Hamburg. Syrer vor Gericht. Er hatte vor, in Schwerin einen Sprengsatz zu bauen – das Material bestellte er im Internet.
Yamen A. führte Teuflisches im Schilde: Der junge Mann, so sieht es die Bundesanwaltschaft, wollte in seiner Schweriner Wohnung einen hochexplosiven Sprengsatz bauen, um so viele Menschen wie möglich zu verletzen und in den Tod zu reißen; die Dimension des Anschlags sollte der anderer Attentate der Terror-Organisation Islamischer Staat (IS) in Europa in nichts nachstehen. In einem Chat mit einem Sympathisanten soll er nach Angaben von Karin Weingast, Staatsanwältin der Bundesanwaltschaft, geäußert haben: Er wolle 200 Menschen töten, um in Deutschland ein Klima der Angst und Verunsicherung zu schüren. Nichts anderes als Terror hatte der Mann mit dem Vollbart demnach im Sinn. Doch Spezialkräfte kamen ihm zuvor.
Angeklagt wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat steht der mutmaßliche Islamist seit Donnerstag vor dem vierten Strafsenat (Staatsschutzsenat) des Oberlandesgerichts. Dem 20-Jährigen droht bei einer Verurteilung eine Haft zwischen sechs Monaten und zehn Jahren, als Heranwachsender könnte bei ihm noch Jugendstrafrecht angewendet werden – der Strafrahmen ist aber derselbe.
Der Angeklagte schweigt zu den Vorwürfen
Yamen A., geboren und aufgewachsen in Syrien, vor den Schrecken des Bürgerkriegs und dem drohenden Einzug zum Militär mit 17 Jahren allein nach Deutschland geflüchtet, schweigt zu den Vorwürfen. Zwei Verhandlungstage, die für seine Einlassung reserviert waren, mussten deshalb gestrichen werden. Weiter geht es in dem Prozess erst am 9. August mit der Vernehmung des ersten Sprengstoff-Sachverständigen.
An seiner Stelle erwidert sein Verteidiger Wolfgang Ferner auf die Anklage der Bundesanwaltschaft und lupft ein wenig den Schleier einer aus seiner Sicht noch nicht ausgereiften Persönlichkeit. 2015 nach Deutschland eingereist, anerkannt als Flüchtling und bis zu seiner Festnahme am 31. Oktober 2017 wohnhaft in Schwerin, habe sich sein Mandant zunächst bemüht, Deutsch zu lernen und eine Arbeit zu finden.
Er sei gläubiger Moslem, aber „keineswegs politisch, ideologisch und religiös gefestigt“. Einer „festen Gruppe“ sei Yamen A. nicht zuzuordnen, er zeige vielmehr „jugendtypische Ansätze, das eigene Leben zu gestalten“, und verliere sich mitunter in Träumereien.
Die „Ungläubigen in Deutschland“ bekämpfen
Bei seiner Festnahme sei enormer Druck auf seinen Mandanten ausgeübt worden. „Die Beamten haben eine ideologische Einstellung gezeigt, die nicht mit der Genfer Flüchtlingskonvention zu vereinbaren ist“, sagte Ferner. Daher stelle sich die Frage, ob die Vernehmungsprotokolle überhaupt verwertbar seien. Auch wegen dieser Vorgeschichte wolle sein Mandant in dem Verfahren vorerst schweigen. Ferner deutete außerdem an, dass ihm beim Bombenbau keine authentischen Komplizen behilflich waren. Ob sein Mandant im Internet von Geheimdienst-Mitarbeitern oder Agents Provocateurs regelrecht verleitet worden sei zu der Tat, gelte es im Prozess aufzuklären.
Von der Selbstradikalisierung bis zum Tatentschluss war es offenbar nicht weit. Spätestens im Sommer 2017 soll sich Yamen A. mit dschihadistischem Gedankengut befasst, die Ideologie des IS befürwortet und eine Ausreise ins IS-Kriegsgebiet geplant haben. Zuvor wollte er aber noch die „Ungläubigen in Deutschland“ bekämpfen. Die Bundesanwaltschaft wirft Yamen A. vor, sich spätestens im Juli 2017 entschlossen zu haben, in einer Menschenansammlung einen Sprengsatz zu zünden. Wo und wann er den islamistisch motivierten Anschlag verüben wollte, ist unklar.
