Hamburg. Serie: „Der Soundtrack meines Lebens“. Teil eins: Pianist Joja Wendt, der nur einer einzigen Musikrichtung nichts abgewinnen kann.
Für unsere Serie „Der Soundtrack meines Lebens“ haben wir mit prominenten Hamburgern Musik gehört. Ihre erste selbst gekaufte Platte, Songs, die sie in ihrer Jugend begleitet haben, bisweilen auch Musik, die ihrem Leben eine ganz neue Richtung gab. Zum Auftakt: Joja Wendt
Vorsichtig nimmt Joja Wendt die LP aus der angestoßenen Hülle, legt sie auf den alten Dual-Plattenspieler, setzt sanft die Nadel ab. Ein leichtes Kratzen aus der Leerrille, dann flutet er plötzlich durch den Raum, der Sound seiner Kindheit: „Get Down“ von Gilbert O’Sullivan. Und für einen Moment ist Joja wieder der aufgeregte Neunjährige, der in den Siebzigern die Platten seiner zweieinhalb Jahre älteren Schwester hört, die auch Härteres wie Suzi Quatros „48 Crash“ in ihrer Sammlung hat. „Musik hat die unglaubliche Macht, einen wieder in die Vergangenheit zu katapultieren“, sagt er. „Das ist wie eine Zeitreise“.
Mit großem Quatsch für Stimmung sorgen
Dass Wendt sich als erstes an Gilbert O’Sullivan erinnert, passt: Der irische Popsänger ist ebenfalls Pianist und begleitete sich bei seinen Auftritten etwa in Ilja Richters „Disco“ stets selbst. Mehr als 40 Jahre später ist Joja Wendt längst auch einer, der das Publikum am Piano unterhält. Er füllt die Laeiszhalle, mit Kollegen wie Axel Zwingenberger, Sebastian Knauer und Martin Tingvall sogar tagelang die Staatsoper. Seine Boogie-Woogie-Nummern verbreiten unablässig gute Laune, selbst beim Jazzfestival in Kenias Hauptstadt Nairobi ist er schon gefeiert worden.
Die Basis dazu legte allerdings nicht allein die älteste seiner fünf Schwestern (er hat auch noch drei Brüder) mit ihrem Musikgeschmack, sondern vor allem die Plattensammlung des Vaters. In seinem großzügigen Aufnahmestudio in Bahrenfeld holt Joja Wendt die nächste Platte aus einer voluminösen Holzkiste: eine Zusammenstellung der besten Nummern von Pianist Art Tatum, einspielt in den 40er-Jahren. Als die ersten funkelnden Läufe von „Tea For Two“ erklingen, kann er sich beim Wiederhören kaum halten vor Begeisterung: „Wie virtuos das ist! Wie das swingt! Ein Wahnsinn!“ Als er dieses Stück als Jugendlicher erstmals hörte, sei das ein Aha-Erlebnis gewesen. „Plötzlich wurde mir klar, was man auf einem Klavier alles machen kann.“ Weitere Motivation waren die TV-Auftritte und Platten von Otto Waalkes. Mit großem Quatsch für Stimmung sorgen? Warum eigentlich nicht ...
„Ich wollte lernen, lernen, lernen“
Den eher ungeliebten klassischen Klavierunterricht legte Wendt jedenfalls fix ad acta – aber das Üben nicht. „Ich habe mich morgens um 8 Uhr ans Klavier gesetzt und erst nachts um zwei aufgehört“, erinnert er sich. „Aus freien Stücken, ich wollte lernen, lernen, lernen.“ Schon während der etwas verlängerten Schulzeit („Ich hab mir Zeit gelassen und bin zweimal kleben geblieben...“) spielte er in einer Band, Blues Connection. Zu dieser Zeit traf er auch Pianist Vince Weber, damals der Freund seiner älteren Schwester.
Aus den Boxen strömt jetzt Webers „Boogie Woogie Country Girl“, und Wendt erinnert sich: „Wir waren sofort auf einer Wellenlänge, er hat mir am Klavier wahnsinnig viel gezeigt.“ Mitte der Achtziger war das, das Onkel Pö schloss, doch die Boogie-Woogie-Szene lebte. In den USA, seiner Heimat, sei der Sound kaum noch zu hören gewesen, dafür in Europa und speziell in Hamburg. „Rund um den Großneumarkt hatte jede Kneipe ein Klavier, und wenn man spielte, gab es ein Freibier. Also haben wir uns jeden Abend da getroffen.“
Nacht für Nacht war er mit Kollegen unterwegs, und eines Tages hörte ihn dort Joe Cocker. Dem war für seine anstehende Tour kurzfristig das geplante Vorprogramm weggebrochen, und als er Joja Wendt live sah, machte er ihm ein Angebot, das der nicht ablehnen konnte. „Mein Klassenlehrer hat natürlich etwas sparsam geguckt, als ich ihm mitteilte, ich würde jetzt mal zwei Wochen nicht zur Schule kommen, um mit Cocker auf Tour zu gehen ...“ 1000 Mark gab es damals pro Abend, und die Chance, sich deutschlandweit einem riesigen Publikum zu präsentieren. Im Studio hängen gerahmte Fotos und Backstage-Pässe von den Auftritten – eine ganz besondere Zeit.
