Hamburg. Die Vögel brüten an Alsterarkaden und Ludwig-Erhard-Straße. Zum Langen Tag der Stadtnatur zeigt Biologin Kirsten Gulau die Kolonien.

Ein Vogel müsste man sein. Man bräuchte nur die Flügel auszubreiten, könnte die Welt von oben betrachten – und sich nur dort nieder­lassen, wo es richtig schön ist. Zum Beispiel­ an der sechsspurigen Ludwig-Erhard-Straße. Dort, an einem Backsteingebäude/Ecke Admiralitätstraße, hat sich tatsächlich eine Kolonie von Mehlschwalben eingerichtet. Von der Straße aus kann man ihre Nester sehen, die in rund fünf Metern Höhe an der Decke des kleinen Arkadengangs hängen. Und immer wieder eine Schwalbe, die blitzschnell (5,3 Flügelschläge pro Sekunde!) rein- und rausfliegt.

„Derzeit werden die Eier bebrütet, demnächst schlüpfen die Küken“, sagt Kirsten Gulau. „Ab Mitte Juni werden sie dann flügge.“ Vielleicht schon pünktlich zu der Schwalben-Führung, die die Biologin am 16. Juni organisiert. Es ist eine von mehr als 200 Veranstaltungen zum Langen Tag der Stadtnatur der Loki Schmidt Stiftung am 16. und
17. Juni – und eine von zehn, für die die Abendblatt-Leser Tickets gewinnen können (siehe rechts).

Gute Nistbedingungen

Zu der Führung gehört natürlich auch dieser scheinbar ungewöhnliche Platz an der Hauptstraße. „Man wundert sich zunächst schon, dass sich die Vögel gerade diesen Ort ausgesucht haben“, sagt Gulau, die die Kolonie mit rund acht Nestern vor fünf Jahren entdeckt hat. „Doch durch die Arkaden und das angrenzende Fleet haben sie hier gute Nistbedingungen.“ Anders als Rauchschwalben, die ihre Nester gerne auf Mauern oder Balken in Scheunen oder Ställen bauen, befestigen die Mehlschwalben sie außen an Gebäuden, in der Nische zwischen senkrechter Wand und Überhang oder Dachvorsprung.

Doch diese Ecken werden durch Neubauten und energetische Sanierungen immer seltener. Oder die Nester, die quasi angeklebt werden, halten an Fassadenbeschichtungen mit Lotuseffekt nicht mehr. „Auch Nistmaterial zu bekommen wird schwieriger“, sagt die Biologin. Dafür brauchen die Schwalben neben Speichel nämlich lehmhaltige Erde, also eine Wasserquelle wie das Als­terfleet.

Schwalben-Hotspot in der Innenstadt

Diese Voraussetzungen erklären auch den zweiten Schwalben-Hotspot in der Innenstadt, diesmal mitten im Shoppingtrubel: in den Alsterarkaden, schräg gegenüber dem Rathaus. Mehr als 20 Brutpaare kehren dorthin jedes Jahr im März/April aus ihrem Winterquartier in der Sahara zurück und flattern flink über den Köpfen der dortigen Cafébesucher hin und her. „Es ist schön zu beobachten, dass Mensch und Tier hier friedvoll zusammenleben können“, sagt Kirsten Gulau, die sich quasi genau mit diesem Thema – dem urbanen Artenschutz – vergangenes Jahr selbstständig gemacht macht.

Mit ihrer Firma Stadtnaturentwicklung berät sie Architekten und Planer dabei, Gebäude und deren Umgebung ökologisch aufzuwerten – zum Beispiel durch Begrünung von Fassaden und Dächern, Gemeinschaftsgärten mit heimischen Pflanzen, Totholzplätze für Bienen oder eben architektonisch mitgeplante Nistplätze. „Hamburg befindet sich in dem großen Konflikt, Wohnraum zu schaffen und gleichzeitig das Grün zu erhalten“, sagt die 36-Jährige. „Dabei ist es einfach, das gleich mitzuplanen – als Kunst am Bau für die Artenvielfalt.“

Immer mehr Architekten und Wohnungsbaugenossenschaften hätten erkannt, dass sie so zur Lebensqualität für die Bewohner und letztlich für die ganze Stadt beitragen können. Dennoch sei das Thema in Hamburg durchaus „ausbaufähig“. Kirsten Gulau, die in Oldenburg studiert hat und seit rund zehn Jahren in Hamburg lebt, ist damit bundesweit aktiv, für Hamburger Unternehmen ist eine Erstberatung kostenlos (stadtnaturentwicklung.de).

Bei diesem Spezialgebiet ist es wohl kein Wunder, dass Kirsten Gulau ihr Herz ausgerechnet an die sogenannten Gebäudebrüter gehängt hat. „Früher galten Schwalben ja als Glücksbringer am Haus – ich bin optimistisch, dass das wiederkommt.“ Noch ist der Bestand in Deutschland jedoch rückläufig, weshalb die Nester auch ganzjährig geschützt sind und nicht abgeschlagen werden dürfen. Die Mehlschwalben, die ihren Namen übrigens wegen ihrer weißen Brust haben, die aussieht, als seien sie in einen Sack Mehl gefallen, kehren immer wieder dorthin zurück, später dann ihre Nachkommen.

Ordentlich Betrieb an den Nestern

Diese halbkreisförmigen Nester mit den kleinen Einfluglöchern sind allerdings auch bei Haussperlingen beliebt. An den Alsterarkaden brütet neben den vielen Mehlschwalben derzeit auch ein Spatzenpaar. Kirsten Gulau findet das nicht problematisch, da der Haussperling zwar zu den häufigsten Brutvogelarten in Deutschland gehört, sein Bestand jedoch stetig zurückgeht und er auf der Vorwarnliste der gefährdeten Arten aufgenommen wurde. An den Alsterarkaden gibt es aber ebenfalls eine ganze Kolonie mit eigenen Nestern, auf der anderen Seite der Schleusenbrücke.

Während der Haussperling das ganze Jahr bleibt, sind die Schwalben nur bis September zu bewundern. Dafür folgt im Sommer auf die erste noch eine zweite Brut, an den Nestern ist bis dahin also weiter ordentlich Betrieb. Dann geht es für die zierlichen Langstreckenzieher ins Winterquartier. Bis sie im kommenden Frühjahr hoffentlich wieder den Weg in Hamburgs Innenstadt finden.