Hamburg. Kunst von Ai Weiwei, Joseph Beuys und anderen ist bis zum 22. Juli in fünf Hamburger Gotteshäusern zu sehen.
Häufiger ins Museum gehen. Oder in die Kirche. Mehr unter Leute. Oder zu sich selbst finden. Nach 147 Tagen ist es höchste Zeit, seine zu Beginn des Jahres vielleicht gefassten Vorsätze in die Tat umzusetzen. All das ist nun auf einen Streich möglich; dank der Ausstellung „Hinsehen. Reinhören. Die Kunst ist in den Kirchen“. Sie zeigt, auf fünf Gotteshäuser verteilt, Werke von 24 zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern aus Europa, Asien und Afrika, darunter Ai Weiwei, Rebecca Horn, Joseph Beuys, Vanessa Beecroft, Axel Anklam und Micha Ullmann.
Von „Hochkarätern“ sprach Hauptpastorin Ulrike Murmann in ihrer Begrüßung am Sonnabend während der Vernissage in St. Katharinen und von einer „ganz großen Nummer“. Nicht nur, was die künstlerische Bandbreite betrifft. Auch die konfessionelle: Immerhin sind neben den drei evangelischen Kirchen St. Katharinen, St. Jacobi und der St. Georgskirche auch das Ökumenische Forum und der St.-Marien-Dom dabei.
St. Katharinen ist besonders geeignet
Die Katharinenkirche sei wegen der großflächigen weißen Wände hervorragend geeignet für Ausstellungen und Experimente. Die Fotografie der italienischen Performance-Künstlerin Vanessa Beecroft kommt hier tatsächlich besonders gut zur Geltung. Sie zeigt schwarz geschminkte Akteurinnen in der Fischhalle von Neapel zwischen schwarzen Körperteilen – ein Bezug zum Ausbruch des Vesuvs in Pompeji im Jahre 79 nach Christus.
Dass dieses Ausstellungs-Experiment nach knapp zwei Jahren Vorlaufzeit geglückt ist, ist dem Berliner Kurator Alexander Ochs und seiner Co-
Kuratorin Veronika Schlör von der Katholischen Akademie in Hamburg zu verdanken. Durch seine langjährige Erfahrung als Galerist in Berlin und Shanghai kennt er die vertretenen Künstler allesamt persönlich. Als Ai Weiwei in seiner Heimat China im Gefängnis saß, war es Ochs, der die Initiative zu seiner Befreiung startete. Das verbindet.
Hineinhören mit großem Optimismus
„Ich erzählte ihm die Geschichte der Heiligen Katharina von Alexandrien, Namensgeberin der Kirche, die im Zuge der Christenverfolgung auf ein Rad mit krummen Messern gespannt wurde. Die Parallele zu seiner leidvollen Erfahrung hat ihn bewegt, das Werk ‚Forever‘ in St. Katharinen auszustellen.“
Bei der Documenta-Preisträgerin Rebecca Horn leistete ein gemeinsamer Freund Überzeugungsarbeit. Ihre vertikale Skulptur „The Universe in a Pearl“, die ebenso wie „Forever“ in St. Katharinen zu sehen ist, lädt vor allem im Zusammenspiel mit der Musik zum Hinsehen und (in sich) Hineinhören ein.
Hineinhören – unbedingt auch zu empfehlen in der St. Georgskirche am Hauptbahnhof: Dort hat das Künstlerduo Mwangi Hutter (Ludwigsburg/Nairobi) eine sehr bewegende Soundinstallation geschaffen. Während der Besucher im Vorraum steht und die Kreu- zigungsszene betrachtet, erklingt der Kanon „My Mind’s Music“, der Schmerz und Leid, aber auch großen Optimismus ausdrückt.
Wie sich vorhandene Werke mit den neuen Kunststücken zu einem spirituellen Gesamtkunstwerk verbinden und die Kirchenarchitektur mit einbeziehen, ist eine Besonderheit dieser Ausstellung. So sagt der Biennale-Teilnehmer Axel Anklam über seine Skulpturen „Kleine Wand II“, „Schnee“ und „Flug“, die in der Jacobi-Kirche zu sehen sind, dass der sakrale Raum die Aura der Kunstwerke noch verstärke. „Besonders, wenn man allein in Ruhe davorsteht, eröffnet sich die ganze Kraft des Objekts. Ich kann mich darin versenken, fast noch intensiver als in einer Galerie oder einem Museum.“
Kunst und Kirche für neue Einblicke
Stark in ihrer Wirkung sind auch die „Stufen“-Bilder des israelischen Bildhauers Micha Ullman im Ökumenischen Forum sowie die Werke, die sich im Marien-Dom der Kreuzigung Jesus’ widmen, etwa die Zeichnungen der Kölnerin Claudia Schink in der Krypta.
Bis zum Ausstellungsende am 22. Juli gilt es, die zahlreichen Hochkaräter zu entdecken, ob allein in einem stillen Moment oder gemeinsam mit anderen während eines Gottesdienstes. Für Bettina Steinbrügge, Direktorin des Kunstvereins Hamburg, steht fest: „Die Ausstellung kommt zu einer Zeit, in der wir Kunst und Kirche mehr denn je brauchen. Wir leben in einer Gesellschaft des Wohlstands, aber wo sind Empathie und Solidarität? Wir sind von einer visuellen Kultur geprägt, können aber kaum noch Bilder wirklich erkennen. Kunst und Kirche können den Blick auf die Werte richten, die uns fehlen.“