Nach den Ermittlungen gesichert ist aber, dass sich Yamen A. das Know-how zum Bau einer Bombe im Internet verschaffte, über mutmaßlich dem IS ergebene Chat-Partner bei Facebook oder Telegram. Seine Handlanger, darunter ein angeblicher „Soldat des Kalifats“, sind jedoch unbekannt geblieben. Seit Anfang September, kurz nachdem den Behörden die Bestellungen aufgefallen waren, wurde Yamen A. beschattet.
Seit Juli 2016 im Besitz von Sprengstoff und Waffen
Yamen A. sah Videoanleitungen zum Bau eines Zünders, eines Fernauslösers via Handy und zur Herstellung einer Splitterbombe mit dem Sprengstoff Triacetontriperoxid (TATP). Der sei bei Terroristen beliebt, so Weingast, denn er sei recht leicht herzustellen.
Praktisch alle Chemikalien und Komponenten beschaffte sich Yamen A. bei Internet-Versandhäusern wie Amazon: Wasserstoffperoxid, Batteriesäure, Einmalspritzen, Thermometer, Oxydator-Lösung, eine Mini-Lichterkette, wobei die Glühbirnen bei der Zündung eingesetzt werden sollten; aus handelsüblichem Nagellackentferner gewann er das benötigte Aceton. Mindestens fünf Versuche, den Sprengstoff herzustellen, scheiterten aus Sicht des Angeklagten.
„Entgegen seiner Annahme ist ihm zumindest die Bildung einer Spur des Sprengstoffs gelungen“, sagte Weingast. Er habe sich darauf weiteren Rat im Internet eingeholt, sei aber vor der Realisierung seines Vorhabens festgenommen worden. Fast alle Bauteile und Chemikalien konnten in seiner Wohnung in einer Schweriner Plattenbausiedlung sichergestellt werden.
Ob sein Mandant tatsächlich einen Sprengstoffanschlag verübt hätte, sei ungewiss, sagte Verteidiger Ferner. Er verwies auf ein Verfahren gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A., das vom OLG Frankfurt mangels hinreichenden Tatverdachts gar nicht erst eröffnet worden ist. Franco A. stand im Verdacht, aus einer „nationalistisch-völkischen Gesinnung“ heraus Anschläge auf „flüchtlingsfreundliche“ Politiker geplant zu haben. Seit Juli 2016 befand er sich im Besitz von Sprengstoff und Waffen. Da er keinen Anschlag verübte, obgleich ihn nichts daran hinderte, sei davon auszugehen, dass er zu der Tat nicht entschlossen war, so das Gericht.
Eine andere Position vertritt die Bundesanwaltschaft: Yamen A. habe in Mordabsicht versucht, einen Sprengsatz zu bauen, daher sei er wegen Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat angeklagt. Weingast: „Es ist ein großer Erfolg für unsere Sicherheitsbehörden, dass er gestoppt werden konnte.“
Warum ein Hamburger Gericht zuständig ist
Zuständig für Terror-Prozesse in Norddeutschland sind die beiden Staatsschutzsenate des Hanseatischen Oberlandesgerichts. Sie übernehmen große Staatsschutzverfahren der Länder Bremen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg. Deshalb ist der Prozess gegen Yamen A., der die Tat in Schwerin begangen haben soll, in Hamburg.
Zurzeit sind die beiden Hamburger Staatsschutzsenate mit drei Verfahren befasst: Eines davon richtet sich gegen einen Funktionär der linksextremistischen türkischen Terrorgruppe DHKP-C, ein weiteres gegen einen Bremer Tschetschenen, der 2014 in Syrien für den Islamischen Staat an den Kämpfen um die kurdische Stadt Kobane teilgenommen haben soll. Das dritte laufende Verfahren richtet sich gegen Yamen A.
Für Aufsehen sorgte 2016 der Prozess gegen den Bremer IS-Rückkehrer Harry S. Er war nur zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Eine neue Mordanklage des Generalbundesanwalts gegen den Salafisten wurde im Herbst 2017 aus formalen Gründen abgewiesen.