Hamburg. Biologen erfassen Tiere und Pflanzen in 40 Grüngebieten, darunter der Harburger Stadtpark und die Stellinger Schweiz.

In diesem Sommer startet das Naturschutzgroßprojekt „Natürlich Hamburg“. Erstmals unterstützt das Bundesamt für Naturschutz eine Großstadt darin, die vorhandene Natur zu stärken und gleichzeitig den Stadtbewohnern einen besseren Zugang zu allem, was dort kreucht und fleucht, zu ermöglichen. Doch bevor in einigen Jahren gezielte Maßnahmen ergriffen werden können, ist eine Bestandsaufnahme auf den 40 über Hamburg verteilten Projektflächen nötig. Aus diesem Anlass traf sich Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) am Donnerstag mit dem Kartierer einer Vorzeigefläche: auf der Feuchtwiese des Harburger Stadtparks.

„Diese Wiese ist eine der artenreichsten nährstoffreichen Feuchtwiesen, die wir in Hamburg haben“, sagt Jörgen Ringenberg, studierter Landschaftsarchitekt. Er kartiert bundesweit Natur und nahm das Gebiet im Auftrag der Umweltbehörde unter die Lupe. Ringenberg fand mehr als 50 Pflanzenarten, auf Durchschnittswiesen seien es etwa 20. Zudem beherbergt die wilde Wiese einen botanischen Schatz: das Breitblättrige Knabenkraut. Rund 600 Exemplare dieser Orchideenart zeigen im Mai und Juni ihre rosavioletten Blüten – ebenfalls eine Hamburger Rarität.

Flora und Fauna noch besser schützen

In den feuchteren Bereichen wächst Schilf. Hier führt ein Steg die Spaziergänger direkt durch die Natur. „Wir haben sogar auf ein Geländer verzichtet, um den Besuchern die Wiese möglichst nahe zu bringen“, sagt Gerrald Boekhoff, der in Harburg für die Grünanlagen zuständig ist. Kerstan lobt die vorbildliche Arbeit des Bezirks: „Es freut uns, wenn die Bezirke in Vorleistung treten und nicht erst auf Geld aus der Umweltbehörde warten.“ Schon vor dem Besuch von Hamburgs oberstem Umweltschützer beginnt das Harburger Beispiel Schule zu machen: „Im Schnaakenmoor in Rissen wird jetzt ein ganz ähnlicher Steg gebaut“, sagt Volker Dumann vom Naturschutzamt.

Überall in Hamburg werden in diesem Sommer Pflanzen bestimmt und gezählt, die Vogelwelt untersucht, nach Käfern und anderen Insekten gefahndet, die Bestandsdaten von Fledermäusen, Amphibien und Reptilien erhoben. Dabei läuft die Inventur überall unterschiedlich ab. „Zunächst schauen wir darauf, welche Daten wir bereits haben“, sagt Projektleiterin Karin Gae­dicke vom Naturschutzamt – alle acht Jahre werden die Hamburger Naturlebensräume untersucht, wenn auch nicht so intensiv, wie es jetzt geschieht.

Unterschiedliche Gebiete

Gaedicke: „In unserem Projekt setzen wir Schwerpunkte. In Gebieten mit einer reichen Pflanzenwelt erheben wir botanische Daten, um die Flora – und damit die Insekten und andere Tiere, die von ihr leben – noch besser schützen und weiterentwickeln zu können. In einem Waldgebiet mit vielen Fledermäusen oder in Moorgebieten mit einer großen Artenvielfalt an Amphibien konzentrieren wir uns auf diese Tiergruppen.“

Blick über die Orchideenwiese auf den
Harburger Außenmühlenteich
Blick über die Orchideenwiese auf den Harburger Außenmühlenteich © HA | Angelika Hillmer

Trotz Schwerpunktsetzung ist die Bestandsaufnahme so umfangreich, dass sie voraussichtlich erst Ende 2019 abgeschlossen sein wird. Sie betrifft Gebiete, die so unterschiedlich sind wie die Tier- und Pflanzenarten, nach denen gesucht wird. Die Bandbreite reicht von Naturschutzgebieten wie dem feuchten Duvenstedter Brook im Norden und der trockenen Fischbeker Heide im Süden der Stadt bis hin zu gut besuchten Grünanlagen wie Planten un Blomen in der City.

Grüne Kleinode

Auch grüne Kleinode wie der Parkwald Glinder Au oder die Stellinger Schweiz kommen zum Zuge. Sogar die Randstreifen an vier Ausfallstraßen sollen ökologisch aufgewertet werden, zum Beispiel an der Eiffestraße/Bergedorfer Straße oder entlang der B 431 (Osdorfer Landstraße). Dem Senator schwebt vor, dass Autofahrer künftig „naturmäßig in die Stadt hineingeleitet“ werden, etwa mit blühenden Tulpen im Frühjahr und Klatschmohn im Sommer.

Millionen-Projekt

Der Mensch steht in dem Projekt ebenso im Mittelpunkt wie die Natur. Vor dem Hintergrund mancher Verbote in streng geschützten Gebieten sagt Kerstan: „Betreten ist nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht. Wir wollen keinen Naturschutz unter Ausschluss der Bevölkerung.“ Es sei wichtig, die Leute mit in die Natur zu nehmen, damit sie diese zu schätzen lernen, ergänzt Karin Gaedicke. Das Knabenkraut in der Harburger Wiese, am Höltigbaum oder im Duvenstedter Brook sei zur Blüte im Frühsommer ein „Hingucker – die meisten Menschen kennen es nur aus dem Blumengeschäft“.

Behörde will Gebiete weiterentwickeln

Grundsätzlich ist Hamburgs Natur besonders vielfältig. Denn das Stadtgebiet beinhaltet drei Landschaftsformen: die Geest, das schleswig-holsteinisches Hügelland und das Elbe-Urstromtal. Diese Vielfalt gilt es noch besser zu erfassen. Im nächsten Projektschritt wird die Umweltbehörde bis zum Herbst 2021 für jedes der 40 Projektgebiete Pflege- und Entwicklungspläne erarbeiten. Auf deren Basis sollen dann in einer zweiten Projektphase von 2022 bis 2031 konkrete Maßnahmen ergriffen werden.

Vom Steg aus schaut Gerrald Boekhoff zufrieden auf „seine“ Harburger Feuchtwiese: „Hier ist eigentlich nicht mehr viel zu tun“, sagt er. „Umso besser“, kontert Karin Gaedicke.