Die von den Grünen abservierte Politikerin ist mit großer Mehrheit wiedergewählt worden. Die türkische Gemeinde steht hinter der 49-Jährigen.
Am einfachsten ist es immer, einem allein die ganze Schuld zu geben. Oder einer. Diesmal heißt die Schuldige Nebahat Güçlü. Bis vor ein paar Wochen galt die 49-jährige Deutschtürkin noch als Vorzeige-Grüne, sie stand glaubhaft für gelungene Integration, interkulturelle Offenheit und den Kampf gegen Rassismus und Vorurteile. Ende des vergangenen Jahrzehnts war die eingebürgerte Germanistin und Politologin sogar Vizepräsidentin der ehrwürdigen Hamburgischen Bürgerschaft. Seit vier Jahren ist sie beim Paritätischen Wohlfahrtsverband als Projektleiterin für die Zusammenarbeit mit Migrantenverbänden zuständig – und seit 2012 führt sie die Türkische Gemeinde Hamburg.
Am Sonntagabend stellte Güçlü sich zur Wahl – und wurde mit großer Mehrheit im Amt bestätigt. Sie erhielt 63 Stimmen, ihr Gegenkandidat 29. Damit bleibt Güçlü trotz allem die Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Hamburg. Ihr unerwarteter und tiefer Absturz hatte an einem Sonntag zu Beginn dieses Jahres begonnen. Als Kandidatin für die Bürgerschaftswahl von den Grünen auf dem mittelmäßigen Platz 25 der Landesliste nominiert, setzte Güçlü von Beginn an auf das Wahlrecht, das alle Kandidaten mithilfe von ein paar Tausend Personenstimmen weit nach vorne und damit ins Parlament katapultieren kann. Natürlich lag es nahe, dass die vor allem in der Migrantenszene bestens verdrahtete Mutter einer erwachsenen Tochter auf Stimmen aus diesem Milieu setzte. So nahm sie auch eine Einladung der Türk Federasyon an, einer Tochterorganisation der rechtsextremen türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), zu denen auch die Grauen Wölfe gerechnet werden.
Laut Verfassungsschutz liegt der Bewegung „ein übersteigerter türkischer Nationalismus zugrunde, der mit einer Überhöhung der eigenen Ethnie und einer Abwertung anderer Ethnien gepaart ist“. Die Grauen Wölfe werden für viele Morde in der Türkei verantwortlich gemacht. Ein paar Minuten redete Güçlü an jenem 18. Januar unter den Fotos der Gründerväter der rechtsextremen Bewegung über die große Bedeutung der Bildung.
Man kann mit guten Gründen bezweifeln, dass so etwas das passende Umfeld für einen Wahlkampfauftritt einer grünen Antirassistin ist. Es sei denn, man vertritt die Ansicht, dass Demokraten überall hingehen müssen, um Überzeugungsarbeit zu leisten – auch und gerade zu Radikalen. Die Parteiführung der Grünen vertritt diese Auffassung offensichtlich nicht. Denn nach Bekanntwerden des Auftritts forderte sie von Güçlü den sofortigen Verzicht auf ihre Kandidatur und leitete, als diese sich weigerte, ein Parteiausschlussverfahren ein.
„Wir müssen sicherstellen, dass wir in der Öffentlichkeit den Eindruck wegbekommen, wir würden uns von Rechten hochwählen lassen“, heißt es im Protokoll der grünen Vorstandssitzung dazu. „Das jetzt vereinbarte Verfahren muss bis zur Wahl durchzuhalten sein.
Sollte sich herausstellen, dass keine Grundlage für Parteiausschluss besteht, dann wird dies das Schiedsgericht nach der Wahl feststellen und der Landesvorstand wird sich entschuldigen.“ Mit anderen Worten: Für eine genaue Bewertung des Themas blieb keine Zeit. Die bisher über Zweifel an ihrer demokratischen Gesinnung erhabene Güçlü musste aus wahltaktischen Erwägungen als unbelehrbare Nationalistin hingestellt werden.
Grüner Totenkopf an Güclüs Hauswand
All das hatte Folgen: An Güçlüs Hauswand wurde ein grüner Totenkopf gesprüht, sie erhielt Drohbriefe, in denen sie als „Nazi-Türkin“ und „Nazi-Schwein der Neuzeit“ bezeichnet wurde, dem man „die Kehle durchschneiden“ solle. Die Verteidigung Güclüs war derweil widersprüchlich und wirkte einigermaßen naiv. So sagte sie zunächst, sie habe gar nicht gewusst, wo sie aufgetreten sei. Bestärkt durch die öffentliche Empörung wandten sich Vertreter der alevitischen Verbände an Güçlüs Arbeitgeber, den Paritätischen Wohlfahrtsverband. In einem Brief vom Februar schrieben sie: „Wir erwarten ... eine sofortige Stellungnahme und Konsequenzen für Frau Güçlü. Falls dies nicht erfolgen sollte, werden wir ... gänzlich auf jede Zusammenarbeit mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband verzichten.“ Nachdem ein klärendes Gespräch nicht zustande kam, schickte der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Joachim Speicher, Güçlü Mitte März die Kündigung – ohne Angabe von Gründen.
„Der Auftritt von Nebahat Güçlü bei der Türkischen Föderation am 18. Januar hat zu Beschwerden bei uns geführt“, sagte Speicher. „Wir haben mehrmalig ausdrücklich ein klärendes Gespräch zwischen Nebahat Güçlü und einigen Beschwerdeführern gesucht. Nebahat Güçlü verweigerte dies.“ Güçlü stellt die Lage anders dar: „Ich habe ein Gespräch mit den Vertretern der Verbände nicht abgelehnt. Ich habe lediglich gebeten, eine Begleitung mitbringen zu können, um nicht fünf Externen allein gegenübersitzen zu müssen. Das wurde abgelehnt.“
So oder so: Für manche Beobachter stellt sich das Ganze wie eine soziale Vernichtung dar: erst die öffentliche Bloßstellung, dann auch noch der Jobverlust. „Es ist eine demokratische Katastrophe, dass sich so etwas bis über den Arbeitgeber fortsetzt“, sagt etwa der zum Jahreswechsel ausgetretene Ur-Grüne Aram Ockert. Und wirft angesichts der hochmoralischen Vorwürfe gegen Güçlü die Frage auf, „mit welchen Faschisten Grünen-Vize Manuel Sarrazin denn in der Ukraine auf dem Maidan zusammengestanden hat“.
Güçlü selbst hat es bei der Wahl vom 15. Februar, vielleicht sogar wegen des Trubels, mit vielen Tausend Personenstimmen in die Bürgerschaft geschafft. Mit dem Ausschlussverfahren ist die Parteiführung vor dem Schiedsgericht gescheitert. Güçlü ist aber mittlerweile bei den Grünen ausgetreten. „Beim Verhalten der Grünen haben ganz andere Gründe eine Rolle gespielt. Da ging es um parteiinterne Konkurrenz“, sagt sie heute.