Neustadt. Ehemalige Pflegeschülerin stach 32-mal auf eine Heimbewohnerin ein. Hintergründe und Tatablauf sind schockierend.
Vor der Tat galt es, im Internet Antworten zu finden auf drängende Fragen technischer und ethischer Natur. Ist es leicht, einen Menschen zu töten, macht so etwas eigentlich Spaß? Oder auch: Wie lassen sich alte Leute am besten überfallen? Wo verwahren sie ihr Geld?
Monate nach diesen Google-Anfragen betritt eine kräftige Frau mit kurzen, dunklen Haaren den Gerichtssaal. Der Suchverlauf ihres von LKA-Spezialisten ausgewerteten Handys soll am Dienstag im Detail in das Verfahren eingeführt werden. Miriam M. trägt einen blauen Kapuzenpullover, wirkt abgekämpft. Als die Staatsanwältin die Anklage verliest, wischt sie sich kurz eine Träne aus dem Auge. Empfindet die 39-Jährige Mitgefühl für ihr Opfer, bereut sie ihre Tat? Oder schwant ihr, was ihr bevorsteht? Im schlimmsten Fall wäre das eine lebenslange Haftstrafe.
Anklage wegen Mordes aus Habgier
Miriam M. ist wegen versuchten heimtückischen Mordes aus Habgier und wegen schweren Raubes angeklagt. Seit Freitag steht sie für ein Verbrechen vor dem Landgericht, das so brutal und abgefeimt ist, wie man es selten erlebt. 32-mal soll Miriam M. im Poppenbütteler Pflegeheim „Hospital zum Heiligen Geist“ auf eine gebrechliche 93 Jahre alte Bewohnerin eingestochen haben. „Die Angeklagte wollte die Geschädigte töten“, sagt Staatsanwältin Maria Wichmann.
Dass die hochbetagte Dame die Gewaltorgie in zwei Akten überlebte, grenzt an ein Wunder. Die Täterin hatte ihren Dünn- und Dickdarm, ihre Bauchschlagader und ihren Herzbeutel verletzt. Irene B. erlitt unter anderem einen beidseitigen Pneumothorax, schwebte in akuter Lebensgefahr und konnte nur durch notfallmedizinische Maßnahmen im UKE gerettet werden. Besonders perfide: Miriam M. arbeitete einst als angehende Pflegerin in der Seniorenwohnanlage. 2013 hatte die 39-Jährige dort eine Ausbildung begonnen, die Lehre aber drei Jahre später auf eigenen Wunsch abgebrochen.
Die mutmaßliche Täterin nutzte eine List
Am Morgen des 10. März dieses Jahres schleicht sich Miriam M. in das Altenheim am Poppenbütteler Weg. Gegen 8.45 Uhr, so Staatsanwältin Wichmann, klingelt sie. an der Wohnungstür der Rentnerin und probiert es mit einer List: Sie sei Pflegerin und habe etwas vergessen. Irene B., eine pensionierte Lehrerin aus Lemsahl-Mellingstedt, öffnet ihr daraufhin die Tür. Als die Rentnerin ihr den Rücken zudreht und mit ihrem Rollator in Richtung Wohnzimmer läuft, umklammert die 39-Jährige sie von hinten und sticht ihr mit einem Messer mehrmals wuchtig in den Oberkörper. Um keine Spuren zu hinterlassen, hat sich die Täterin blaue Einweghandschuhe übergestreift.
Während sie weiter auf sie einsticht, fragt sie nach Bargeld und Wertgegenständen. Irene B. nennt ihr darauf ein Versteck in der Garderobe – Miriam M. sieht nach, steckt 105 Euro und das Mobiltelefon ihres Opfers ein. Dann kehrt sie zu der schwer verletzten Frau zurück. Abermals sticht sie auf sie ein und zwingt sie, ein weiteres Geldversteck im Schlafzimmer preiszugeben. Dort steckt M. 300 Euro ein.
„In der Annahme, die Geschädigte tödlich verletzt zu haben, flüchtete die Angeklagte aus der Wohnung“, sagt Staatsanwältin Wichmann. Miriam M.’s Beute: insgesamt 405 Euro, ein Handy und die EC-Karte der alten Dame. Mit letzter Kraft drückt Irene B. ihren Notrufknopf, kurz darauf entdeckt eine Pflegerin die 93-Jährige in einer Blutlache – die Pflegerin befindet sich deshalb noch immer in therapeutischer Behandlung. Drei Tage später versucht M., mit der EC-Karte an einem Geldautomaten in Norderstedt 1000 Euro abzuheben. Doch da ist die Karte bereits gesperrt.
Miriam M. bestritt die Tat – trotz erdrückender Beweise
Nachdem die Polizei Bilder einer Überwachungskamera veröffentlicht – sie zeigen die mutmaßliche Täterin mit einem Rucksack auf dem Rücken –, kommt der entscheidende Hinweis aus der Bevölkerung. Fünf Tage nach der Tat nehmen die Ermittler die 39-Jährige in Norderstedt fest – doch gegenüber der Polizei bestreitet Miriam M. die Tat.
Dabei wiegen die Beweise schwer. So fanden die Beamten bei der Durchsuchung ihrer Wohnung Gegenstände aus der Wohnung der 93-Jährigen und Kleidungsstücke, die zu der Frau auf den Überwachungsbildern passen und denen Blut der alten Dame anhaftete. Doch warum traf es ausgerechnet Irene B.? War sie ein Zufallsopfer? Hinweise, dass sich die Ex-Auszubildende und die Bewohnerin des Seniorenwohnheims näher kannten, lägen nicht vor, sagt Gerichtssprecher Kai Wantzen. Auch galt Irene B. nicht als sonderlich vermögend.
Vorerst schweigt Miriam M. zu den Vorwürfen. Seine Mandantin werde sich zur Sache und zur Person einlassen, sagt Miriam M.’s Verteidiger, allerdings benötige man dafür noch mehr Zeit. Die Vorsitzende Richterin Petra Wende-Spors kann ihre Verwunderung darüber nicht verbergen – Zeit stand doch reichlich zur Verfügung. Schließlich sitzt Miriam M. seit sechs Monaten in U-Haft.
Der Prozess geht am Dienstag weiter. Ob Irene B. dann als Zeugin gegen ihre Peinigerin im Gerichtssaal wird aussagen können, steht noch nicht fest. Sie befinde sich in Langzeitpflege und sei allgemein sehr gebrechlich. Derzeit, so heißt es am Freitag, gehe es der 93-Jährigen nicht gut.