Hamburg. Jeder siebte Hamburger besitzt laut einer Comdirect-Studie Aktien. Hochburgen sind Walddörfer und Elbvororte.

Die Hamburger ziehen Konsequenzen aus den sehr niedrigen Sparzinsen und investieren häufiger in Aktien. Das geht aus einer Studie der Direktbank Comdirect vor, die dem Abendblatt exklusiv vorliegt. Danach ist die Zahl der Aktionäre in Hamburg gegenüber dem Jahr 2015 um 47 Prozent gewachsen. Im Schnitt besitzen jetzt 13,8 Prozent der Hamburger Haushalte Aktien.

Der Stadtteil Wohldorf-Ohlstedt nimmt sogar bundesweit eine Spitzenstellung bei der Aktionärsquote ein. 90,6 Prozent der Haushalte besitzen dort Dividendenpapiere. „In den Städten, die wir auf Stadtteilebene untersucht haben, gibt es keinen Ort mit einer höheren Aktionärsdichte“, sagt Matthias Hach, Vertriebsvorstand der Comdirect. In Berlin ist der Stadtteil Grunewald mit 84,1 Prozent führend.

Aktionärsquoten von mehr als 70 Prozent gibt es in Hamburg in Blankenese, Nienstedten (jeweils 85,8), Wellingsbüttel (80) und Othmarschen (72,4). Insgesamt sind die Aktionäre in Hamburg sehr unterschiedlich verteilt. Die wenigsten Aktionärshaushalte gibt es mit nur 0,2 Prozent im viertkleinsten Stadtteil Langenbek im Bezirk Harburg. Es folgen Steilshoop mit 0,5 und Neuenfelde mit 0,6 Prozent, wie aus der Studie hervorgeht. 48 der untersuchten 104 Stadtteile liegen bei der Zahl der Aktionäre unter dem bundesweiten Durchschnitt von 7,7 Prozent. Die Daten der Studie stammen vom amerikanischen Unternehmen Acxiom, das Analysen der Statistischen Landesämter auswertete.

Meist besteht ein Zusammenhang zwischen Einkommen und Aktionärsdichte. Die Haushalte in den Stadtteilen mit den meisten Aktionären verfügen auch über die höchsten Einkommen. Doch je niedriger die Einkommen werden, desto weniger zwingend ist dieser Zusammenhang. So haben die Steuerpflichtigen in Bergstedt und Poppenbüttel mit je rund 52.000 Euro vergleichbare Jahreseinkommen. In Poppenbüttel ist aber die Zahl der Haushalte mit Aktienbesitz (25,4 Prozent) mehr als doppelt so hoch wie in Bergstedt (10,7). „Aktienbesitz ist nicht nur eine Frage des Einkommens, sondern auch, was in der Familie vorgelebt wird“, sagt Comdirect-Vertriebsvorstand Hach.

DAX ist gestiegen

Ein möglicher Grund für die Zunahme: Seit 2015 hat sich der Deutsche Aktienindex (DAX) Jahr für Jahr positiv entwickelt. Im vergangenen Jahr konnten sich die Anleger über einen Zuwachs von 14,2 Prozent freuen. Zudem sorgen die historisch niedrigen Zinsen dafür, dass Sparer nach renditeträchtigeren Anlagen suchen.

„Nur in München wohnen mit 16,7 Prozent noch mehr Aktionäre, wenn man die Großstädte betrachtet“, sagt Matthias Hach, Vertriebsvorstand der Comdirect im Gespräch mit dem Abendblatt. Auf dem dritten Platz hinter Hamburg liegt Düsseldorf mit 11,3 Prozent. Zum Vergleich: Im Bundesdurchschnitt verfügen 7,7 Prozent der Haushalte über Aktienbesitz. „Hamburg ist also schon sehr gut aufgestellt, aber die Unterschiede zwischen den Stadtteilen sind enorm“, sagt Hach. Die Direktbank untersuchte für jeden Landkreis und die Stadtteile von Großstädten, wie viel Prozent der Bewohner Aktien und Investmentfonds halten und wie es um die Risikobereitschaft beim Anlageverhalten aussieht.

Wohldorf-Ohlstedt nimmt bundesweit Spitzenplatz ein

Der Aktienbesitz in Hamburg variiert von Stadtteil zu Stadtteil sehr stark. Die Spanne reicht nach der Studie der Comdirect Bank von 91,2 Prozent in Wohldorf-Ohlstedt bis zu Stadtteilen, in denen weniger als zwei Prozent der Haushalte Dividendenpapiere besitzen. Dazu zählen Langenbek (0,2 Prozent), Steilshoop (0,5 Prozent) und Barmbek-Nord mit 1,6 Prozent. „Mit mehr als 50 Prozent befinden sich die Hamburger Aktionärshochburgen in den Walddörfern und in den Elbvororten“, sagt Hach. In den innerstädtischen Bereichen sind Rotherbaum, Harvestehude und die HafenCity die Aktionärshochburgen. Wohldorf-Ohlstedt nimmt auch bundesweit eine Spitzenstellung ein. In keinem anderen Stadtteil einer Großstadt gibt es mehr Aktionäre. „In Berlin-Grunewald liegt die Aktionärsquote bei 84,1 Prozent“, sagt Hach.

Es gibt häufig einen Zusammenhang zwischen Aktionärsdichte und Einkommen. Mit einem entsprechend hohen Einkommen steigt die Bereitschaft zu dieser Anlage. Im Spitzenstadtteil Wohldorf-Ohlstedt liegt der Gesamtbetrag je Steuerpflichtigen bei rund 94.200 Euro, wobei zusammen veranlagte Ehepaare als ein Steuerpflichtiger gezählt werden.

