Hamburg. Serie„Der Soundtrack meines Lebens“. Teil vier: Sängerin Anna Depenbusch über enge Shorts, schrille Pop-Elfen und ein düsteres Geheimnis.
The Police war auf der „Synchronicity Tour“ 1984 eine kaputte Truppe. Backstage gingen sich Sänger Sting, die Nase geschwollen vom kolumbianischen Koks, Gitarrist Andy Summers und Schlagzeuger Stewart Copeland auf die Nerven oder direkt an die Gurgel. Auf der Bühne aber lief der Laden, und die damals entstandene Live-DVD schaute sich Anna Depenbusch später immer wieder an. Wobei es ihr besonders die sehr kurzen, engen Tennisshorts von Stewart Copeland angetan hatten.
„Ich war als pubertierender Teenager total in Stewart verknallt“, kichert die 1977 in Hamburg geborene Liedermacherin, wobei sich die Verehrung natürlich nicht auf die stramme Büx beschränkt. „Musik erklärt meine Welt, ich nehme sie mit Musik anders wahr, und The Police hat mir sehr viel über Männer erzählt.“ Zum Beispiel über ihren drei Jahre älteren Bruder, ebenfalls Musiker, aus dessen Zimmer erstmals der zackige Groove des zweiten Police-Albums „Regatta de Blanc“ (1979) zu ihr drang. Das treibende „Message In A Bottle“, das melodiöse „Bring On The Night“ und das schlafwandlerische „Walking On The Moon“ sind Annas Lieblingssongs. Ihr Bruder erklärte ihr die Besonderheit der verschobenen „Weißer Reggae“-Rhythmen des Schlagzeugers, und als sie Sting hörte, spürte sie die Kraft, die Melancholie haben kann: „Wenn Traurigsein so geht – super“. Trotzdem hat sie sich das Police-Revival-Konzert 2007 im Volksparkstadion verkniffen: „Ich wollte den Vibe meiner Kindheit nicht zerstören.“
Melancholie von The Police prägen Depenbuschs Lieder bis heute
Dynamik und Melancholie von The Police prägen Depenbuschs Lieder bis heute, auch wenn ihre Mischung aus Chanson, Jazz und Pop völlig anders klingt. Unweit des Cafés Panter in der Marktstraße, wo wir uns treffen, ist ihr Studio. Hier macht sie aus Liebesglück und -leid, von dem Bekannte ihr erzählen oder das sie am Nebentisch aufschnappt, so melancholische wie hoffnungsvoll-beschwingte Lieder, die sich auf bislang sechs Alben finden.
Sängerin mit Klavier, da denkt man unweigerlich an Tori Amos. Auch Fiona Apple und Regina Spektor sind in ihrer Plattensammlung. „Die finde ich toll, die sind in meinen Top Ten.“ Der große Meilenstein ist aber Carole King, die neben Joni Mitchell wohl einflussreichste Songschreiberin der Popgeschichte. King schrieb in den 60ern für andere Künstler zahllose Hits wie „Take Good Care of My Baby“ oder „(You Make Me Feel Like) A Natural Woman“, bevor sie mit ihrem ersten Album „Tapestry“ 1971 selber berühmt wurde. Depenbusch umarmt ihre Vinylausgabe von „Tapestry“ zärtlich. „Das Lustige ist, dass Joni Mitchell und James Taylor auf dieser Platte als Backgroundsänger auftauchen, wie man im Kleingedruckten liest.“
Zu ihren großen Vorbildern gehört Aretha Franklin
Zu Carole King kam sie über Aretha Franklin, die „(You Make Me Feel Like) A Natural Woman“ populär machte und die Anna Depenbusch in einer Blues- und Soulphase rauf und runter hörte. „Arethas Version ist so kraftvoll, so sexy, und Caroles Aufnahme ist so zart, beinahe beiläufig, da habe ich viel über Frauen und über Gesang und Ausdruck gelernt und darüber, wie Lieder sich verkleiden können“. Nicht von ungefähr veröffentlicht Depenbusch ihre Alben mit Band auch als Solo-Editionen mit Klavier, etwa „Das Alphabet der Anna Depenbusch in Schwarz-Weiß“. Auch auf der Bühne verkleidet sie ihre Lieder immer neu, allein oder begleitet, im Mojo Club oder in der Elbphilharmonie. Die „A Natural Woman“-Version von Céline Dion mag sie übrigens nicht. „Diese Hochleistungssängerinnen wie Céline Dion, Whitney Houston oder Mariah Carey singen mir zu sportlich, das berührt mich nicht.“ Édith Piaf und Lale Andersen berühren sie hingegen sehr.
Wenn Anna Depenbusch am Klavier vor sich hin spielt, interpretiert sie gern „Message In A Bottle“, „A Natural Woman“ und „Possibly Maybe“ von Björk. Natürlich Björk. Alles, Karriere und Selbstverständnis, steht und fällt mit der so innovativen wie kauzigen isländischen Avantgarde-Pop-Elfe und ihrem Album „Debut“ (1993): „Ich war fertig mit der Schule, hörte das erste Mal Björk und war total genervt. Das war so schrill, passte in keine Schublade. Stressig. Was will die eigentlich?“, erinnert sich Anna Depenbusch und lacht. Sie lebte in ihrer ersten eigenen Wohnung, im kleinen Fernseher auf dem Kühlschrank lief permanent MTV. „Und irgendwann kam Björks ,Venus As A Boy’ und dann machte es klick. Björk hat sich mir zuerst visuell erschlossen. Da steht sie alleine in einer Küche, quietschbunt, spricht mit den Eiern, crazy. Mich, auch gerade in der Küche, inspirierte das total.“
Auf den Spuren ihres Idols Björk ging es nach Island
Depenbusch sezierte Björks Songs, den Gesang, die Arrangements. „Schritt für Schritt, Takt für Takt, wirklich anstrengend, aber ich wollte nicht loslassen.“ 2001 und 2002 reiste sie nach Island und folgte Björks Spuren. Hier fiel die Entscheidung, Klavier zu lernen, auf Deutsch zu singen und so viel wie möglich in die eigene Hand zu nehmen, von den Texten bis zur Produktion. 2005 erschien ihr erstes Album „Ins Gesicht“. Sie war zu dem Zeitpunkt 28, so alt wie Björk, als „Debut“ herauskam, doch das Album floppte, sie kam lange Zeit nicht weiter. Erst 2011 fand sie mit „Die Mathematik der Anna Depenbusch“ ihre Formel für den Erfolg.
Der Groove von Police, das Gefühl von Carole King und die Individualität von Björk stechen für Anna Depenbusch aus ihrer übersichtlichen Musiksammlung heraus. „Ich habe zwei LPs, aber keinen Plattenspieler. Und meine Musikbibliothek von 400 CDs schaffe ich nach und nach ab, auch wenn das nicht einfach für mich ist. Ich möchte ja auch, dass Käufer von meinen Alben ihre behalten.“
Wobei sie auch Leichen im Musikkeller hat, an denen ihr Herz nicht gerade hängt. „Ich weiß nicht, ob ich das erzählen soll“, sagt sie und holt tief Luft, „aber ich habe mal in meiner Schulzeit in einer Toto-Coverband gespielt.“ Einen Abend lang sang Depenbusch im leeren Marquee in der Silbersackstraße mackerhafte 80er-Rock-Songs wie „Hold The Line“, am Ende zahlte die Band finanziell drauf. Eigentlich schade, dass es davon keine Live-DVD gibt.