Hamburg. Im Haus des verstorbenen Altkanzlers macht Hendrik Heetlage Inventur. Ab 2019 soll es für kleine Besuchergruppen geöffnet werden.
„Wir sind die Schmidts“ steht auf dem Schild im Flur, der in das holzvertäfelte Erdgeschoss des Hauses in Hamburg-Langenhorn führt. Hendrik Heetlage, 28, Masterstudent der Geschichte, betritt den Wohnbereich – auf das rote Sofa setzen will er sich nicht, er ist zum Arbeiten hier. Bis zu seinem Tod 2015 hat Helmut Schmidt, fünfter Bundeskanzler der Bundesrepublik, in dem Haus gelebt.
Heetlage ist nun mit der Bestandsaufnahme im Wohnhaus des Altkanzlers beschäftigt. „Spannend wird die Inventarisierung dadurch, dass viele kleine Dinge seinen Charakter beschreiben“, sagt der Student. Die Helmut-Schmidt-Stiftung will das Haus, in dem der Altkanzler seit 1961 mit seiner 2010 verstorbenen Frau Loki gewohnt hatte, in Zukunft für kleinere Besuchergruppen öffnen.
Datenbank enthält bereits 5500 Einträge
„Es geht nicht darum, diesen Standort zu glorifizieren, sondern ihn behutsam zu öffnen für alle Menschen, die sich dafür interessieren, wie Helmut und Loki Schmidt hier über 50 Jahre gelebt haben“, sagt Stiftungssprecher Ulfert Kaphengst. Seit April 2017 arbeitet Heetlage im Haus der beiden verstorbenen Hamburger Ehrenbürger – bis zu 20 Stunden pro Woche. Um das Haus zu inventarisieren, legt er eine Datenbank an, die schon jetzt über 5500 Einträge fasst. In der Auflistung findet sich jedes Bild, jedes Buch und jedes Taschentuch. Im Spätsommer will er fertig werden.
Heetlage betritt „Ottis Bar“ – benannt nach Schmidts langjährigem Personenschützer Ernst-Otto Heuer. Derzeit nehme er alle Gegenstände in der Hausbar in die Datenbank auf. Die Details der Einrichtung verraten viel über den Altkanzler, sagt Kaphengst. „Wenn man in das Haus kommt, bekommt man einen Eindruck davon, wie universell interessiert Helmut Schmidt war.“ Kunst diverser Epochen, politische und philosophische Literatur, ein Flügel, an dem Schmidt spielte – all dies zeige den Wissensdurst des verstorbenen Altkanzlers.
Ziel der Stiftung sei es, das Haus in Langenhorn für Besucher begehbar zu machen. Dennoch solle alles weiter so aussehen wie zu Lebzeiten Schmidts, sagt Kaphengst. „Es ist ein ganz normales Wohnhaus, was die Nutzbarkeit als Ausstellungsort oder Museum begrenzt.“ Wenn die Inventarisierung fertig ist, wolle man die Geschichte hinter dem Mobiliar ergründen, so der Stiftungssprecher. Dann könne man ab voraussichtlich 2019 in begrenztem Umfang Führungen für Kleingruppen und Veranstaltungen anbieten. Touristenscharen könne das Haus zukünftig keinesfalls fassen.
Auf dem Sofa saß auch schon Leonid Breschnew
Heetlage geht die Treppe hinauf, auf dem Weg in das Arbeitszimmer des Altkanzlers. „Ich habe hier jedes Buch in der Hand gehabt.“ Blitzende Kuriositäten füllen die Vitrinen. Ein Schachbrett, das der Altkanzler in Kriegsgefangenschaft geschnitzt hat, Münzen, Schnupftabakdosen. Und, wie in jedem Raum des Hauses, Zigarettenkisten aller Größen. „Dass Helmut Schmidt ein leidenschaftlicher Raucher war, sieht man hier in vielen Ecken“, so Kaphengst.
Besonders eine Auszeichnung in der Vitrine hat Heetlage in Erinnerung behalten: Eine opulente Freundschaftsmedaille, verliehen vom US-Politiker George P. Shultz. „Das ist typisch, dass Helmut Schmidt politische Freundschaften auch privat gepflegt hat“, sagt Kaphengst. Auf dem altehrwürdigen Sofa saßen schon Leonid Breschnew und Willy Brandt. Nicht selten seien Staatsgäste im ehemaligen Kinderzimmer untergebracht worden. Ein inoffizieller Regierungssitz mitten in einer Wohnsiedlung? „Helmut und Loki Schmidt haben sehr viel Wert auf die Normalität gelegt, die das Haus ausstrahlt“, so Kaphengst.
Das Haus erschließen als Ort der Erinnerung an die Schmidts – das sei das Ziel seiner Arbeit, sagt Heetlage. Zukünftig sei etwa ein regelmäßig im Esszimmer des Hauses stattfindender Debattiersalon als Veranstaltungsreihe geplant, ganz im Zeichen der einst dort stattfindenden „Freitagsgesellschaften“, sagt Kaphengst. Der Schutz des Hauses habe dabei oberste Priorität. „Wir werden alles so organisieren, dass dieses Haus so erhalten bleiben kann, wie Helmut Schmidt das ausdrücklich in seinem Testament festgehalten hat.“
Nach über einem Jahr Inventarisierung kennt Hendrik Heetlage das Haus des Altkanzlers so gut wie kaum ein anderer – die Ehrfurcht bleibe jedoch. „Ich benehme mich nicht wie zu Hause. Man sollte jetzt schon damit anfangen, dem Ort Respekt zu zollen.“ Helmut Schmidts erhabener Schreibtischstuhl, sagt Heetlage lachend, sei für ihn als Arbeitsplatz bei der Inventarisierung Tabu. Viele Fragen um den Altkanzler blieben auch nach der intensiven Beschäftigung mit seiner Habe offen. „Ich würde mir nicht anmaßen, zu sagen, jetzt weiß ich, wer Helmut Schmidt gewesen ist.“