Hamburg. . . . den Forscher Svante Pääbo. Er entschlüsselte das Erbgut des Neandertalers – und entdeckte dabei eine unbekannte Liebe.
Auch acht Jahre nach der Sensation rufen Svante Pääbo immer noch Menschen an, die den Neandertaler in sich untersuchen lassen wollen. Früher erhielt der Forscher auch Fotos von Zeitgenossen, die glaubten, unserem engsten ausgestorbenen Verwandten besonders ähnlich zu sehen. Ein Zahnarzt regte via E-Mail an, die Gene von einigen seiner Patienten zu untersuchen – sie hätten ein urzeitliches Gebiss. Pääbo hat all das geduldig über sich ergehen lassen und antwortet mitunter immer noch, wenn es seine Zeit zulässt, weil er die Neugierde der Leute zu schätzen weiß: „Es interessiert viele Menschen einfach sehr, wie ihre Vorfahren gelebt haben und woher wir kommen“, sagt der 63 Jahre alte Direktor des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.
Dass der Schwede bei der Ahnenforschung weit über die Wissenschaft hinaus ein gefragter Experte ist, hat vor allem mit einer „Science“-Veröffentlichung im Jahr 2010 zu tun: Damals beschrieben Pääbo und sein Team in dem Fachjournal eine Rohfassung des Neandertaler-Erbguts. Damit konnten Wissenschaftler zum ersten Mal die Gene moderner Menschen mit denen des Neandertalers vergleichen – mit einem verblüffenden Ergebnis: Die beiden Gruppen hatten Sex miteinander, vor mehr als 40.000 Jahren, nachdem die modernen Menschen Afrika verlassen hatten und auf dem Weg nach Europa und Asien waren. Als wahrscheinlicher Tatort des Techtelmechtels gilt die Region, die heute als Naher Osten bezeichnet wird.
Revolutionäre Einblicke
Für seine revolutionären Einblicke in die Evolution der Menschheit ist Svante Pääbo schon vielfach gewürdigt worden. Heute kommt für den Ausnahmeforscher eine besonders angesehene Ehrung hinzu: Im Großen Festsaal des Hamburger Rathauses wird Pääbo vor rund 600 geladenen Gästen den mit 750.000 Euro dotierten Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft erhalten. Die Auszeichnung ist oft als „Hamburger Nobelpreis“ bezeichnet worden – zu Recht, darf man sagen, immerhin haben bereits fünf Körber-Preisträger später die berühmte Auszeichnung in Stockholm erhalten. Drei von ihnen – dem deutschen Physiker Stefan Hell und den norwegischen Hirnforschern May-Britt und Edvard Moser – wurde diese Ehre 2014 zuteil.
Forschergeist bewies Svante Pääbo schon als Kind. Wenn die Herbststürme Bäume entwurzelt hatten oder er ein umgepflügtes Feld fand, suchte er in der Erde nach Tonscherben und Steinäxten. Als 13-Jähriger reiste Pääbo mit seinen Eltern nach Ägypten. Danach las er viel über Pharaonen und Pyramiden, beeinflusst vor allem durch die Ägypten-Leidenschaft seine Mutter, die Chemikerin Karin Pääbo, weniger durch seinen Vater, den Mediziner und Nobelpreisträger Sune Bergström.
Dessen Einfluss fiel allerdings stärker ins Gewicht, als Pääbo später sein Ägyptologie-Studium nach einigen Semestern abbrach. „Ich hatte zu romantische Vorstellungen von diesem Fach“, sagt Pääbo heute. Er entschied sich dann für ein Medizinstudium, beschäftigte sich mit Zellbiologie, forschte in einem Labor in New York – und kam so zur Genetik.
Kompliziertes Puzzle
Zurück in Schweden, schaffte er es schon als Doktorand der Universität Uppsala auf die Titelseite des britischen Fachjournals „Nature“, weil er nachgewiesen hatte, dass DNA in altägyptischen Mumien überdauern kann. Das war 1985. Pääbo wähnte sich damals vor einem Durchbruch bei der DNA-Entschlüsselung.
Es sollte dann aber noch 35 Jahre dauern, ehe ihm die Entschlüsselung von Neandertaler-Erbgut aus etwa 50.000 Jahre alten Knochen gelang. Es galt nämlich, ein kompliziertes Puzzle zusammenzusetzen: Nicht allein ist die in den Überresten enthaltene DNA nach Jahrtausenden im Boden zu winzigen Bruchstücken abgebaut worden, sondern die Knochen sind derart von Bakterien und Pilzen besiedelt, dass bis zu 99,9 Prozent der gefundenen DNA von solchen Mikroben stammt.
Pääbos Team fand heraus, dass eine einzige Hautschuppe mehr DNA enthalten kann als die 50 Milligramm an Material, das die Forscher mit einem Zahnbohrer aus Neandertaler-Knochen gewinnen. Das Team begann deshalb mit der Arbeit unter Reinraum-Bedingungen, vergleichbar mit denen in der Chip-Industrie, um Verunreinigungen ihrer Proben zu verhindern. Die Forscher entwickelten effizientere Methoden, um die Ausbeute der Neandertaler-DNA zu verbessern und schrieben bessere Computerprogramme, um das Neandertaler-Genom im Abgleich mit menschlicher DNA genauer zu rekonstruieren.
Analysemethoden weiter verfeinern
Heute ist klar: Etwa ein bis zwei Prozent der DNA bei Europäern und Asiaten stammt vom Neandertaler. Dieser genetische Beitrag wirkte sich wohl einerseits positiv aus, stärkte er doch das Immunsystem der modernen Menschen. Andererseits trägt er wohl zur Anfälligkeit für mehrere Krankheiten bei. „Vergleiche ihrer Genome mit denen heutiger Menschen sowie mit denen von Menschenaffen ermöglichen uns zu bestimmen, wann genetische Veränderungen bei unseren Urahnen eintraten“, erklärt Pääbo. Etwa 30.000 Genveränderungen, so fanden er und sein Team heraus, unterscheiden uns Menschen von Neandertalern.
Die Neandertaler existierten über einen Zeitraum von fast 400.000 Jahren, bis sie aus ungeklärten Gründen ausstarben. Ihre Steinwerkzeuge sahen am Ende immer noch so ähnlich aus wie am Anfang ihrer Geschichte. Die modernen Menschen hingegen entwickelten in nur 100.000 Jahren eine komplexe Kultur und Technik und besiedelten fast die ganze Welt. Erklärungen dafür liefern könnten vielleicht einige der 30.000 Genveränderungen – doch bei deren Analyse stehen Pääbo und andere Forscher immer noch am Anfang. Das Preisgeld aus Hamburg will der schwedische Forscher dazu nutzen, seine Analysemethoden weiter zu verfeinern.