Hamburg. 540 Unternehmen aus der Hansestadt sind am Bosporus geschäftlich aktiv. Sorgen über die Rechtssicherheit dort nehmen zu.
Es ist erst wenige Jahre her, da galt die Türkeiin deutschen Chefetagen als attraktiver Wachstumsmarkt gewissermaßen gleich vor der Haustür Europas. Doch schon mit dem Putschversuch im Sommer 2016 hat die Euphorie einen Dämpfer bekommen – und der Verfall der türkischen Lira seit einem Jahr, der sich im August noch beschleunigt hat, verschärft die Sorgen in vielen Hamburger Firmen noch einmal erheblich.
„Rund 540 Unternehmen aus Hamburg sind in der Türkei engagiert“, sagt Doris Hillger, Außenwirtschaftsexpertin bei der Handelskammer Hamburg. Nicht nur die konkreten Daten wie der Wertverlust der Lira um 60 Prozent binnen Jahresfrist oder die Inflationsrate von 15 Prozent, die die Kaufkraft der Bevölkerung empfindlich reduziert, geben Anlass zur Beunruhigung. „Unabhängig von der aktuellen Währungskrise sind Unternehmen zunehmend verunsichert, was die Rahmenbedingungen für Investitionen in der Türkei – etwa im Hinblick auf die Rechtssicherheit und die Unabhängigkeit der Institutionen – angeht“, so Hillger.
Während die Türkei auf der Liste der wichtigsten Handelspartner Hamburgs im Jahr 2016 noch auf Platz zwölf stand, ist sie bereits im vorigen Jahr auf Rang 21 abgerutscht. In den ersten fünf Monaten 2018 hat das Außenhandelsvolumen um weitere 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf knapp 625 Millionen Euro abgenommen. Wichtigste Exportgüter im Hamburger Handel mit dem Land am Bosporus sind Airbus-Jets, die Einfuhren werden von Textilien dominiert.
Insolvenzen auf dem Vormarsch
Der Hamburger Beiersdorf-Konzern ist in der Türkei mit zwei Tochtergesellschaften in Istanbul vertreten und hat dort rund 100 Mitarbeiter. „Die Türkei zählt zu unseren Wachstumsmärkten, gehört allerdings nicht zu unseren größten Märkten“, sagt eine Sprecherin des Nivea-Herstellers dem Abendblatt. „Wir beobachten aktuell die Entwicklungen in der Türkei sehr genau. Es bleibt abzuwarten, wie sich der Währungsverfall auf das Konsumentenverhalten auswirken wird.“
Zahlungsrisiken und Insolvenzen seien in dem Land jedenfalls „aktuell auf dem Vormarsch“, sagt Ron van het Hof, Chef des Kreditversicherers Euler Hermes Deutschland und konzernweit Leiter des Geschäfts im deutschsprachigen Raum. „In der Türkei erwarten wir einen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen von fünf Prozent 2018, das ist deutlich mehr als noch zu Jahresbeginn erwartet.“ Die Risiken und Unsicherheiten für deutsche Unternehmen hätten durch die jüngsten Ereignisse in der Türkei noch deutlich zugenommen.
Schon jetzt gehörten die dortigen Firmen zu den international am stärksten verschuldeten Unternehmen, erklärt Ron van het Hof. Besonders groß sei das Risiko bei Firmen, die in Dollar oder auch in Euro verschuldet sind. „Diese könnten bei der Rückzahlung fälliger Kredite in Schwierigkeiten geraten, denn eine Rückzahlung ist durch die Abwertung der türkischen Landeswährung sehr viel teurer geworden und dadurch für viele entsprechend schwer zu stemmen“, so der Euler-Hermes-Manager.
Türkei ist Schlusslicht
Zu den Risikofaktoren, die die Türkei-Krise aktuell befeuern, gehöre das fehlende Vertrauen in die dortige Politik, heißt es von den Volkswirten der HSH Nordbank: „Hinsichtlich vieler Fundamentalindikatoren ist die Türkei das Schlusslicht unter den Schwellenländern“, urteilen die Experten.
Zwar habe die Investitionszusage aus Katar am Mittwoch für eine leichte Erholung des Lira-Kurses gesorgt. „Wir warnen jedoch vor allzu viel Optimismus“, heißt es von der HSH Nordbank. So seien türkische Unternehmen mit zusammen mehr als 200 Milliarden Euro in Fremdwährungen verschuldet. Vor diesem Hintergrund seien die umgerechnet 13 Milliarden Euro an Investitionszusagen, die der katarische Emir Scheich Tamim Bin Hamad Al Thani mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan ausgehandelt hatte, „eindeutig unzureichend, um von einer breiten Entspannung in der Lira-Krise auszugehen“. Holger Schmieding, Chefvolkswirt des Hamburger Privatbankhauses Berenberg, empfiehlt den Türken eine Abkehr von „kreditfinanzierten Prestigeprojekten wie dem nächsten Mega-Flughafen“.
Sinkende Kaufkraft in der Türkei
Auch Jochen Intelmann, der Chefvolkswirt der Haspa, weist auf den hohen Finanzbedarf des Landes hin: „Die Türkei ist darauf angewiesen, ständig frisches Kapital aus dem Ausland zu bekommen. Das Geld fließt aber nur dann, wenn Vertrauen da ist – und viel von diesem Vertrauen hat die türkische Regierung in den vergangenen Monaten verspielt.“ So hätte die Notenbank in Ankara längst die Zinsen kräftig erhöhen müssen, um dem Wertverfall der Lira entgegenzuwirken. „Aber das hat man nicht getan, weil Erdogan es nicht wollte“, sagt Intelmann. All das führt nach Angaben der Handelskammer Hamburg noch nicht dazu, dass eine größere Zahl von Firmen ihr Engagement in dem Land beendet. „Für uns ist keine Rückzugswelle aus der Türkei erkennbar“, sagt die Außenwirtschaftsexpertin Hillger. „Sofern die Währungskrise anhält und die Inflation weiter steigt, ist aber nicht auszuschließen, dass die sinkende Kaufkraft der türkischen Bevölkerung Auswirkungen auf das dortige Geschäft deutscher Unternehmen haben wird.“
Davon könnte dann unter anderem die Hamburger Firma ECE Projektmanagement, die der Familie Otto gehört, betroffen sein. Denn ECE betreibt derzeit 13 Einkaufszentren in der Türkei, die verschiedenen Investoren gehören. Derzeit verzeichnet das Unternehmen dort nach eigenen Angaben noch keine Probleme: „Sowohl die Umsätze als auch die Kundenfrequenzen haben sich weiterhin positiv entwickelt.“
Der Otto-Konzern selbst könnte mittelfristig sogar vom Wertverfall der türkischen Währung profitieren. „Wir kaufen in der Türkei nur ein“, sagt ein Sprecher des Versandhändlers. Das bedeutet: Wenn einer der mehrjährigen Lieferverträge ausläuft, ist ein neuer Abschluss zu – für Otto – günstigeren Bedingungen möglich, falls die türkische Lira so schwach bleibt.