Hamburg. Sie leitet das Schmidt-Imperium auf St. Pauli. Obwohl mehrere Theater dazugehören, drängt es die junge Frau nicht auf die Bühne.

Der Begriff „Kiez-Imperium“ ist jedenfalls nicht der erste, der einem in den Sinn kommt. Was da an Verruchtheit mitschwingt, das will so gar nicht passen zu dieser jungen Frau, die da die Treppen zur theatereigenen Hausbar hinabsteigt. Verbindliches Lächeln, eher mädchenhafte, hanseatische Erscheinung. Tessa Aust ist eine, die man vermutlich leicht unterschätzt. Und trotzdem fasst „Kiez-Imperium“ das, was sie vor gut einem Jahr von ihrem Vater Norbert Aust übernahm, ziemlich genau zusammen: Tessa Aust leitet ein durchaus imposantes Unterhaltungsreich auf St. Pauli. Sie verantwortet als Geschäftsführerin das Schmidt Theater und das Schmidts Tivoli, das Schmidtchen und Angie’s Night Club, zwei Bars und zwei Restaurants, einen Tourneebetrieb und den Eventbereich. Rund 500.000 Gäste hat der Betrieb im Jahr, viele Hamburger, viele Touristen.

Einschüchternd empfindet sie, die jünger wirkt als 33 Jahre, das alles überhaupt nicht. „Wüsste ich nicht, was es tatsächlich ist, dann vielleicht. Aber es zeigt natürlich auch, dass uns eine Relevanz zugeschrieben wird. Und ,verrucht‘, na ja ...“ Tessa Aust muss ein bisschen lachen. „,Kiez-Imperium‘ klingt natürlich groß. Ich sehe darin auch eine Wertschätzung des Werkes von meinem Vater und Corny. Und Kiez isses halt.“ Kurzes Schulterzucken. „Wir sind hier auf St. Pauli, und wir wollen nicht woanders sein.“

Kontrastreiche Rollenverteilung

„Wir“, das sind nicht nur sie und ihr Schwager Hannes Vater, mit dem sie sich die Geschäftsführung teilt. In einer anderen Ecke der Hausbar lümmelt Corny Littmann mit eigenem Besuch und nickt durch ein paar Rauchschwaden kurz herüber. Corny Littmann und Norbert Aust – schon diese beiden fielen in der hiesigen Theaterszene vor allem durch Unterschiedlichkeit auf. Der Exzentriker und der Jurist, der Lebemann und der Familienmensch. Die Kombination Corny und Tessa bleibt bei der kontrastreichen Rollenverteilung und treibt sie eher noch weiter, hatten Norbert Aust und Corny Littmann doch immerhin Generation und Geschlecht gemeinsam.

„Dadurch, dass ich eine Frau bin und jünger, ändert sich aber gar nicht so viel“, glaubt Tessa Aust. „Corny und ich haben ja weiterhin das gleiche Ziel.“ Der Vorteil der scheinbar gegensätzlichen Paarung liegt für sie auf der Hand: „Es ist eine Konstellation, die sich nicht gesucht, sondern gefunden hat. Sie beruht auf ergriffenen Gelegenheiten. Corny prägt das Programm künstlerisch, Norbert hatte eher die Verwaltung auf seiner Seite. So in etwa ist auch weiter die Aufteilung.“

„Ich arbeite einfach sehr gern“

Es ist etwas mehr als zwei Jahre her, dass Norbert Aust seine Tochter, das älteste von sechs Kindern, gefragt hat, ob sie sich die Unternehmensnachfolge vorstellen könne. Da war sie knapp 31, ihre Karriere hatte sie nicht auf dieser Möglichkeit aufgebaut. Tessa Aust hatte Sozialökonomie studiert, einen interdisziplinären Studiengang, der unter anderem Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft und Recht beinhaltet, sie war jeweils ein Jahr in Newcastle und in Australien gewesen und hatte sich dort mit internationalem Management beschäftigt. Die letzten fünf Jahre war sie bei Apple engagiert, verantwortlich – aus dem Hamburger Homeoffice heraus – für den Bildungsbereich in Norddeutschland. Modernes, digitales Lernen auf zahlreichen Ebenen – das Thema interessiert sie noch immer, sie kann mit Lust und profund davon erzählen.

Aber auch das vom Vater mit aufgebaute Theaterunternehmen kennt Tessa Aust gut. Während des Studiums hat sie im Schmidt gejobbt und ein Praktikum absolviert, es habe da „vielleicht eine unausgesprochene Übereinkunft“ über ihre mögliche spätere Rolle gegeben, beschreibt sie es heute. Einen „Masterplan“ habe es nicht gegeben: „Norbert hat es für sich so entschieden, für mich hat es gepasst, für uns wurde es der richtige Weg.“ Ihre Eltern hätten ihr eine sehr positive Einstellung zum Thema Arbeiten mitgegeben. „Ich arbeite einfach sehr gern, ich übernehme gern Verantwortung. Natürlich noch lieber, wenn ich weiß, wofür.“

Zunächst Saalgastronomie und Einkauf

Tessa Aust ist anderthalb Jahre älter als die nächstjüngere Schwester, das jüngste Geschwisterkind ist ganze 15 Jahre jünger, das zeichnete schon innerhalb der Familie eine gewisse Konstellation vor. „Natürlich“ habe sie früher Baby gesittet, nickt Tessa Aust. „Für andere mitzudenken, sich in andere Positionen zu versetzen, das nimmt man da vielleicht schon mit.“

