Hamburg. Sechster Teil: im Cockpit eines Airbus 320 – ein Koloss, der durch feinste Bewegungen eines Bedienhebels gelenkt wird.
Verdammt. Ein warnender Alarm trötet durchs Cockpit. Die laute Stimmen des Bordcomputers warnt „Pull up!“ und „Glide slope“. Die Triebwerke fangen an zu heulen. Wir befinden uns im Sinkflug und in furchterregender Schräglage. Mein Herz klopft wie wild. „Pull up“ ist klar: Ich soll die Nase hochziehen, um nicht am Boden aufzuschlagen. Was aber heißt „Glide slope“? Ein nervöser Blick zum Co-Piloten: „Signifikant vom Gleitweg abgekommen“, sagt er trocken.
Das ist nicht zu übersehen. Alster, Elbe und Hafen kommen immer näher – dabei sollten wir eigentlich im Landeanflug auf den Hamburger Flughafen sein. „Pull up“, „Glide slope“, immer wieder der Alarmton – meine Knie werden weich. Ich versuche, mich zu beruhigen. Noch sind wir hoch genug über der Stadt. Kein Grund zur Panik. Ich habe genügend Zeit, den Airbus A320 im Landeanflug wieder in Position zu bringen. Denke ich.
Alarm-Kakophonie ist nervenaufreibend
Doch schon die ganze Zeit hatte ich Schwierigkeiten, das 47 Tonnen schwere Flugzeug zu lenken. Das fing schon auf dem Hamburger Flughafen an. Nachdem ich auf Anweisungen meines Flight-Instructors Walter Weyers die Take-off-Checklist abgearbeitet, die Park-Brake gelöst und die Triebwerke angeworfen hatte, sollte ich auf der gelben „Taxilinie“ zur Startbahn rollen. Es wurde ein ziemliches Geschlinger, da ich mit dem Tiller-Wheel-Handrad, mit dem der Airbus am Boden gelenkt wird, nicht zurechtgekommen bin. Hier oben in der Luft wird mit dem Sidestick gelenkt, und offensichtlich bin ich damit genauso überfordert.
„Pull up“, „Glide slope“, tröt. Die Alarm-Kakophonie ist nervenaufreibend. Dabei hatte eigentlich alles ganz gut angefangen. Ein bisschen aufgeregt und höchst beeindruckt von der Vielzahl an Schalter, Knöpfen, Hebeln und Displays hatte ich auf dem Pilotensitz im Cockpit des A320 Platz genommen. Hier drin ist alles echt: Die Flugzeugnase samt Elektronik stammt aus einem ausrangierten Airbus der brasilianischen Airline TAM. Walter Weyers, der Luft- und Raumfahrtechnik studiert hat, hat mit viel Eigenleistung und IT-Kenntnissen daraus einen Flugsimulator bauen lassen. Der ist so echt, dass er sogar von Piloten zum Üben genutzt wird – nur die Flugzeugbewegungen, die in einem (deutlich teureren) „Full Flight Simulator“ ebenfalls dargestellt werden, fehlen.
Die armen Männer
„Unser Hauptgeschäft machen wir im Entertainmentbereich“, hatte mir Flight-Instructor Weyers von YOURCockpit vor dem Flug erklärt. Meist kommen Männer, die das Fliegen im Simulator von ihren Frauen zu Weihnachten oder zum Geburtstag bekommen haben. Dass Frauen oft die gefühlvolleren Piloten seien, konnte Weyers schon oft feststellen – nämlich immer dann, wenn ein überforderter Mann mit den Worten „Mach du’s doch besser!“ seiner Frau den Pilotensitz überlassen hat.
Ich kann die armen Männer verstehen. Aber ich habe niemanden dabei, der an meiner Stelle übernehmen könnte. Und so versuche ich, dem im „Primary Flight Display“ vorgegebenen Kurs zu folgen. Flugzeug und Kurs sind als Punkte dargestellt, die möglichst übereinander liegen sollen. „Das kann ja nicht so schwer sein“, hatte ich vorhin noch getönt, als Weyers mich in die Bedienung der wichtigsten Instrumente eingewiesen hatte. Nicht so schwer? Von wegen! Ich muss durch millimetergenaues Bewegen des Sidesticks ein mehr als 40 Tonnen schweres Flugzeug so lenken, dass es einem winzigen Punkt folgt.
Sidestick ist einem Joystick sehr ähnlich
Ob das Menschen leichter fällt, die regelmäßig am Computer spielen? Der Sidestick ist einem Joystick sehr ähnlich. Ich aber bin nicht geübt darin, feinste Bewegungen über einen Hebel auszuführen. Gerade weiß ich überhaupt nicht, in welche Richtung ich ihn bewegen soll, um die Maschine wieder einzufangen. „Pull up“, „Glide slope“ – alle paar Sekunden erhebt der Bordcomputer seine Stimme.
