Hamburg. 944 Ehen gleichgeschlechtlicher Paare wurden seit Oktober 2017 geschlossen. CSD-Parade zieht durch St. Georg und die Innenstadt.
Es ist wohl die größte, bunteste und schrillste Party des Jahres: Mit der traditionellen Parade durch St. Georg und die Innenstadt – in diesem Jahr unter dem Motto „Freie Bahn für Genderwahn“ – erinnern Schwule, Lesben, Transsexuelle und ihre Freunde am heutigen Sonnabend an den Christopher Street Day (CSD).
Am 28. Juni 1969 hatten Homosexuelle, Dragqueens und Transsexuelle nach einer Razzia in einer Bar an der Christopher Street in Greenwich Village (New York) gegen schikanöse Polizeikontrollen protestiert und damit tagelange Straßenschlachten ausgelöst. Zur CSD-Parade, die in Hamburg zum 38. Mal stattfindet, werden rund 300.000 Teilnehmer erwartet.
Demo für die Rechte sexueller Minderheiten
Der fröhliche Umzug ist zugleich eine Demonstration für die Rechte sexueller Minderheiten. Im Bewusstsein vieler Teilnehmer dürfte daher eine zentrale Rolle spielen, dass es die erste CSD-Parade nach Einführung der Ehe für alle ist. Eine erste Bilanz der Standesämter in den sieben Bezirken zeigt: Schwule und Lesben nutzen die neue Rechtsform, die zum Beispiel das Adoptivrecht einschließt – anders als die jetzt abgelöste „eingetragene Lebenspartnerschaft“ als abgeschwächte Form.
Kommentar: Die CSD-Parade ist weiter nötig
Seit dem Start der Ehe für alle am 1. Oktober 2017 haben in Hamburg exakt 944 gleichgeschlechtliche Paare geheiratet. In 339 Fällen gaben sich zwei Frauen das Jawort – das sind 35 Prozent. Insgesamt sind 560 Ehen Homosexueller (59 Prozent) aus eingetragenen Lebenspartnerschaften hervorgegangen, haben ihren Status also umgewandelt. 384 Paare haben „neu“ geheiratet.
160 Eheschließungen in Wandsbek
Spitzenreiter ist das Standesamt Eimsbüttel, wo allein 225 Ehen geschlossen wurden und die Zahl „neuer“ Ehen mit 134 besonders hoch war. Rund 27 Prozent aller Eheschließungen in Eimsbüttel fanden zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren statt – auch das ein Spitzenwert. In Hamburg-Nord wurden 209 Ehen für alle (18 Prozent aller Hochzeiten) geschlossen, wobei die Zahl der Umwandler mit 159 besonders hoch war. In Mitte wurden 125 Ehen Homosexueller registriert (21 Prozent), in Altona waren es 144, die nur elf Prozent aller Eheschließungen ausmachten.
Im einwohnerstärksten Bezirk Wandsbek gab es 160 Eheschließungen von Schwulen und Lesben (19 Prozent), in den kleineren Bezirken Bergedorf und Harburg waren es 38 und 43 Hochzeiten. Hier war der Anteil an allen geschlossenen Ehen mit jeweils acht Prozent besonders niedrig. Nach Angaben des Statistischen Amtes gab es Ende des vergangenen Jahres 5545 eingetragene Lebenspartnerschaften, neuere Zahlen liegen noch nicht vor.
791 Bündnisse wieder gelöst
Auch diese Partnerschaften können kriseln und scheitern: Seit Einführung der Lebenspartnerschaften 2001 wurden in Hamburg 791 Bündnisse wieder gelöst. In 216 Fällen starb einer der beiden Partner. „Die Ehe für alle ist im vergangenen Jahr endlich Wirklichkeit geworden. Das war ein langer Kampf“, sagt die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne), die auch Gleichstellungssenatorin ist.
„Endlich können Lesben und Schwule auch in Deutschland heiraten, füreinander einstehen, Familien gründen und gemeinsam Kinder großziehen – egal, welches Geschlecht man hat.“ Der SPD-Bundestagabgeordnete Johannes Kahrs, der sich 20 Jahre lang für die Ehe für alle auf Bundesebene eingesetzt hat, sagt: „Im Kern ist es so, dass wir alle unendlich stolz sind.“ Es sei in den vergangenen Jahren eine „sehr große Normalität“ beim Thema Homosexualität eingetreten, was zu Zufriedenheit bei den Betroffenen geführt habe.
Noch nicht alle Ungleichheiten vom Tisch
Sowohl Fegebank als auch Kahrs machen aber deutlich, dass noch nicht alle Ungleichheiten vom Tisch sind. „Unser Abstammungsrecht führt noch dazu, dass ein in eine gleichgeschlechtliche Ehe geborenes Kind nicht automatisch zwei rechtliche Elternteile hat“, sagt Fegebank. Dafür sei derzeit ein weiteres Adoptionsverfahren der „Co-Mutter“ nötig. Auch die Rechte von trans- und intersexuellen Menschen seien weiterhin ein Thema.
Kahrs sieht als eine künftige Aufgabe den Kampf gegen Alltagsdiskriminierung an. „Es muss möglich sein, ein Outing schmerzfrei hinzubekommen“, sagt Kahrs. Noch immer sei die Selbstmordrate schwuler und lesbischer Jugendlicher um ein Vielfaches höher als die Rate heterosexueller Gleichaltriger.
„Ein Drittel der Deutschen lehnt die Ehe für alle nach wie vor ab. Mit der rechtlichen Gleichstellung steigt also nicht automatisch die Akzeptanz. Die AfD-Bundestagsfraktion hat zudem angekündigt, die Ehe für alle wieder abschaffen zu wollen“, sagt Stefan Mielchen, Erster Vorsitzender des Vereins „hamburgpride“. Wolfgang Preußner, Vorstand des Lesben- und Schwulenverbands Hamburg, sieht einen täglichen Kampf gegen Homophobie. „Wir wollen ins Grundgesetz. Der Schutz der sexuellen Identität muss in Artikel 3 aufgenommen werden“, sagt Preußner.