Hamburg. Klaus Maurer, Chef der Berufsfeuerwehr, hat Maßstäbe als Modernisierer gesetzt – mit gelebten Werten und seinem Führungsstil.
Der Alarm platzt in den lockeren Teil der Morgenrunde. „Wir sind weg“, rufen zwei Beamte, schieben quietschend die Holzstühle zurück und eilen dem Sirenenton nach. Erste Meldung: Lkw in Hauswand gerast. Fahrzeug brennt. Opfer und Hintergrund unklar.
Feuerwehrchef Klaus Maurer rutscht auf seinem Stuhl nach vorn. Für einige Sekunden erzählt er eine Anekdote weiter. Dann ruft er: „Wo? Stresemannstraße? Ausgerechnet.“ In diesen Momenten sei alles komprimiert, sagt er. Der große Einsatz, Leben zu retten, für ihn das „Salz in der Suppe“. Aber auch die Verantwortung, der Druck, das Risiko, fatal zu scheitern.
Maurer bleiben noch 15 Tage
Seit zwölf Jahren lebt Klaus Maurer damit, nun sind es nur noch 15 Tage. Maurer tritt ab. Die meisten der mehr als 3000 Kameraden wollen das nicht. Die Innenbehörde hat ihm angeboten, noch einmal zu verlängern. Seine Frau hätte nichts dagegen gehabt. Der 59-Jährige grübelte monatelang und lehnte ab. „Na klar ist da schon viel Wehmut“, sagt Maurer. Auch weil er sich die Frage stellen muss, was am Ende von ihm bleibt.
Von der ausgedruckten Titelseite des neuen Mitarbeitermagazins auf dem Tisch lacht Maurer sein Ebenbild an. Schnauzer, Rundbrille, Scheitel, ein Lächeln wie eine Umarmung. Maurer sieht aus wie der Feuerwehrchef aus einem Kinderbuch, versehentlich ins Leben gezaubert; der immer warm lächelnd seine Pflicht tut, bis zum Happy End. Nur ist die Realität komplizierter.
Klaus Maurer war Lobbyist der Kameraden
Maurer trat als Modernisierer der Feuerwehr und Lobbyist der Kameraden an, auf beiden Seiten hat er Abstriche machen müssen. Manchmal ist er selbst krachend gegen Wände gefahren, hat sich mit eigenen Leuten anlegen müssen. „Wer die Führung vieler Kollegen übernimmt, erfährt auch sehr einsame Momente“, sagt Maurer. Wer ihn an einem seiner letzten Tage im Amt begleitet, erlebt einen Mann, der noch lange nicht am Ende ist, aber den richtigen Absprung nicht verpassen will.
Mit einer Aktenmappe unter dem Arm spurtet Maurer über den Hof der Feuerwehrzentrale am Berliner Tor. In einem Souterrainraum warten 20 neuen Lehrlinge. Frisch von der Schule, keine 20 Jahre alt. Sie tragen die Haare gegelt, viele wölben ihre Schultern wie Katzen in einem neuen Zuhause.
„Sie werden ein Gefühl von Kameradschaft kennenlernen – erst einmal beim Lernen von viel Theorie“, sagt Maurer ihnen zur Begrüßung, gluckst ein rheinisches Lachen, dann wird er wieder ernst. „Es wird harte Arbeit werden. Wir spielen hier kein Spiel miteinander.“ Die Zukunft der jungen Männer ist auch sein Vermächtnis. Genügend neues Personal für einen großen Generationswechsel zu finden ist so schwer geworden, dass Maurer entschieden hat, auch echte Anfänger ohne vorherige handwerkliche Gesellenbriefe auszubilden. Das biete die Chance, sie gezielt zu formen.
Augewachsen ist Klaus Maurer in Nordrhein-Westfalen
Natürlich brauche es viel Geschick im Einsatz, sagt Maurer – aber das Wichtigste für einen Feuerwehrmann sei wohl, Entscheidungen zu fällen. „Selbst die drittbeste Entscheidung ist im Einsatz besser als gar keine. Aber es ist für jeden ein Prozess, diese Fähigkeit zu entwickeln.“ Er hat es selbst lernen müssen, lange gesucht, bevor er seinen Weg in die Uniform fand.
Maurer wächst als Sohn eines Eisenbahners in Velbert auf, Landkreis Mettmann, tiefes Nordrhein-Westfalen. Ihn interessieren technische Systeme, er studiert Bauingenieurswesen, um seinem Vater nachzueifern. In seiner Freizeit engagiert er sich als Rettungsschwimmer. Dortige Kameraden aus Hamburg begeistern ihn erst für die Feuerwehr, Maurer startet seine Laufbahn in Köln. Schiebt Schichten, führt erstmals Züge an. „Ein paar Monate lang war ich schrecklich unsicher. Aber die Begeisterung, der Mythos Feuerwehr hat mich doch schnell gepackt“.
Maurer begreift das Retten nicht nur als harte Arbeit
Und da ist etwas in ihm, dass ihn zu Höherem beruft. Maurer begreift das Retten nicht nur als harte Arbeit zwischen Flammen und Ruß, sondern auch als komplexes Getriebe. Maurer entwickelt ein Schema für die Anzahl an Rettungskräften bei Großveranstaltungen, das heute europaweit als Standard gilt. „Es liegt in meiner Natur, jedes Detail zu hinterfragen“, sagt er.