Mir wird flau in der Magengrube. Albern, denke ich. Walter Weyers kann jederzeit auf den Knopf drücken oder eingreifen. Warum tut er es nicht? Wir kommen der Hamburger Innenstadt unter uns immer näher. „Pull up!“ Ich versuche, durch millimeterweises Ziehen des Sidesticks die Flugzeugnase wieder nach oben zu bringen, und ihn gleichzeitig ein bisschen nach rechts zu drücken, damit wir wieder in eine stabile Lage kommen. Der Airbus reagiert nicht. Muss ich vielleicht doch nach links drücken? Nein, das Heulen der Triebwerke wird lauter. Also doch rechts? Vielleicht energischer? Ja, schon besser. Aber warum kriege ich die Nase nicht hoch?
„Sehen Sie mal raus, da hinten ist die Landebahn“, sagt Weyers. Was? Jetzt auch noch rausgucken? Dann verliere ich den schwarzen Punkt ja völlig aus den Augen. Doch offenbar hat mein Flight-Instructor entschieden, dass ich jetzt nach Sicht fliegen soll. „Pull up“, „Glide slope“. Herrje. Ich riskiere einen schnellen Blick. Tatsächlich, da hinten ist der Hamburger Flughafen zu sehen. Da soll ich also hin? Okay.
Offenbar habe ich mehr Talent für den Sichtflug, denn plötzlich geht alles viel leichter. Ich bringe den Vogel wieder auf Kurs. Die nervtötenden Stimmen verstummen, die Triebwerke klingen wieder normal. Wie intensiv mich Walter Weyers gerade unterstützt hat, weiß ich nicht. Ähnlich wie in einem Fahrschulauto hat er nämlich stets die Möglichkeit gehabt, einzugreifen und das Schlimmste zu verhindern. Ich werde ihn später fragen.
Bloß nicht doch noch eine Bruchlandung
Jetzt gilt es erst mal, einigermaßen Kurs auf die Landebahn zu nehmen. „Fahrwerk raus“ ordnet mein Co-Pilot an. Äußerlich cool, aber immer noch mit Herzklopfen, suche in den „Gear Lever“, den Fahrwerkshebel. War er nicht irgendwo etwas weiter rechts im Cockpit? Ja, dort, zwischen dem Navigations-Display und dem früher „Uhrenladen“ genannten Multifunktions-Display. Ich drücke ihn nach unten. Es poltert – ein Geräusch, das mich früher, bei meinen ersten Flügen, oft erschreckt hat. (Übrigens, hat mir Walter Weyers erzählt, begleitet eine Psychologin in seinem Simulator auch Patienten mit Flugangst).
Dann zählt die Stimme des Bordcomputers die Höhe runter, in Fuß. „900“ – „800“ – „700“. Sie klingt entspannter als vorhin. Ich werde trotzdem wieder nervös. Die Landebahn kommt immer näher. Nicht, das ich zu guter Letzt doch noch eine Bruchlandung hinlege. „300“ – „200“. Ab „100“ geht es in Zehnerschritten weiter. Nach „10“ kommt der Befehl „Retard!“.
Ich ziehe die Flugzeugnase erst sachte hoch, damit der Airbus hinten aufsetzt, und drücke sie dann wieder runter. Löse die Verriegelung am Schubhebel neben mir (alle Hebel haben aus Sicherheitsgründen Sperren) und ziehe ihn nach hinten. Jetzt blasen die Triebwerke im Umkehrschub entgegen der Fahrtrichtung. Weil das nicht reicht, um einen Airbus zum Stehen zu bringen, drücke ich mit aller Kraft die Pedale nach vorne, auf denen meine Füße während des Fluges geruht haben. Wir werden langsamer. Dann taucht die Taxilinie auf, an der ich den Airbus zum Parkplatz manövriere. „Da haben Sie doch eine ganz gute Landung hingekriegt“, sagt Walter Weyers. Das finde ich auch.
Gutmütiger Airbus A320
Wie gut, dass ich mich für diese Geschichte für den doch gutmütigen Airbus A320 entschieden habe. Wie sehr hätte ich erst am Steuerknüppel des sehr viel schwerer zu bedienenden Helikopters versagt? Der Bell UH1-D ist das Pendant zu dem ehemaligen Hamburger Rettungshubschrauber „Anneliese“, der 2002 in Hummelsbüttel abgestürzt ist. Noch schlechter hätte ich sicher als Kampfpilotin abgeschnitten. Von einem Düsenjäger gibt es bei YOURCockpit zwar keinen Simulator, dafür aber eine Virtual-Reality-Brille. Wer sie trägt, kann sich im Mustang P51 beim Pirouetten- oder Loopingdrehen versuchen.
Der Airbus war für mich aufregend genug. Aber es hat auch Riesenspaß gemacht. (Und, sagt Weyers später, er habe nicht eingegriffen!) Ich kann alle verstehen, die Pilot werden wollen. Wenn selbst ich im Simulator trotz des Beinahe-Absturzes die Faszination gespürt habe, die das Beherrschen von so viel Stahl und Technik auslöst ... wie toll muss das Fliegen dann erst in Wirklichkeit sein?