Hamburg. An diesem Mittwoch singt der britische Musiker vor 80.000 Fans in Bahrenfeld. Sein Erfolg wurde auch in Hamburg geformt.
Seine Karriere beginnt auf einem Tisch. Kurzerhand springt Ed Sheeran auf das stabile Möbelstück in der Bar des East Hotels und feuert mit einer Gitarre um den Hals ein paar schnelle Songs raus. Die drei Dutzend anwesenden Journalisten und Warner-Mitarbeiter reiben sich überrascht die Augen. So eine Chuzpe und Ausstrahlung hatte niemand von dem 21 Jahre alten Newcomer erwartet.
Solche Aktionen sind für Sheeran nichts Ungewöhnliches. Vier Jahre lang ist er im sogenannten toilet circuit unterwegs gewesen. Gemeint sind damit die vielen Pubs und Bars in London mit Open-Mic-Veranstaltungen, bei denen Nachwuchssänger für ein paar Biere und ein bisschen Geld Songs zum Besten geben. „Das ist schon eine harte Schule. Du stehst jeden Abend allein vor Leuten, die deine Musik nicht hören wollen, aber du musst sie für dich gewinnen“, sagt Sheeran später, als er schon längst ein Star ist.
Die Nummer auf dem Tisch ist schon sieben Jahre her. Im September 2011 hatte ihn die in Hamburg ansässige Plattenfirma Warner Music zu ihrer Music Night beim Reeperbahn Festival im Gruenspan und zu dem Kurzauftritt ins East eingeladen.
Mehr Zuhörer als bei den Fischer-Konzerten
Wenn Sheeran am Mittwoch die Bühne auf der Trabrennbahn in Bahrenfeld betritt, werden dort 80.000 Fans versammelt sein, die ihn hören wollen. 10.000 mehr, als vor einer guten Woche zu beiden Konzerten von Helene Fischer gekommen sind. „Ed hat einen Bekanntheitsgrad von 80 Prozent“, sagt Bernd Dopp, Warner-Chef für Mitteleuropa, und der Mann, der Sheeran 2011 zum ersten Mal aus England geholt hat.
Beim Reeperbahn Festival legte Sheeran zwar einen furiosen Auftritt hin, doch sein Erfolg war alles andere als ein Selbstläufer. „Wir haben sechs Monate lang intensiv an ,The A-Team‘ gearbeitet. Bei vielen Radiosendern stieß der Song anfänglich auf Ablehnung“, erinnert Dopp sich. Letztlich schaffte es das Lied über eine obdachlose Prostituierte, die ihrem Leben ein Ende machen will, doch noch auf Platz sechs der deutschen Single-Charts.
„Ed ist ein Paradebeispiel für klassische Künstlerentwicklung: Wir investieren viel Geld, Know-how und Herzblut in einen Künstler, weil wir fest an ihn glauben. Wir haben bei Ed nicht aufgegeben, obwohl wir auf viele Schwierigkeiten gestoßen sind. Doch die Arbeit unseres Teams hat sich gelohnt, wie wir jetzt sehen, denn Ed ist die Nummer eins in der Welt“, so Dopp über den von der englischen Musikpresse als „Wunderkind“ apostrophierten Sänger.
Erfolg dank aufwändiger Marketing-Strategie
Neben den klassischen PR-Aktivitäten wie TV-Auftritten, Senderbesuchen bei Radiostationen, Interviews und Videoclips initiierte Warner eine große digitale Kampagne mit Hunderten von kleinen Aktivitäten, die sich zu einem großen Puzzle zusammensetzten und das Ziel hatten, eine Fan-Basis für den Neuling aus England zu schaffen. „Nachdem wir über die sozialen Medien eine junge Kernzielgruppe erreicht hatten, haben wir versucht, diese mit traditionellem Marketing zu vergrößern“, erklärt der Warner-Chef. So sei Sheeran etwa im vergangenen Jahr bei der Verleihung der Goldenen Kamera aufgetreten, weil man sich davon Aufmerksamkeit in einer älteren Zielgruppe erhofft habe.
Diese Überlegung scheint aufgegangen zu sein. „Eds Musik wird inzwischen von Fans zwischen acht und 80 Jahren geliebt“, sagt Dopp. Der Musikmanager macht aber auch klar, unter welchen Bedingungen dieser Erfolg nur zustande kommen konnte: „Die beste Kampagne kann nicht erfolgreich sein, wenn der Künstler das inhaltlich nicht trägt oder selber nicht mitarbeitet.“
Aber Ed Sheeran gehört zu den fokussierten und fleißigen Künstlern. Dopp erinnert sich an die Sat1.-Fernsehshow „The Voice of Germany“, in der Sheeran als Stargast dabei war. „Er kam aus Australien, ist direkt ins Studio zur TV-Aufnahme gefahren und hat dann noch bis vier Uhr morgens im Hotel an neuen Songs gearbeitet. Davon können sich eine Reihe anderer Künstler eine Scheibe abschneiden.“
Auch Songs für Robbie Willams geschrieben
Koordiniert werden alle Aktivitäten Ed Sheerans in London bei Warner Music UK. „Wir teilen unseren Kollegen unsere Ideen mit. Die werden dann geprüft und mit dem Manager und dem Künstler besprochen.“ Offensichtlich haben die Warner-Leute in Hamburg gute Karten bei Ed Sheeran, denn für Aktionen rund um sein aktuelles Album „Divide“ ist er zehnmal nach Deutschland gekommen.
„Das kenne ich von keinem anderen internationalen Superstar“, sagt Dopp. Zumal Ed Sheeran nicht nur in Großbritannien und Europa erfolgreich ist, sondern weltweit. In den USA wird er Ende des Jahres auf Tournee gehen und für 30 Stadionkonzerte etwa 85 Millionen Dollar an Einnahmen kassieren.
Warum der britische Künstler, der in einer Kleinstadt in Suffolk aufgewachsen ist und sich mit 17 Jahren nach London aufgemacht hat, zum größten Popstar der Gegenwart geworden ist, erklärt Bernd Dopp so: „Ed ist ein absolutes Ausnahmetalent als Sänger, Performer und Songwriter, der Songs für Eminem, James Blunt, Taylor Swift, Robbie Williams und andere Stars geschrieben hat. Er ist authentisch und mit beiden Beinen auf dem Boden geblieben. Er fühlt, was er singt, und muss sich nicht verbiegen. Er bleibt derselbe offene Typ, egal, ob er in einer Kneipe oder vor 80.000 Fans auf der Bühne steht.“
In Interviews zeigt sich Sheeran wie der nette Junge von nebenan: „Wenn ich zu Hause in Suffolk bin, kann ich mit dem Fahrrad in den Pub fahren. Warum auch nicht?“, sagt er. Gut möglich, dass ihn Freunde dort bitten zu singen und er dafür einfach auf den Tisch steigt.