Hamburg. Staatsunternehmen der Volksrepublik kauft sich weltweit in Energienetze ein. Senator: „Dann besser selbst kaufen“.

In der Diskussion über den Rückkauf des Fernwärmenetzes hat Umweltsenator Jens Kerstan jetzt ein neues Argument für die schnelle Übernahme durch die Stadt ins Feld geführt. Demnach sieht der Grünen-Politiker die Gefahr, dass sich chinesische Staatsunternehmen auch in Hamburg in Energienetze einkaufen könnten. Dabei verweist Kerstan auf die jüngsten Versuche der State Grid Corporation of China (SGCC), sich in Deutschland und weltweit in strategisch wichtige Stromnetze einzukaufen.

Bereits gelungene Beteiligungen

„Erst vor wenigen Wochen hat die Bundesregierung den Versuch von SGCC abgewehrt, beim Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz einzusteigen, von dem die Stromversorgung Hamburgs abhängt“, sagte Kerstan dem Abendblatt. „In Italien und Portugal sind SGCC solche Beteiligungen bereits gelungen.“ Der Bund habe über die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) „sehr viel Geld auf den Tisch legen müssen, um sein Vorkaufsrecht ausüben zu können“, sagte Kerstan. „Die Müllverbrennung Stapelfeld, die in Hamburg 25.000 Haushalte mit Wärme versorgt, gehört bereits einer chinesischen Holding. Darum wären Angebote von Investoren mit völlig unklarem Interesse auch für die Hamburger Fernwärme ein nicht unrealistisches Risiko, wenn das Unternehmen unter Vattenfalls Führung bliebe.“

Bis Ende November muss die Stadt sich entscheiden

Hintergrund der Warnung ist die anstehende Entscheidung über den Rückkauf des Fernwärmenetzes von Vattenfall. Bis 30. November hat der Senat die Option, das gesamte Netz vom schwedischen Energiekonzern Vattenfall zurückzukaufen – und damit den Volksentscheid zum Rückkauf der Energienetze von 2013 auch im letzten Punkt umzusetzen. Damals entschieden sich die Hamburger mit knapper Mehrheit für den Rückkauf von Strom,- Gas- und Fernwärmenetz. Strom- und Gasnetz sind bereits wieder in städtischer Hand. Für die Fernwärme hatte der damalige SPD-Alleinsenat Anfang 2014 die Rückkaufoption zum Jahresbeginn 2019 mit Vattenfall ausgehandelt.

Der Haken an der Sache: Der SPD-Senat garantierte Vattenfall bei der Vertragsschließung 2014 für das gesamte Netz einen Mindestpreis von 950 Millionen Euro. Da die Stadt 25,1 Prozent bereits im Jahr 2012 für 325 Millionen Euro erworben hatte, müsste sie also jetzt noch 625 Millionen Euro für die fehlenden 74,9 Prozent überweisen. Allerdings sind die Fernwärmeleitungen und -anlagen nach einem Gutachten aus dem Frühjahr 2018 den Mindestpreis von 950 längst nicht mehr wert, sondern nur noch 645 Millionen Euro. Die Stadt müsste also weit überteuert kaufen – wenn man ausschließlich den Anlagenwert betrachtet.

Neue Gutachten

Umweltsenator Kerstan versucht derzeit durch neue Gutachten zu belegen, dass der Kauf dennoch sinnvoll wäre – zumal es Synergieeffekte beim gemeinsamen Betrieb mit Strom-, Gas- oder Wassernetz geben könnte und der Klimaschutz eben auch seinen Preis habe. CDU und FDP werfen Kerstan dagegen vor, ein Anschluss des Kohlekraftwerks Moorburg sei günstiger und in der Summe auch für den Klimaschutz besser als der Bau neuer Anlagen, wie Kerstan sie plant. Denn in Moorburg falle ein Teil der Wärme durch die Stromproduktion ohnedies an. Vattenfall selbst allerdings hatte sich kürzlich von der Forderung verabschiedet, Moorburg an die Fernwärme anzuschließen – und möchte stattdessen lieber mit der Stadt ein modernes Gaskraftwerk auf der Dradenau bauen.

Vorkaufsrecht gesichert

In diesem Kontext soll die Warnung von den Chinesen nun wohl ein neues Argument für den Rückkauf sein. Denn, so heißt es aus der Umweltbehörde, wenn man auf den Kauf verzichte, könne es passieren, dass Vattenfalls demnächst seine Anteile an SGCC verkaufe. Das könne Hamburg dann nur verhindern, in dem es sich auf den Vertrag von 2012 berufe, mit dem sich der Senat von Olaf Scholz 25,1 Prozent der Fernwärme erwarb. Darin hat sich die Stadt ein Vorkaufsrecht für den Fall gesichert, dass Vattenfall seine Anteile an Dritte veräußern wolle. Allerdings müsste Hamburg dann den Preis zahlen, den der externe Kaufinteressent, also etwa SGCC, bietet. Dieser könne angesichts chinesischer Einkaufstouren aber weit höher liegen als der Mindestpreis, den Hamburg jetzt zahlen müsste. Mithin, so das Kerstan-Argument: Wenn der Senat jetzt nicht kauft, muss er womöglich bald ein Vielfaches bezahlen, um zu verhindern, dass die Chinesen die Kontrolle über Hamburgs Fernwärme übernehmen.

Energienetze seien „strategische Infrastrukturen, von denen unser Gemeinwesen existenziell abhängig ist“, sagt Jens Kerstan. „Sie gehören gerade in politisch und weltwirtschaftlich stürmischen Zeiten am besten in öffentliche Hand.“