Hamburg. Pjotr Meshvinski will Jüdisches Kammerorchester Hamburg wiederbeleben. Es war als Reaktion auf Nazis gegründet worden.

Pjotr Meshvinskis Mission beginnt gleich vor seiner Haustür. Jeder der zahlreichen Stolpersteine im Pflaster der Wexstraße steht für das Schicksal eines jüdischen Bewohners unter der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft, jeder Stolperstein erinnert Meshvinski an sein Ziel: Er will das Jüdische Kammerorchester Hamburg wiederbeleben.

Jüdisches Kammerorchester Hamburg? Nie gehört. Wenn es um die Musikgeschichte der Hansestadt in den Jahren 1933 bis 1945 geht, werden die Informationen erstaunlich dürr. Man muss schon mit jemandem reden, den das, was damals geschah, selbst betrifft. Mit jemandem wie Meshvinski. Er ist Jude. Und er ist Musiker.

„Mehr als mein Cello brauche ich nicht“

Genauer Cellist. Durch und durch. Sein Vater war Cellist im Orchester des berühmten Petersburger Mariinksy Theaters, sein Großvater Solocellist im Opernhaus von Odessa, wo dank jüdischer Musiker das Musikleben einst auf einzigartige Weise blühte. „Mehr als mein Cello brauche ich nicht“, sagt Meshvinski in seinem weichen, russisch gefärbten Singsang. Wie der 52-Jährige, wacher Blick, dunkler Haarkranz, an einem strahlenden Tag in einem Café in der Innenstadt sitzt und mit dem Kellner scherzt, scheint das Leben leicht zu sein.

Aber Meshvinski hat andere Zeiten erlebt. 1991, er hatte gerade sein Cellostudium in Moskau abgeschlossen, kam er mit nichts als seinem Cello als sogenannter Kontingentflüchtling nach Hamburg. Blieb, holte die Familie nach und trat der Jüdischen Gemeinde Hamburg bei. Er studierte noch weiter an der Hamburger Musikhochschule, dann gründete ein Kammermusik-Ensemble, die St. Petersburg Virtuosen. Seitdem schlägt er sich als freischaffender Musiker durch.

1933 erging das Berufsbeamtengesetz

„Vor ungefähr 15 Jahren habe ich zufällig gehört, dass es das Jüdische Kammerorchester Hamburg gab“, sagt Meshvinski. „Da fing das Thema an, in meinem Kopf zu kreisen.“ Vor zwei Jahren war die Idee der Wiederbelebung dann reif. Ein erstes Benefizkonzert zugunsten des Jewish Chamber Orchestra Hamburg, wie das Ensemble künftig heißen soll, hat schon stattgefunden: Im Lichtwarksaal haben Meshvinskis Frau und der gemeinsame Sohn an Geige und Bratsche, er selbst am Cello sowie seine Schwägerin am Klavier Werke von Mozart, Beethoven und Schubert gespielt, aber auch von dem russischen Romantiker Michail Glinka und von Hans Krása, der in Auschwitz ermordet wurde. Die „Passacaglia und Fuge für Violine, Viola und Violoncello“ schrieb der Komponist in seinem Todesjahr in Theresienstadt.

„Jüdisch“: Schon das abgrenzende Attribut im Namen des Kammerorchesters weist auf die Zeitenwende hin. Vor 1933 gehörten jüdische Musiker ungeachtet der zunehmenden antisemitischen Stimmung zum Musikleben selbstverständlich dazu. Doch schon im Jahr der Machtergreifung erließen die Nazis die ersten einer langen Reihe von Gesetzen, die den in Deutschland lebenden Juden allmählich die Existenz abschnüren sollten. Im April 1933 erging das berüch­tigte Berufsbeamtengesetz. Auf seiner Grundlage wurden jüdische Mitarbeiter staatlicher und städtischer Einrichtungen, auch Orchestermusiker, nach und nach entlassen.

Kulturelle Gettoisierung

Bereits im März 1933 war Leopold Sachse zwangspensioniert worden, der Intendant des Hamburger Stadttheaters, wie die Staatsoper damals noch hieß. Im Mai gründete er die „Gemeinschaft Jüdischer Künstler“, aus der später der Jüdische Kulturbund Hamburg hervorging.

Im von der allgemeinen Öffentlichkeit separierten Umfeld des Kulturbunds durften jüdische Künstler noch konzertieren. Doch was von Sachse als Akt der Solidarität mit notleidenden Kollegen gedacht war, nutzte dem Regime perfiderweise gleich doppelt. Zum einen konnten sie sich damit schmücken, diese Kulturpflege zu dulden, zum anderen wurde gerade dadurch die kulturelle Gettoisierung der Juden beschleunigt.

Programme waren stilistisch bunt gemischt

Im Oktober 1934 gab das Jüdische Kammerorchester Hamburg sein Debütkonzert im Kleinen Saal der Musikhalle. Die Programme des Jüdischen Kammerorchesters waren stilistisch bunt gemischt, wie es dem Geschmack der Zeit entsprach. Religiöse und weltanschauliche Überzeugungen der Komponisten, vom Freimaurer Mozart bis zu dem Hamburger Juden Berthold Goldschmidt, einem bedeutenden Vertreter der klassischen Moderne, spielten dabei keine Rolle. Vier Konzerte hat das Ensemble bis Anfang 1935 unter seinem Dirigenten Edvard Moritz gegeben, dann verstummte es.

Das Niveau muss makellos gewesen sein; die Mitglieder waren damals bekannte Berufsmusiker. Konzertmeisterin war die Geigerin Hertha Kahn, die in den Jahren der Weimarer Republik eine glänzende Karriere machte. Aber wer kennt ihren Namen heute noch? Die Vernichtungsmaschinerie fasste ihre künftigen Opfer in einem „Lexikon der Juden in der Musik“ ins Auge – und sie arbeitete gründlich. In vielen Fällen ist nicht einmal die Erinnerung geblieben.

„Antisemitismus ist in fast jedem drin“

Pjotr Meshvinski hat Ausgrenzung, Drangsalierung und Existenzangst am eigenen Leib erlebt. In seinem russischen Pass stand „Jude“. Den kleinen Jungen, der er war, beschimpften andere Kinder auf der Straße in St. Petersburg als Juden. „Ich wusste gar nicht, was ein Jude ist“, sagt Meshvinski, die Familie war nicht religiös. „Wer in die Synagoge ging, kam auf irgendwelche Listen und musste Nachteile befürchten“, sagt Meshvinski. „Mein Vater hätte vielleicht kein Ausreisevisum für die Orchestertourneen bekommen.“ Zu Sowjetzeiten war Religionsausübung gefährlich – wie gefährlich, wusste man nicht.

Staatliche Verfolgung befürchtet Meshvinski in Hamburg nicht. „Aber Antisemitismus ist in fast jedem drin. Ich habe das Gefühl, wenn heute jemand so machen würde“ – Meshvinski schnippt mit den Fingern – „dann ginge es wieder los“, sagt er ohne erkennbare Regung. „Aber das ist nur ein Gefühl.“

Er bleibt trotzdem. Und fügt dem Gedenken an die finsterste Zeit der deutschen Geschichte sein eigenes Mosaiksteinchen hinzu.

Infos unter jco-hamburg.de