Hamburg. Vierter Teil der Serie: Beim Paintball wird mit Farbkugeln geschossen. Dafür muss man schnell sein – und mit blauen Flecken rechnen.

Der Spaß ist vorbei, als die Kollegin im Hasenkostüm ihre Waffe auf mich richtet. Ich breite die Arme aus und hole Luft. Vielleicht sollte ich beten. An etwas Schönes denken. Wird schon nicht so schlimm sein. Zu spät. Die Kugel schlägt mit einem Schmatzen auf meinem linken Oberarm ein. Der Schmerz brennt, zieht Kreise, der Farbmatsch klebt. „Angenehm?“, fragt die Frau, sie lacht. Es hatte doch so schön angefangen.

Mit Van-Damme-hafter Entschlossenheit stand ich zwei Stunden zuvor vor der Halle in Bramfeld, auf einer Mauer vor der Anlage wellt sich Stacheldraht. Paintball, das muss doch ein Klacks sein für einen Polizeireporter wie mich. Kein Sport für Suppenkasper, aber bestimmt auch nicht so schlimm wie ein G-20-Gipfel an vorderster Front. Ein Kollege sagte vor der Schlacht kurzfristig am Telefon ab, private Termine, aha, ja klar, das versteht man natürlich, Waschlappen.

Rambos kommen auf dem Spielfeld nicht weit

Dafür haben sich drei andere kernige Kollegen freiwillig gemeldet: Annika, Lara und Sinan. Das Team von City Paintball erwartet uns an einem langen Tresen, allesamt ruhige Kerle mit wissendem Grinsen. „Paintball ist taktisch, schnell“, sagt einer von ihnen. Nichts für Rambos, Zielen und die richtigen Bewegungen sind wichtiger. Und doch ein satter Kontrast zum alltäglichen Leben, zum Benehmen, Immer-artig-Anschnallen und Grüßen, zum Harmlossein.

Die Abendblatt-Reporter vor dem Paintball-Gefecht: Annika Koop, Sinan Yener, Christoph Heinemann und Lara Frericks (v. l.)
Die Abendblatt-Reporter vor dem Paintball-Gefecht: Annika Koop, Sinan Yener, Christoph Heinemann und Lara Frericks (v. l.) © HA | Michael Rauhe

Es sind häufig Gruppen aus Unternehmen und von Junggesellenabschieden, die sich in Teams die Farbkugeln um die Ohren feuern und dabei noch besser kennenlernen. Meine Kollegin Annika zeigt auf das plüschige Hasenkostüm an der Wand zwischen den Schutzoveralls, „das ist ja cool“, sagt sie; zur Belohnung muss sie es selbst beim Spiel anziehen. Da ist ein Dokument, das wir unterschreiben müssen, vermutlich steht drin, dass wir nicht betrunken sind und das hier freiwillig machen, falls etwas furchtbar schiefgeht. Das Adrenalin pumpt schon durch den Körper, und die Kugelschreiber gleiten schnell über das Papier.

Wo? Wie? Wann?

Der Spielleiter Marvin erklärt uns die Ausrüstung. Der sogenannte Marker als Waffe, Sicherungskappe, Kimme und Korn, Maske, Halsschutz. „Die Kugeln werden mit Druckluft bis zu 300 Kilometer pro Stunde schnell“, sagt er noch. Wer getroffen wird, hebt die Hand und ist raus aus dem Spiel. Wer auf dem Spielfeld seine Maske absetzt oder seine Waffe im restlichen Teil der Anlage nicht sichert, fliegt nach einer Ermahnung aus der gesamten Anlage. „Männer, wollt ihr eure Eier schützen?“ Wir nicken wie die Spechte. Der Lendengurt nimmt bald die größte Angst.

Abendblatt-Redakteur Christoph Heinemann geht beim Paintball hinter einem Palettenstapel in Deckung. Um zu gewinnen, müssen die Spieler in Bewegung bleiben
Abendblatt-Redakteur Christoph Heinemann geht beim Paintball hinter einem Palettenstapel in Deckung. Um zu gewinnen, müssen die Spieler in Bewegung bleiben © HA | Michael Rauhe

Unser Spielfeld liegt im Erdgeschoss, eine verwinkelte Halle, der Boden schon schmierig übersät von Farbflecken. Reifenstapel stehen herum, ein leerer Transporter. Die Damen wollen ein Team bilden, rufen noch „Frauen-Power“ und klatschen sich ab. Mit meinem Kollegen Serin stelle ich mich auf. „Drei, zwei, eins, los.“

Das wäre jetzt der Moment, taktisch vorzugehen, denke ich noch. Wie ein SWAT-Team, schnelle Handzeichen, klare Aufgabenteilung, sauberer Zugriff. Aber schon auf den ersten Metern fährt der Plan zur Hölle. Plok, plok, plok. Die gegnerischen Farbkugeln schlagen ein. Neben mir. Hinter mir. Über mir. Ich Becker-hechte hinter einen Stapel Holzpaletten. Meine Kolleginnen hielt ich für charmante, junge Frauen. Jetzt sind sie Killermaschinen mit Overall und Schlappohren.

