Hamburg. Auf dem dritten Album der Hamburger Band verarbeitet das Quartett gelungen seine Sinnkrise.
„Alles geht, alles geht, alles geht klar. Alles geht vorbei. Und wir bleiben da“: Wenn eine Liedzeile den Weg der Hamburger Band Tonbandgerät in den vergangenen drei Jahren beschreibt, dann ist es diese vom zweiten Album „Wenn das Feuerwerk landet“: Im Mai 2015 waren Gitarristin Sophia Poppensieker, ihre Schwester Isa am Bass, Sänger Ole Specht und Schlagzeuger Jakob Sudau auf dem Höhenflug. Die zweite Platte schrammte knapp an den Top Ten vorbei, die Clubs waren voll, die Bühnen von Hurricane Festival oder Deichbrand gehörten ihnen. Alles ging. Dann ging alles vorbei. Aber sie blieben da.
Soeben erschien das dritte Album, „Zwischen all dem Lärm“, und man hört zwischen den Tönen das Ergebnis eines Innehaltens auf der Suche nach Selbstverständnis, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Direkt nach „Wenn das Feuerwerk landet“ begannen die Arbeiten am Nachfolger. „Ich schrieb Song auf Song, aber sie stießen nicht auf die erhoffte Resonanz“, erzählt Sophia in der Wohnung von Jakob Sudau im Schanzenviertel.
Plattenfirmen wollen fette Hits und Radio-Singles
Plattenfirmen wollen fette Hits und Radio-Singles am Puls der Zeit: „Macht doch mal mehr Sommer“, wurde Tonbandgerät vorgeschlagen: sogenannter Urban Pop, mehr Electro, mehr Lifestyle, der Soundtrack für Social-Media-Werbekampagnen, Fußballbilder des Tages und „Bachelor“-Knutschrückblenden. Christina Stürmer oder Rea Garvey sind diesen Weg offensichtlich gegangen und tanzen jetzt zwischen Andreas Bourani, Glasperlenspiel und Helene Fischer. Tonbandgerät hatte andere Ideen, „und dann war es wie am Ende einer Beziehung. Der Kontakt wurde immer weniger, man wurde hingehalten, das Telefon schwieg“, erinnert sich Ole Specht. Aber wenn eine Tür sich schließt, öffnen sich andere.
„Da ist so viel, was sich ändert, und am Ende ändert es mich“, singt Ole jetzt im Auftaktsong „Reisegruppe Angst & Bange“. Es ist fast schon ein Konzeptalbum geworden. Rückschau und Melancholie sind ein grauer Faden, der sich durch die Texte zieht, Beckenrand, Freibad, Wasser, Meer, Eintauchen, Wellen, Treiben, Fluss sind Wörter, die immer wieder in den zwölf Liedern auftauchen. Wer ins Wasser springt, ist zwischen dem Lärm, ist allein, aber frei und schwebend. „Unsere Grundeinstellung der Band hat sich geändert. Alles machte Sinn. Bis wir an den Punkt kamen, wo es bergab ging“, sagt Ole. Es folgte die Trennung vom Label, zwei Monate Ungewissheit, dann der Neuanfang bei einer anderen Plattenfirma.
Gedanken, die man hat, wenn man den Jubel hinter sich lässt
„Tschüs, Karriereleiter, ich nehm die Graustufen“: „Blau“, der bestgelaunte Song auf dem Album, entstand vor dem Scheidungstermin mit der Plattenfirma: „Lass uns so blau wie der Himmel sein und so high wie die Skyline.“ Er hätte gut auf die Vorgänger „Heute ist für immer“ (2013) und „Wenn das Feuerwerk landet“ gepasst. Die anderen elf Lieder sind aufgefangene Gedanken, die man hat, wenn man den Jubel eines Konzerts hinter sich lässt und sich alleine in den Straßen verliert: „Der Letzte der Nacht“. Die man hat, wenn „Deine kleine Schwester“ ziemlich groß geworden ist. Über den Freund, mit dem man einst „Mario Kart“ zockte. Breitband-Popsound mit ausgefeilten Arrangements, mit dramatischen Harmonien des Ladies Chors Berlin, mit Streichern – die Schülerband, die die beiden Schwestern 2007 gründeten, ist an sich und den Umständen künstlerisch gewachsen. „Ich habe nicht das Gefühl, dass wir uns musikalisch stark verändert haben, auch wenn die Songs melancholischer sind“, sagt Isa Poppensieker, „wer uns mochte, kommt uns jetzt noch näher, weil wir keinen Druck von außen mehr bekommen, wie wir klingen sollen.“
Die Songs, die zwischen all dem Lärm, zwischen dem Erfolg 2015 und dem Neuanfang 2018 entstanden, haben es nicht nur auf das Album geschafft, sie sind auch als Last von den vier abgefallen. Jetzt freut sich Jakob Sudau, befreit aufzuspielen: „Freiheit und Stadtpark, da wollen wir hin – und uns südlich von Hannover noch etablieren. Der Norden ist schon unsere Heimatbasis.“ Das Konzert am 24. November in der Großen Freiheit 36 ist jedenfalls bereits ausverkauft, der Stadtpark für den 30. August 2019 gebucht. Sie bleiben da.