Leipzig. Das Erbgut beeinflusst Krankheiten und Eigenschaften des modernen Menschen
Hunderttausende Jahre lebten Neandertaler in Europa, bevor sie aus noch ungeklärten Gründen von der Bildfläche verschwanden. Allerdings nicht komplett: Ihre Spuren stecken noch heute in jedem Europäer, genauer gesagt in seinem Erbgut. Denn einige Jahrtausende lebten der moderne Mensch und der Neandertaler gemeinsam in Europa und Teilen Asiens. Sie vermehrten sich miteinander und vermischten dabei ihr Erbgut.
Wissenschaftler lesen daraus, wie unsere entfernten Verwandten miteinander gelebt haben und wie sie durch ihre genetische Mitgift heutige Menschen noch immer beeinflussen. Neue Erkenntnisse ziehen Forscher um Kay Prüfer und Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig nun im Fachblatt „Science“ aus dem Erbgut einer Neandertaler-Frau, die vor rund 52.000 Jahren in der Gegend des heutigen Kroatiens lebte. Anhand der Überreste, die 1980 in der Vindija-Höhle entdeckt wurden, präzisierten die Forscher, wie viel Neandertaler-Erbgut im Genom heutiger Nichtafrikaner steckt: etwa 1,8 bis 2,6 Prozent – und damit mehr als bislang gedacht. Und diese Elemente beeinflussen noch beim heutigen Menschen das Risiko für zahlreiche Krankheiten im Guten wie im Schlechten. Frühere Studien hatten schon gezeigt, dass Neandertaler-Gene das Risiko für Depressionen beeinflussen sowie für Krankheiten des Immunsystems oder der Haut oder Nerven und sogar das für Nikotinabhängigkeit. Die Leipziger Forscher fanden jetzt weiterhin einen Zusammenhang mit dem Cholesterinspiegel, mit Rheuma und Schizophrenie.
Aber nicht nur Krankheiten, auch grundlegende Eigenschaften des Menschen stehen bis heute unter dem Einfluss unserer frühen Verwandten. Die Forscher zogen dafür genetische Daten von gut 112.000 modernen Menschen heran, die in einer britischen Biobank gespeichert sind. Die Analyse bestätigte zum einen frühere Ergebnisse, nach denen Neandertaler-Gene die Beschaffenheit von Haut und Haaren beeinflussen. Einige der analysierten Genvarianten sorgen für hellere Hauttöne, andere für dunklere, fanden die Wissenschaftler heraus. Das gelte auch für die Farbe der Haare. „Das lässt vermuten, dass die Neandertaler sich im Ton ihrer Haut und ihrer Haare unterschieden, ganz ähnlich wie heutige Menschen“, schreiben die Autoren.