Sicht unter der Maske ist eng

Durchatmen. Optionen abwägen. Die Sicht unter der Maske ist eng, mein Mitspieler könnte schon vollgesprenkelt sein. Zwischen den Schüssen ist eine merkwürdige Ruhe, vielleicht sind die Gegnerinnen jetzt in Deckung, vielleicht warten sie aber auch nur, mich per Kopfschuss auf den Weg alles Irdischen zu schicken.

Die harmlosere Variante der Farbschlacht:
Für Kinder und Jugendliche wird in Bramfeld das sogenannte Nerv-Paintball angeboten. Die bunten Kugeln bestehenaus Schaumstoff
Die harmlosere Variante der Farbschlacht: Für Kinder und Jugendliche wird in Bramfeld das sogenannte Nerv-Paintball angeboten. Die bunten Kugeln bestehenaus Schaumstoff © HA | Michael Rauhe

Ich fühle in mich hinein und krame einen Hauch von Bruce Willis hervor. Feuere mit Grimasse eine Salve ab, laufe zum nächstgelegenen Reifenstapel. Die Hitze staut sich unter der Schutzkleidung. Links von mir tobt ein Gefecht, ich höre einen Schrei. Schaue aus der Deckung. Dann zischt eine Kugel so nah an meinem Ohr vorbei, dass ich die Farbe aus der Gelatinehülle platzen hören kann. Meine Maske hat etwas abbekommen. Das reicht. „Hit“, rufe ich, hebe die Hand und gehe an den Rand.

Plötzlich Ruhe. „Spinnt ihr eigentlich? O Mann.“ Den Fotografen, der uns doch nur zusehen wollte, hat’s erwischt. Treffer auf nackter Haut am Unterarm. Kraterförmiger blauer Fleck. Und keiner will’s gewesen sein. „Mir reicht’s“, brummt er und zieht ab. Ein Hoch auf Overalls in Unifarben und weite Kleidung, die die Wucht der Treffer deutlich dämpfen können.

Hinter den feindlichen Linien

Ich brenne noch auf Revanche. Seitenwechsel und wieder aufstellen. Zeit für Operation „Wiesel“. Ich schaue mir eine Route aus, zur Säule und rechts in einen Seitengang, am Gitter vorbei und schnell weiter. Zwar bin ich nur mental jetzt ein lautloser Elitekämpfer; Videoaufnahmen zeigen später einen tapsig vorwärtsbuckelnden 1,98-Meter-Mann mit erbärmlich laut raschelndem Anzug. Aber die Gegnerinnen sind an ihren Positionen so fokussiert, dass sie mich nicht bemerken.

Ich gelange hinter die feindlichen Linien. Freie Schussbahn. Meine Muskeln entspannen sich. Plok, plok. Treffer und Sieg. Es ist ein Glück für Annika und mein Gewissen, dass sie auch am Hals über dem Plüschkostüm ein Schutzband trägt. „Sorry“, sage ich in­stinktiv. Die Zivilisiertheit kehrt nach jeder Runde noch kurz zurück. Einer der Mitarbeiter wird mir später bestätigen, was die goldene Regel beim Paintball ist: Wer in Bewegung bleibt, gewinnt.

250 Kugeln haben sie zu Beginn in unsere Marker gelegt, das reicht für eine ganze Stunde, wenn man seine Gewaltfantasien nicht zu exzessiv auslebt. Wir spielen noch ein paar Runden, es wird feinfühliger und taktischer, die Lunge pumpt, mein einstiger Teamkollege verpasst mir in einem Match noch einen satten Farbtreffer auf mein Gewehr, als hätten wir nie wie Brüder gegen die Frauen-Power angekämpft.

Farbe geht wieder heraus

Als wir die Overalls abstreifen, ist da ein wohliges Gefühl, auch auf der Alltagskleidung klebt Farbe, aber sie wird beim nächsten Waschen wieder herausgehen. Eine Gruppe junger Männer zieht mit gütigem Blick an uns vorbei auf ein anderes Spielfeld, außer der Maske ist da nicht viel Schutzkleidung.

Für einen kurzen Moment erlaube ich mir Stolz, keinen einzigen schmerzhaften Treffer habe ich ertragen müssen. Nur weiß ich, dass es für die echte Erfahrung nicht so bleiben darf. Also stelle ich mich für einen echten Körperschuss auf, breite die Arme aus, wird schon nicht so schlimm werden. Annika im Hasenkostüm gibt den Schuss gern ab. Bei einem Bier am Abend werde ich das Zwiebeln kaum noch spüren. Kurz bevor wir die Marker zurückgeben, zeigt mir Annika, dass ihre Waffe andauernd blockierte – und sie die ganze Zeit somit nur halbe Feuerkraft hatte.

Ich trinke einen tiefen Schluck auf das Adrenalin, die Ehre der Polizeireporter und das Glück.