Mit Cocker auf Tour
Die mitgebrachte Live-Version von „With A Little Help From My Friends“ passt also perfekt in diesen Erinnerungsnachmittag, auch weil Wendt noch mehrmals mit Cocker auf Tour war und sich andere Engagements anschlossen. Etwa bei Chuck Berry, der mit seiner Band grundsätzlich nicht probte und Pianisten, mit denen er unzufrieden war, während eines Konzerts wütend von der Bühne schmiss. Joja Wendt wusste das, ließ sich aber nicht verunsichern. Dass auch mal etwas schiefgehen könnte, darüber denkt er bis heute eher nicht nach. Er sei nun mal „fast krankhaft optimistisch“ und habe ein „sonniges Gemüt“. Das sei ihm „in die Wiege gelegt“.
Wohl ebenso wie die große Offenheit für andere Musikrichtungen. Der 53-Jährige holt AC/DCs „Highway To Hell“ aus der Kiste und erinnert sich an einen – natürlich erfolgreichen – Auftritt beim Wacken Open Air, einem der größten Heavy Metal Festivals der Welt. Er begeistert sich für die mitgebrachte Aufnahme von Vladimir Horowitz’ „Carmen Varitationen“ („Boah, ist der Bursche schnell!“), die er jetzt endlich auch spielen könne, und erzählt davon, dass ihm Dünkel oder Berührungsängste völlig fremd sind. Ob „Zu Gast bei Carmen Nebel“ oder „TV total“: Wenn Joja Wendt ein großes Publikum erreichen konnte, hat er immer zugegriffen. Eines der erfolgreichsten Jahre seiner Karriere verdankt er dem Auftritt bei „Wetten, dass ..?“ im November 2008. Sein Motto: Man muss nicht nur gut sein, man muss auch dafür sorgen, dass andere es merken.
Nicht mehr als 88 Konzerte im Jahr
Gibt es überhaupt Musik, mit der er nichts anfangen kann? Kaum. Auch die als Nagelprobe eingeschmuggelten, sperrigen „Notturni“ des zeitgenössischen Komponisten Salvatore Sciarrino begeistern ihn. Selbst würde er diese Neue Musik sicher nicht spielen, aber ihn fasziniert das musikalisch-mathematische Konzept dahinter, das er sogleich mit Johann Sebastian Bach in Verbindung bringt. Einzig mit Reggae tut er sich schwer. „Abhängermusik“ sei das für ihn, und ein Abhänger ist er eben einfach nicht. Sondern ein Anpacker, bisweilen ein Workaholic.
Gerade war er in New York, um ein Jazz-Trio-Programm aufzunehmen, mit dem er im kommenden Jahr auf Festivals zu erleben ist. Und dann steht ja auch der beliebt-bewährte „Pianosommer“ an, bei dem er am 20. und 21. August in der Hamburgischen Staatsoper gemeinsam mit Sebastian Knauer, Axel Zwingenberger und Martin Tingvall für gehobenes Entertainment zwischen Klassik und Jazz sorgt.
„Ich versuche, nicht mehr als 88 Konzerte im Jahr zu geben“, sagt Joja Wendt und zwinkert. 88 Tasten hat ein Klavier, diese Selbstbeschränkung würde also passen. Doch wenn die deutsche Botschaft ihn mal wieder als fröhlich-virtuosen Kulturbotschafter braucht („Die Deutschen gelten im Ausland ja sonst eher als steif ...“), wird er kaum Nein sagen. Es nützt ja nichts: Seitdem mit Gilbert O’Sullivans „Get Down“ seine Liebe zur Musik entflammte, gibt es einfach kein Zurück mehr.
„Hamburger Pianosommer“ Mo/Di 20./21.8., jeweils 20.00, Hamburgische Staatsoper, Karten zu 28,50 bis 64,- in der Abendblatt-Geschäftsstelle (Großer Burstah 18-32) und unter T. 30 30 98 98 „Joja Wendt: Stars on 88“ Mo 3.12., 20.00, TriBühne Norderstedt + Di 4.12., 20.00,
Laeiszhalle, Karten ab 46,10 im Vorverkauf; www.jojawendt.com