Maurer ist keiner, der sich nach einem gelungenen Einsatz auf der Brust herumtrommelt. Oder nach Verletzten und Toten nicht schlafen kann. Aber er kann nicht anders, als alles noch einmal im Kopf durchzugehen, jedes Mal. „Ob wir es verdaddelt haben. Was man besser machen kann.“ Dass es menschlich passt zwischen den Beamten, ist dabei ein entscheidender Faktor. Nicht nur aus Retterromantik. „Kein Feuerwehrmann arbeitet jemals allein. Das Ergebnis ist immer das Ergebnis der Gemeinschaft.“
Als Klaus Maurer vor zwölf Jahren nach Hamburg kommt, gleich als Chef der Feuerwehr, ist es für viele Beamte ein Kulturschock. „Ich saß da in den Runden und wollte Rückmeldung zu meinen Ideen – und stieß erst mal nur auf Schweigen.“ Er habe Hierarchien abgerissen, sagt Maurer. „Ich bin Katholik und auch überzeugt, dass die Werte des Glaubens eine Richtschnur in der Führung sind.“ Das bedeutet, manchmal unbequem zu sein. Unter Feuerwehrleuten herrscht oft noch der Ethos, als echter Kerl am besten mit völlig verrußten Helmen in den Einsatz zu ziehen. Maurer tritt dafür ein, dass sich die Beamten besser vor krebserregenden Stoffen schützen.
Manchmal hängt sein Job nur an einem Zufall
Um 10.30 Uhr eilt Klaus Maurer zum nächsten Termin, Abschiedsrunde mit den Mitarbeitern der Verwaltung. Der Feuerwehrchef setzt sich lächelnd dazu, ein wenig wie auf ein Bier in der Kneipe; den Mitarbeitern steht in der Körperspannung geschrieben, dass es ein Chefbesuch ist. „Manche im Einsatz denken, dass es auch ohne Verwaltung ginge“, setzt Maurer an, „aber die Wahrheit ist, dass hier nach drei Tagen die Lichter ausgingen. Ich möchte Ihnen herzlich danken.“ Er erntet ein anerkennendes Nicken.
Sie haben ihm einen Gutschein und eine Karte mit bunten Unterschriften vorbereitet, der Abteilungsleiter hat noch Sticker mit Einhörnern draufgeklebt. Maurer steht auf, leicht gebeugt, seine Augen funkeln, der Ton fast entschuldigend. „Wir haben einiges erreicht“, sagt er, „und einige Male Schiffbruch erlitten.“ Jahrelang wurde um ein neues Arbeitszeitmodell gerungen, viele Beamte haben die Feuerwehr verklagt, weil sie glaubten, eine Beförderung verdient zu haben. Zwar sei die Feuerwehr nicht mehr „in jedem Oktober fast pleite“, sondern finanziell gut aufgestellt. Aber man müsse den Sparkurs der Politik eben auch akzeptieren.
Ein anderer Feuerwehrchef würde nun vielleicht nachschieben, was gut gelaufen ist: Mehrere Hunderttausend Einsätze pro Jahr bewältigt, keine schweren Fehler, mehr Personal, endlich neue Löschboote und Wachen in Planung. Maurer sagt: „Ich hoffe, dass die Zusammenarbeit auch für Sie gut war. Leider gibt es auch Abteilungen, die ich seit meinem Antrittsbesuch nicht mehr in dieser Form besucht habe.“
Es gibt noch immer „weiße Flecken“ auf der Hamburg-Karte für die Feuerwehr
Ob er am Ende zufrieden sei? „Man neigt ja doch dazu, das vielleicht etwas skeptischer zu sehen als andere.“ Maurer sitzt jetzt in seinem Büro, über dem Schreibtisch funkelt die Elbe auf einem XXL-Foto, auf dem Fensterbrett liegen die Dankeswimpel vergangener Stationen. „Man muss einfach festhalten, wie gut unsere Kollegen die vielen brenzligen Situationen überstanden haben“.
In den vergangenen Jahren gab es Bunkerbrände, bei denen sich Feuerwehrleute durch Stichflammen kämpften; Feuer in Reifenlagern und auf Schiffen mit radioaktiver Ladung; Tragödien wie den Brand in einem Wohnhaus in Altona, bei dem eine Mutter und ihre kleinen Söhne starben. Jedes Mal kam die Feuerwehr rechtzeitig. Aber man dürfe sich nichts vormachen, sagt Maurer. „Wenn der Brand in Altona nicht dort passiert wäre, wo Kameraden aus drei Wachen schnell vor Ort sein können, würde ich nicht mehr hier sitzen“.
Es gibt noch immer „weiße Flecken“ auf der Hamburg-Karte für die Feuerwehr, Orte, an denen sie häufig nicht so schnell sein kann wie geplant. Und manchmal entscheidet nur der Zufall über das Zeugnis eines Feuerwehrchefs. Klaus Maurer ist noch dabei, seinen Frieden damit zu machen, dass sich auch in zwölf Jahren nicht alles hat optimieren lassen. „Wenn ich jetzt aufhöre, geht es darum, nicht zu überziehen.“
Ein Umzugskarton steht schon bereit
Als das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelt, springt er auf, es ist der Lagedienst, das hat immer Vorrang. Der Fahrer des Lkw an der Stresemannstraße ist gestorben, aber es war ein Unfall und nichts Schlimmeres, kein schwerer Hieb so kurz vor dem Ende.
Klaus Maurer sagt noch, wie er sich auf mehr Zeit für das Rudern und die Restauration seines Schleppers „Fairplay VIII“ freue, die gemeinsame Liebe des 59-Jährigen und seiner Frau. Ein Umzugskarton steht schon bereit. Vom 1. Oktober an wird Christian Schwarz, ein Feuerwehrschulleiter aus Bayern, hier die Führung übernehmen.
Was er genau für die Zeit nach dem Abschied plant, deutet Maurer nur an. „Nichts mit Feuerwehr, auch wenn sich das komisch anfühlen wird“. Er lacht, wieder ganz wie die Kinderbuchfigur, für die alles gut enden muss.