Im Betrieb lernte sie zunächst die Saalgastronomie und den Einkauf kennen. „Dass ich die Tochter vom Chef war, konnte ich nicht abstreiten, das wussten alle, also musste ich beweisen, dass ich was drauf hatte und Teil des Teams bin.“ „Nur“ die Tochter vom Chef – dass jemand so denken könnte, doch, damals sei das für sie durchaus Thema gewesen. Ein größeres jedenfalls als jetzt. „Es war auch deshalb gut, dass ich mich erst mal anderswo ausprobieren konnte, meine eigenen Erfolge hatte.“

St. Pauli erneuern, ohne Altes zu verprellen

Ihr Geschäftspartner ist – neben Corny Littmann – der Mann ihrer nächst­jüngeren Schwester. Warum die beiden das gemeinsam machen? Darauf gibt es eine ebenso unkomplizierte wie bestimmte Antwort: „Weil wir es können.“ Hannes Vater ist Prokurist und verantwortet die kaufmännische Leitung. „Für uns ist das eine gute Lösung – es sind ja auch große Fußstapfen, die wir füllen müssen.“ Das wurde nicht zuletzt bei Norbert Austs 75. Geburtstag deutlich, zu dem kürzlich nicht nur der Kultursenator sprach und der Bürgermeister erschien, sondern auch in jeder Gratulation Erstaunen formuliert wurde, wie ein Mann so viele Posten und Aktivitäten gleichzeitig ausfüllen kann.

Vorsitzender des Tourismusverbands, Aufsichtsrat der Hamburg Marketing Gesellschaft, Mitbegründer des Klubhauses St. Pauli, Gründungspartner einer Anwaltskanzlei. „Wenn wir dir noch mehr abnehmen sollen – bring uns nur vorher bei, wie du so viel parallel machst!“, hatte Tessa Aust mit gespielter Verzweiflung in ihrer Rede gesagt. Auch im Schmidt-Imperium sei Norbert Aust nach wie vor ansprechbar, bekräftigt die Tochter. Er hat noch einen Schreibtisch im Unternehmen, einmal die Woche gibt es einen Jour fixe, regelmäßige Familienfrühstücke sowieso. Über Konfliktpotenzial, das ja auch innerfamiliäre Auswirkungen haben könnte, haben sie trotzdem keine konkreten Regeln vereinbart. „Wir sind da zuversichtlich“, sagt Tessa Aust und lächelt.

Wissen um die Größe der Aufgabe

Tatsächlich habe ihr Vater ihr jedoch geraten, sich die Übernahme gut zu überlegen. Darin steckt nicht nur die Ermutigung, sondern auch die Mahnung, das Wissen um die Größe der Aufgabe. „Leichtfertig“ sei sie den Schritt also nicht gegangen, sagt Tessa Aust heute. Schlaflose Nächte habe sie trotzdem keine gehabt. „Ich musste das ja nicht aus einer Not heraus entscheiden. Und ich hatte die Option immer schon im Hinterkopf.“ Keine Angst also, „höchstens Aufregung“.

Die spürt man noch manchmal, wenn Tessa Aust den Weg in die Öffentlichkeit sucht. Oder vielmehr: Sie sucht ihn nicht, sie weiß, dass er dazugehört. Reden halten, Interviews geben. Sie spricht dann eher zurückhaltend, streicht sich durchs Haar, lächelt viel. Natürlich signalisiert das Freundlichkeit, manchmal verrät es kleine Unsicherheiten. Es drängt sie nicht auf die Bühne. Theater gespielt hat Tessa Aust nur in Schule, als Berufsweg sei das „völlig ausgeschlossen“ gewesen, sagt sie und hebt abwehrend, fast ein bisschen erschrocken die Hände. „Ich schaue sehr gern zu.“

Sanfte Erneuerung des Stadtteils

Die Antwort auf die Frage, was sie anders mache als ihr Vater, kommt hingegen ganz ohne ein Zögern: „Ich bin in Vollzeit hier.“ Was weniger den Vorwurf beinhaltet, dass er sich nicht ausreichend gekümmert hätte, sondern vielmehr die Hochachtung ausdrückt vor der Ausnahmeenergie des Vorgängers. „Es ist ein unsubventioniertes Haus, wir sind davon abhängig, immer wieder neue Wege zu gehen. Auch das hat Norbert schon so vorgelebt, zum Glück.“ Hat sie schon einmal etwas gegen den Rat des Vaters entschieden? Hier muss Tessa Aust länger nachdenken. „In der Sache nicht“, sagt sie schließlich. „Vielleicht aber doch in der Art der Umsetzung.“ Eine kluge, diplomatische Antwort.

„Angenehmes Ausgehen“ ist ein Ausdruck, den Tessa Aust im Gespräch gleich mehrfach benutzt. Sie steht für die sanfte Erneuerung des Stadtteils, auch wenn die Theater, die sie repräsentiert, eine ganz eigene Tradition auf St. Pauli haben. „Für mich hat der Kiez immer dazugehört, ich hoffe, dass beides geht: erneuern, ohne das Alte zu verprellen.“ Die Idee, dass St. Pauli immaterielles Kulturerbe werden könnte, unterstützt sie. Ein „Kiezmädchen“ sei sie aber nicht, auch wenn sie – aufgewachsen in Alsterdorf und in St. Georg – schon als Kind viel Zeit auf St. Pauli verbracht habe.

Heute wohnt sie in Hohenfelde. Ein hübscher Kontrast aus Sichtbarkeit und Seitenlinie ist das: hier das Amüsierviertel, das die ganze Welt kennt, dort ein Stadtteil, „bei dem manche Hamburger nicht mal wissen, wo der eigentlich liegt, obwohl er mitten in der Stadt ist“. Sagt ja keiner, dass man auf dem Kiez leben muss, um dort ein Imperium zu führen.

Nächste Woche: Lena Bodewein und Holger Senzel, das Ehepaar, das sich die ARD-Hörfunkkorrespondenten-Stelle für Südostasien teilt.