Einkommen von 121.000 Euro in Nienstedten

In den Elbvororten mit Aktienquoten zwischen 61 Prozent (Groß Flottbek) und 86 Prozent (Blankenese und Nienstedten) sind die Einkommen zum Teil noch höher und erreichen mit 121.000 Euro in Nienstedten ihren Spitzenwert. Auf der anderen Seite stehen die Bewohner des Kleinen Grasbrook mit einem steuerpflichtigen Einkommen von knapp 14.000 Euro. Da verwundert es nicht, dass dort die Aktionärsquote mit 0,1 Prozent am geringsten ist.

„Doch man kann die unterschiedliche Verteilung nicht nur am Einkommen festmachen“, sagt Hach. Natürlich seien in den wohlhabenden Stadtteilen, wo auch viel Kapital vererbt werde, die Voraussetzungen für eine Aktienanlage günstiger. „Aber heute kann man schon mit 25 oder 50 Euro monatlich in einen Aktiensparplan investieren“, sagt Hach. „Gerade für diejenigen, die weniger Geld zur Verfügung haben, bieten Wertpapiere die Chance, sich langfristig ein finanzielles Polster aufzubauen.“ Eine große Rolle spiele auch, was vorgelebt wird. „Wenn die Eltern Aktien als Teufelszeug sehen, dann überträgt sich das auch auf die folgenden Generationen“, sagt Hach.

Ländliche Gebiete vorn

Menschen in ländlichen Gebieten setzen stärker auf Aktien und Investmentfonds als Großstädter, so die Studie. Das zeigt sich im Hamburger Umland. Während der Anteil der Aktienbesitzer in Hamburg im Schnitt bei 13,8 Prozent liegt, erreicht der Kreis Stormarn eine Quote von 23 Prozent und der Kreis Pinneberg 17 Prozent. Im Herzogtum Lauenburg sind es 19 Prozent. Wer in Aktien investiert, besitzt in etwa gleicher Größenordnung auch Investmentfonds. „Große Abweichungen gibt es da kaum“, sagt Hach. So besitzen in Hummelsbüttel 17,1 Prozent Aktien und 19,7 Prozent Investmentfonds.

Generell habe die Elbmetropole wegen ihrer Wirtschaftsstärke eine gute Ausgangsposition für eine höhere Aktionärsquote, so Hach: „Hamburg ist eine große Handelsstadt, eine Kaufmannsstadt, hat den Hafen und die Börse und damit mit die besten Gründe für Aktienbesitz.“ Allerdings gibt es auch einen entscheidenden Nachteil. „In Hamburg fehlen die Zugpferde für eine Aktienkultur.“ Mit Beiersdorf gibt es nur einen Konzern im Deutschen Aktienindex (DAX). Andere Regionen wie München haben mehr zu bieten.

Niedrigzinsen kosten Deutsche viel Geld

Für einen höheren Anteil von Aktionären in der Bevölkerung spricht auch die Zinsentwicklung. „Auch nach fast einem Jahrzehnt Niedrigzins haben die Deutschen ihr Anlageverhalten kaum geändert“, sagt Hach. Durch niedrig verzinste Geldanlagen hat jeder Deutsche im ersten Halbjahr im Schnitt 205 Euro verloren. Das ergibt sich aus dem negativen Realzins, der bei minus 1,77 Prozent liegt. Der Realzins errechnet sich aus der Inflationsrate abzüglich des aktuellen Sparzinses. „Seit Ende 2010 beträgt der Wertverlust sogar 1177 Euro pro Kopf“, sagt Hach. „Das Problem ist, dass die Sparer diesen Wertverlust nicht wahrnehmen, weil der Betrag auf dem Konto oder dem Sparbuch unverändert ist. Der Verlust an Kaufkraft ist ihnen nicht bewusst.

Mit kostengünstigen und bequemen Anlagekonzepten für die Aktie will Hach mehr Kunden gewinnen. „Hamburg hat dafür Potenzial, denn die Risikobereitschaft ist in vielen Stadtteilen höher, als die Aktienquote suggeriert“, sagt Hach. Bisher muss man für eine strukturierte Vermögensverwaltung bei Comdirect mindestens 3000 Euro mitbringen. „Wir wollen, dass der Einstieg in dieses Produkt auch über einen monatlichen Sparplan möglich wird, bei dem nicht mehr als 50 bis 100 Euro aufgewendet werden müssen.“

Aussichten positiv

Die Aussichten für Aktien bleiben gut. „Wir halten an unserer Prognose von 14.000 Punkten für den DAX zum Jahresende fest“, sagt Bernd Schimmer, Chefanlagestratege der Haspa. Trotz einiger Risiken sind die Rahmenbedingungen nach wie vor gut, nachdem die Europäische Zentralbank bekräftigt hat, den Leitzins bis Mitte 2019 unverändert bei null Prozent zu belassen. „Es gibt zwar mit der sich abschwächenden Konjunktur in China, den Haushaltsproblemen in Italien und dem Brexit einige ­Risiken“, sagt Schimmer. „Aber die Unternehmen lassen für 2019 wieder deutliche steigende Gewinne erwarten.“ Den idealen Einstiegszeitpunkt am Aktienmarkt gebe es ohnehin nicht. „Wichtig ist, dass man das Anlagekonzept auf Basis der persönlichen Risikobereitschaft langfristig durchhält.“