Aygül Özkan soll Spitzenkandidatin werden – eine schwierige Mission.
Es gibt dankbarere Aufgaben, als die Hamburger CDU zurück an die Macht zu führen. Die Union, die bis 2008 noch mit absoluter Mehrheit regierte, ringt heute mit den Grünen um Rang 2: Bei der Bürgerschaftswahl klappte es mit 15,9 Prozent gegen 12,3 Prozent nur knapp, in der jüngsten Umfrage liegen die Grünen vorne. Angesichts solcher Daten wirkt das Wort „Spitzenkandidatur“ tollkühn. Große Herausforderungen aber erfordern mutige Lösungen: So kam die CDU-Führung auf die ehemalige Sozialministerin Aygül Özkan.
Die Juristin war zwischen 2008 und 2010 schon einmal stellvertretende CDU-Chefin in Hamburg, bevor sie von Christian Wulff ins niedersächsische Kabinett berufen wurde. Inhaltlich ist sie damals wenig aufgefallen; persönlich bringt sie als Tochter türkischer Gastarbeiter, gebürtige Hamburgerin und Mutter nun eine neue Farbe in die Union. Bürgerschaftswahlen sind auch Persönlichkeitswahlen, weil es um das Bürgermeisteramt geht.
Özkans Präsentation am Sonntag stand unter einem denkbar schlechten Stern: Die Pressekonferenz war kurzfristig angesetzt worden, weil die Kandidatin schwer erkrankt ist. Unklar ist, wann Özkan zurückkommt. Fraktionschef André Trepoll und Landeschef Roland Heintze hofften mit der mutigen Personalie auf einen Befreiungsschlag. Daraus wird durch die Dramatik zunächst nichts. Aber die menschliche Geste für Özkan war jetzt wichtiger.
Lange galt Trepoll als wahrscheinlicher Kandidat. Er hat in den vergangenen Jahren wacker gekämpft, war viel in der Stadt unterwegs und punktete als guter Redner in der Bürgerschaft. Und doch sprang der Funke nicht über. Die größten Schlagzeilen schrieb Trepoll nach den Gewaltexzessen beim G-20-Gipfel, als er Bürgermeister Olaf Scholz zum Rücktritt aufforderte – und sich dafür von Parteichefin Angela Merkel aus Berlin eine öffentliche Rüge abholte. Inhaltlich steuerte Trepoll, etwa mit seiner Forderung nach Räumung der Roten Flora, einen „CDU pur“-Kurs, der die Konservativen bei der Stange hielt – aber liberale Wähler eher verschreckte. So hat Trepoll eine strategische Mehrheitsbildung ohne die SPD erschwert. Grüne und FDP winkten mit Blick auf ein Jamaika-Bündnis schon dankend ab.
Die Probleme der Union gründen tief: Der CDU gelingt es kaum, den Senat zu attackieren. Das liegt zum einen an der schwierigen Konstellation mit vier Parteien in der Opposition, in der man sich nur schwer und seriös Gehör verschaffen kann. Das liegt zum anderen an der CDU: Frühere Kernkompetenzen – etwa in Wirtschaft oder im Hafen – hat die Union verloren. Dabei gäbe es Ansatzpunkte genug: Der Hafen steckt in der Krise, die Fahrrinnenanpassung lässt weiter auf sich warten. In der Finanzpolitik hat die SPD gerade die Schleusen geöffnet, und auf dem Rückkauf der Netze liegt kein Segen. Zwar gibt es keine politische Wechselstimmung in der Stadt – aber die Union macht es ihren Gegnern auch einfach.
Aus der ohnehin kleinen Fraktion sind kaum Talente erwachsen. Eine der wenigen ist Karin Prien – sie ist nun Bildungsministerin in Schleswig- Holstein. Überschwänglich lobte sie Özkan, nannte sie „eine waschechte Hamburgerin mit eigener Migrationsgeschichte, klug, wirtschaftlich erfolgreich, unabhängig und mit Regierungserfahrung. Eine großartige Frontfrau.“ Vielleicht freut sich Prien aber auch, dass der Kelch einer Spitzenkandidatur an ihr vorübergeht. Sie wehrte alle Avancen ab, zurück nach Hamburg zu kommen. Sie wird wissen, warum.