Hamburg. Feuerwehr ehrt Bäderland-Mitarbeiter, die in diesem Sommer Badegäste, darunter vier Kinder, vor dem Ertrinken bewahrt haben.
Das Mädchen atmet nicht. Gerade lag es noch auf dem Boden des Nichtschwimmerbeckens im Billebad. Eine, vielleicht zwei Minuten lang. Frederike Haude hatte es entdeckt. Als sie noch kurz überlegte, ob es nur taucht, kreuzte schon ein anderes Kind auf und brüllte: „Sie kann nicht schwimmen.“ Frederike Haude zögerte keinen Moment, sprang ins Wasser und zog das Mädchen an den Beckenrand.
An diesem Tag, es ist der 15. Juli, liegt Haudes Ausbildungsabschluss als Fachangestellte für Bäderbetriebe nur zwei Wochen zurück. Gleich an ihrem ersten Tag als Gesellin, am 1. Juli, rettete die 21-Jährige einen kleinen Jungen vor dem Ertrinken. Daran denkt Haude aber nicht, als die Zehnjährige ohne Atmung vor ihr liegt – sie funktioniert nur.
Gute Ausbildung
Während sich um sie und das Mädchen etliche Badegäste scharen, setzt Haude um, was sie in der Ausbildung gelernt hat. Zuerst die Atmung überprüfen – nichts. Dann im Wechsel stabile Seitenlage. Beatmen, Seitenlage, beatmen, Seitenlage. Nach einer Minute hört sie, wie das Kind einen Schwall Wasser erbricht. Nie zuvor hat sich Frederike Haude so gefreut darüber, dass sich jemand übergibt. Dann treffen auch schon die Rettungskräfte ein, die ihr Kollege Dardan Pergjegja (38) gerufen hat. Nach der erfolgreichen Reanimation kommt das Kind ins Krankenhaus. Und bei Frauke Haude löst sich die Anspannung schlagartig: Sie weint und kann gar nicht mehr aufhören.
Am Dienstag hat Feuerwehrchef Klaus Maurer der 21-Jährigen und Dardan Pergjegja für ihre lebensrettenden Einsätze gedankt und ihnen eine Urkunde überreicht. Sechs weitere Bäderland-Mitarbeiter, die ebenfalls gewürdigt werden sollten, konnten nicht kommen, weil sie arbeiten mussten. „Sie sind ein leuchtendes Beispiel für Ersthelfer. Und als Ersthelfer kann man nur etwas falsch machen, wenn man nichts macht“, sagt Maurer. Allein darauf komme es an: unverzüglich zu helfen, wenn Menschen in Not geraten.
Keine bleibenden Schäden
Vier Kinder und eine junge Frau wären in diesem Sommer beinahe ertrunken, hätten die acht Bäderland-Mitarbeiter nicht so beherzt eingegriffen. Sie alle überlebten – ohne bleibende Schäden. Zwar gab es in den vergangenen Jahren in Hamburgs Gewässern reihenweise Todesfälle, immer wieder ertranken Flüchtlinge. Doch an eine derartige Häufung von Verunglückten, die erfolgreich reanimiert wurden, können sich auch erfahrene Feuerwehrleute nicht erinnern.
Die Ursache für die Zunahme dramatischer Badeunfälle ist bekannt. Bäderland hat mehrfach betont, dass Eltern ihre kleinen, nicht schwimmfähigen Kinder fahrlässig unbeaufsichtigt durch die Schwimmbäder laufen lassen, während sie selbst am Handy daddeln oder telefonieren. „Es scheint, als glaubten manche Eltern, dass ihre Aufsichtspflicht an der Kasse auf uns übertragen wird, das ist nicht der Fall“, sagt Bäderland-Chef Dirk Schumaier. „Die Eltern müssen ständig bei ihren nicht schwimmfähigen Kindern sein. Ständig.“ Eine Art Eins-zu-eins-Überwachung durch die 400 Fachangestellten und Schwimmmeister von Bäderland sei nicht zu leisten, davon auszugehen, „völlig abwegig“ – allein in den sechs Freibädern tummelten sich in diesem Supersommer rund 250.000 Badegäste.
Unaufmerksame Eltern
In fast allen Fällen mit glücklichem Ausgang in letzter Sekunde waren die Eltern unaufmerksam, nicht einmal Schwimmflügel trugen die Kinder. Bei der Rettung am 15. Juli im Billebad zog sich der Vater mit zwei weiteren Kindern in der Kabine um, während Frederike Haude um das Leben seiner Tochter kämpfte. Am 17. Juli retteten Schwimmmeisterin Ines Ergün und ihr Kollege Heiko Evers eine Fünfjährige, die in Blankenese unter einer Schwimmmatte wie ein Stein zu Boden gegangen war – ihre Mutter stand derweil vor dem Bad und telefonierte.
Eine Freundin, die sich mit ihren zwei Kindern im Bad befand, starrte auf ihr Handy. Fast zeitgleich retteten Thorben Hansen und Kurash Ourfizadeh im Bad an der Elbgaustraße eine 24-jährige Frau. Und am 29. Juli zogen Norbert Hampe und Katherina Hahn eine Fünfjährige aus einem flachen Becken im Freibad Neugraben – auch bei diesem Unglück befand sich der Vater in der Umkleide.
„Es steht jetzt 5:0 gegen den Sensenmann“
Bereits an ihrem ersten Arbeitstag, am 1. Juli, musste Frederike Haude einen vierjährigen Jungen im Billebad retten – der Kleine war exakt an der Stelle untergegangen, wo zwei Wochen später die Zehnjährige lag. Badegäste hatten ihn bereits aus dem Wasser geholt, als Haude alarmiert wurde. Die junge Frau beatmete ihn durch den Mund, gab ihm eine Herzdruckmassage. Rückblickend habe sie sich etwas überfordert gefühlt, sagt Haude. Ein anderer Badegast, vermutlich ein Arzt, übernahm. Schließlich schrie der Junge wie am Spieß, es klang wie Musik in Haudes Ohren. Auch er überlebte. „Es steht jetzt 5:0 gegen den Sensenmann“, sagt Feuerwehrsprecher Jan Ole Unger.
Von Geschichten, die fast in einer Tragödie endeten, können alle Schwimmmeister erzählen, auch Dardan Pergjegja, der den Job seit 2007 macht. Da war der ältere Mann, der nach einem Herzinfarkt leblos im Wasser trieb. Oder der Junge, der während eines Sprungs vom Beckenrand einen epileptischen Anfall erlitt. Solche extremen Einsätze können an die Substanz gehen, die Seele belasten. Für die Nachsorge bietet Bäderland deshalb eine psychologische Betreuung an – Frederike Haude hat sie in Anspruch genommen. „Diese Erfahrung“, sagt Frederike Haude, „die macht was mit einem.“