Zürich. Bestsellerautor Martin Suter und Musiker Stephan Eicher gehen mit einem gemeinsamen „Songbook“ auf Tournee. Mit Untertiteln.

Der Musiker Stephan Eicher besitzt ein Haus in der Camargue. Seine Küche dort, erzählt er, habe eine Zeit lang voller Gedichte gehangen. Geschrieben hatte sie Martin Suter, seit 20 Jahren einer der erfolgreichsten Schweizer Schriftsteller.

„Wenn mir ein Text zuzwinkerte, habe ich ihn von der Küchenwand abgenommen und zum Piano gebracht. Dann habe ich mich mit den destillierten Gedanken von Martin auseinandergesetzt, die viel Raum für Musik lassen“, sagt Eicher, der aus seinem Domizil in Südfrankreich nach Zürich gekommen ist, um im Verlagshaus von Diogenes – dem langjährigen Stammverlag Suters – zusammen mit ihm Rede und Antwort zu einem Songbook zu stehen, das beide in diesem Jahr herausgebracht haben. Mit der vertonten Lyrik werden der Chansonnier und der Dichter im Herbst auf Deutschland-Tournee gehen. In Hamburg gastieren sie am 29. September in der Laeiszhalle.

„Ich bin immer gespannt, was von Stephan zurückkommt. Ich habe zwar eine Vorstellung, wie der Song klingen könnte, aber sie ist eher diffus. Das ist genauso wie die Vorstellung vom Aussehen meiner Romanfiguren. Wenn ich dann Schauspieler in einer Verfilmung sehe, denke ich oft: Die habe ich mir ganz anders vorgestellt. Stimmig ist die Besetzung dennoch. Wenn ich dann Stephans Songs höre, denke ich: Genau so muss es klingen, obwohl ich es mir nicht so vorgestellt habe“, erzählt Martin Suter.

Zurückhaltend und abwartend sitzt der Schriftsteller an dem rustikalen Konferenztisch. Sein Partner Eicher ist deutlich lebhafter. Oft beantwortet er einfache Fragen mit weitschweifigen Anekdoten. Oder er fällt dem ruhig erzählenden Suter ins Wort, weil ihm gerade wieder eine Idee in den Kopf gekommen ist, die er sofort loswerden muss. Manchmal antwortet er auch für seinen Partner. „Martin liebt Countrymusik“, sagt er. Suter kann immerhin noch beisteuern, dass James Taylors „Bartender’s Blues“ sein Lieblingssong ist, bevor Eicher die europäischen Wurzeln des amerikanischen Country & Western erklärt.

Seit mehr als einem Jahrzehnt ein Team

Seit mehr als einem Jahrzehnt arbeiten Suter und Eicher zusammen. Kennengelernt haben sie sich in den Bergen bei einem Literaturfestival in Leukerbad im Kanton Wallis. Einige der aktuellen Songs handeln vom Bergsteigen, doch gemeinsam losgekraxelt sind sie noch nicht. „In Leukerbad sind wir nur bis zur Hotelbar gekommen. Draußen waren Berge, die wir allerdings nicht bestiegen haben“, erzählt Eicher. „Ich schau sie gerne an“, schiebt er mit einem Lachen hinterher. Die flache Camargue scheint ihm mehr zu liegen als die Welt der Alpen.

Auf vielen seiner Alben singt Eicher auf Französisch, die zu Chansons mutierten Miniatur-Novellen im „Songbook“ sind in Bernerdeutsch verfasst. „Lyrik schreibt man am besten in seiner Muttersprache“, sagt Suter. Seine Dialekt-Poesie verschließt sich Nicht-Schweizern jedoch völlig. Die Texte sind im „Songbook“ abgedruckt, doch der Sinn erschließt sich auch nach mehrmaligem Lesen nur bedingt. „Beim Konzert werden wir Untertitel ver­wenden“, verspricht Martin Suter.

