoll ihres Handys Abgründe in der Gefühls- und Gedankenwelt der Angeklagten, die sich akribisch auf die Tat vorbereitet haben muss. Das belegen auch gestern vorgespielte Aufzeichnungen von Überwachungskameras im und am Altenheim, die Miriam M. zeigen und die letztlich zu ihrer Festnahme fünf Tage später geführt haben sollen.

39-Jähriger hatte Geldsorgen

Nur was war das vorherrschende Motiv? Da waren die Geldsorgen der arbeitslosen 39-Jährigen. Sie schuldete Telefonanbietern und Versandhäusern Geld, eine Anwaltskanzlei hatte kurz vor dem Überfall den Erlass eines Vollstreckungsbescheides beantragt. Um etwas zu verdienen, bot sie Erotik-Massagen für Senioren auf einem Kleinanzeigen-Portal an; im Internet suchte die 39-Jährige, die mit einer anderen Frau liiert war, zudem nach sexuellen Abenteuern.

Dann waren da aber noch unzählige, verstörende Google-Suchanfragen wie „Menschen töten aus Spaß“; „Menschen töten leicht gemacht“; „Alte Leute an der Tür überrumpeln“ oder „Mensch mit Hammer erschlagen“. Mal suchte Miriam M. nach den Serienmördern Charles Manson und Ted Bundy, dann interessierte sich für den Erwerb einer Kalaschnikow oder recherchierte zu morbiden Themen wie „Tötungsdrang nach Trauma“, „Gefühllosigkeit durch Steroide“ oder „Tötungsfantasien bei Borderline“. Nicht zuletzt wollte die Angeklagte Erhellendes über Depressionen und Zwangserkrankungen in Erfahrung bringen. Nach Abendblatt-Informationen leidet sie unter anderem an einer Borderline-Störung. So fragte sie bei Google: „Bin ich ein Psychopath?“

Im Verfahren gegen Miriam M. wird diese Frage nur der psychiatrische Sachverständige beantworten können, der Miriam M. bereits begutachtet hat und am Ende Angaben zu ihrer Schuldfähigkeit machen soll. Ganz besonders aufmerksam wird er am nächsten Prozesstag (27. September) zuhören – dann will sich Miriam M. zu den Vorwürfen einlassen. Ihr droht lebenslange Haft.