Hamburg. Ex-Ministerin Aygül Özkan sollte als Bürgermeisterkandidatin nominiert werden, ist aber schwer erkrankt.
Der Fahrplan und das Szenario der CDU für die Präsentation der Spitzenkandidatin für die Bürgerschaftswahl 2020 standen, die Kampagne war längst minuziös vorbereitet. Doch die plötzliche schwere Erkrankung der designierten CDU-Bürgermeisterkandidatin Aygül Özkan warf alle Strategien über den Haufen.
„Es gibt so Tage, da hat man das Gefühl, es ist der Boden unter den Füßen weggerissen, und so ein Tag war für uns der vergangene Donnerstag“, heißt es in einem dem Abendblatt vorliegenden Schreiben von CDU-Landeschef Roland Heintze und Bürgerschafts-Fraktionschef André Trepoll an die Mitglieder des Landesvorstands. Am Donnerstag informierte Aygül Özkan Trepoll und Heintze über ihre Erkrankung, von der sie selbst am Tag zuvor erfahren hatte.
Ungewöhnlicher Schritt
Die drei entschlossen sich zu einem sehr ungewöhnlichen Schritt. „Die Bürgerschaftswahl ist erst in 18 Monaten, Aygül Özkans Diagnose ist vier Tage alt. Wir nehmen uns deshalb raus, was im hektischen Politikbereich sonst unmöglich erscheint: Wir atmen durch und warten ab“, schrieben Trepoll und Heintze.
Die beiden CDU-Spitzen waren sichtbar angespannt und geschockt, als sie am Sonntagnachmittag den Medien die Lage erläuterten. „Wir stehen an Aygül Özkans Seite. Wir halten an unserem Vorschlag fest“, sagte Trepoll. Es ist also offen, ob Özkan nach ihrer hoffentlichen Genesung die Spitzenkandidatur antritt oder nicht. „Diese tolle Herausforderung, Hamburgs Erste Bürgermeisterin zu werden, kann ich im Moment aus persönlichen Gründen leider nicht annehmen“, teilte Özkan am Sonntag schriftlich mit.
Strategische Überlegung
Heintze und Trepoll betonten in den zurückliegenden Wochen immer wieder, dass sie ihren Personalvorschlag für den Listenplatz eins „im Herbst“ präsentieren wollten. Am 1. September – dem Tag des meteorologischen Herbstanfangs – wollten die beiden Christdemokraten Aygül Özkan als Spitzenkandidatin öffentlich vorstellen. Der Zeitpunkt nach den Sommerferien war bewusst gewählt.
Nach der Wahl von Peter Tschentscher (SPD) zum neuen Ersten Bürgermeister im März, so die strategische Überlegung der Union, würde sich die öffentliche Aufmerksamkeit zunächst auf Tschentscher konzentrieren. Angeblich war schon zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung der beiden für Aygül Özkan gefallen. Eine Vorstellung der Tschentscher-Herausforderin vor der Sommerpause wäre aus CDU-Sicht taktisch unklug gewesen, weil der Überraschungseffekt dann möglicherweise verpufft wäre.
Verheerende Wahlniederlage 2015
Seit Wochen war die Kampagne vorbereitet worden, wurden Fotosessions gemacht und ein Kurzvideo gedreht, in dem Özkan ihre Kandidatur begründet. „Ich möchte Hamburgs Erste Bürgermeisterin werden“, sagt Özkan in dem Film. Sollte sie antreten und gewählt werden, wäre sie tatsächlich die erste Frau in der mehrere Hundert Jahre alten Geschichte des Amts.
Öffentlich galt dagegen Trepoll lange als Favorit. Der Jurist hatte nach der verheerenden Wahlniederlage 2015, als die Union auf 15,9 Prozent abgestürzt war, den Fraktionsvorsitz übernommen. Obwohl er sich vor diesem Schritt lange geziert hatte, fand Trepoll schnell Gefallen an der Rolle des Oppositionsführers und profilierte sich mit pointierten und nicht selten unterhaltsamen Reden im Parlament als das Gesicht der Hamburger CDU.
Druck auf Fraktionschef war gestiegen
Noch in diesem Frühjahr hatte der 41-Jährige mit einem aufwendigen Imagefilm und einer großen Veranstaltungsreihe die Vermutung genährt, er wolle Tschentscher herausfordern – bis Ende vergangener Woche durchsickerte, dass er verzichten werde. Als mögliche Kandidaten galten zudem Parteichef Heintze, der frühere Staatsrat Nikolas Hill und Ex-Senator Axel Gedaschko – allesamt aber unter der Maßgabe, dass Trepoll nicht antritt.
Der Druck auf den Fraktionschef, sich zu erklären, war zuletzt gestiegen. Das galt erst recht, nachdem auch die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank erklärt hatte, sie wolle die Grünen in die Wahl führen. Sie soll am 27. Oktober nominiert werden und eine herausgehobene Stellung erhalten. Als sicher gilt, dass Bürgermeister Peter Tschentscher Spitzenkandidat der SPD wird. „Eine positive politische Überraschung und eine traurige persönliche Nachricht in einem“, schrieb Fegebank auf Facebook. In einer Zeit, in der Minderheiten und kulturelle Vielfalt von Rechtspopulisten angefeindet würden, sei Özkans Kandidatur „ein mutmachendes Signal“.