Die oft selbstironischen Geschichten im „Songbook“ drehen sich um die Liebe mit ihren Aufs und Abs, um Kneipenbegegnungen, skurrile Typen wie einen Mineraliensammler, Schweizer Besonderheiten wie die Sportart Hornussen oder um ein altes Ehepaar, das Angst vor dem Tod hat. Martin Suter, der nach Aufenthalten in Guatemala und auf Ibiza wieder in seiner Heimatstadt Zürich lebt, wird bei Auftritten der Geschichtenerzähler sein.

„Außerdem ist er ein fantastischer Mundharmonikaspieler“, lobt Eicher. Genauso euphorisch beschreibt er die Band, die mit auf Tournee geht. „Mit dem Gitarristen Martin Gallop und dem Multiinstrumentalisten Reyn Ouwehand gehören zwei Musiker und Produzenten zur Band, die normalerweise nicht auf Tournee gehen. Für uns machen sie eine Ausnahme. Einen Chor haben wir auch dabei“, so Eicher. „Eigentlich müssen wir eine Bank überfallen, um das Projekt finanzieren zu können“, ergänzt er.

Unterwegs mit Limousine und Zug

In Hamburg ist Stephan Eicher lange nicht mehr aufgetreten. Sein größter Hit datiert aus den 80er-Jahren. „Eisbär“ von seiner Band Grauzone ist ein Klassiker der Neuen Deutschen Welle. Seit den späten 80er-Jahren hat Eicher überwiegend Platten mit französischen Chansons aufgenommen und sich Texte des französischen Schriftstellers Philippe Djian schreiben lassen. In Hamburg war er zuletzt 2004 im Vorprogramm von Herbert Grönemeyer. „Nach ,Eisbär‘ wurde meine Karriere mehr von Journalisten verfolgt als vom Publikum“, sagt er. „Aber das ändert sich jetzt, weil ich den größten deutschsprachigen Mundharmonikaspieler mit mir auf der Bühne habe“, sprudelt es aus Eicher heraus – was seinen Duettpartner zum Lachen bringt.

Martin Suter, sonst allein auf Lesereisen unterwegs, freut sich auf die Tournee mit der Band. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich das noch mal erleben darf“, sagt der Schriftsteller, der in diesem Jahr 70 geworden ist. Im Tourbus möchte er jedoch nicht mitfahren: „Aus dem Alter bin ich raus. Ich mag es schon ein bisschen komfortabel.“ Für Stephan Eicher ist der Tourbus ebenfalls undenkbar: „Ich bin so lange mit 80 Stundenkilometern und schnarchenden Mitmusikern durch die Welt gefahren. Das kann ich nicht mehr.“ Suter favorisiert als Tourneegefährt eine Limousine, Eicher den Zug: „Deutschland ist doch mit der Eisenbahn gut erschlossen.“

Zur Person:

Martin Suter, Jahrgang 1948, war Werbetexter und Kolumnist, bevor er Schriftsteller wurde. Er debütierte 1997 mit dem Roman „Small World“, für den er vielfach ausgezeichnet und der später auch mit Gérard Depardieu verfilmt wurde. Zu Suters im Diogenes-Verlag erschienenen Werken, die stets weit oben auf den Bestsellerlisten landen, gehört die „Allmen“-Reihe, „Der Koch“, „Lila, Lila“ und „Ein perfekter Freund“. Zuletzt erschien Anfang des Jahres „Der Elefant“. Martin Suter lebt in Zürich.

Stephan Eicher, geboren 1960 im Schweizer Kanton Bern, ist Chansonnier. Bekannt wurde er in den 1980er-Jahren mit der Band Grauzone und deren erfolgreichstem Neue-Deutsche-Welle-Song „Eisbär“. Text und Musik stammten von Eichers Bruder Martin. Stephan Eichers Solokarriere war vor allem in der Schweiz und in Frankreich erfolgreich. Er sang schon mit Herbert Grönemeyer und Sophie Hunger, und der französische Schriftsteller Philippe Djian verfasste immer wieder Texte für seine Songs. Eicher lebt in der Camargue. HA

Stephan Eicher & Martin Suter Sa 29.9., 20.00, Laeiszhalle (U Gänsemarkt),
Johannes-Brahms-Platz 1, Karten ab 39,15; Die Reise nach Zürich erfolgte mit
Unterstützung von Live Nation