Hamburg. Kultursenator Carsten Brosda eröffnet eine Ausstellung über den Einsatz der KZ-Häftlinge nach der „Operation Gomorrha“.
Manche konnten den Reden nur mit Mühe folgen. Denn die Erinnerung war plötzlich wieder da, die schrecklichen Szenen, die vielleicht verdrängt waren, verschüttet. Aber nie vergessen. Nicht wenige waren in die Krypta von St. Nikolai gekommen, die den grauenvollen Sommer 1943 in Hamburg miterlebt hatten, als mindestens 34.000 Menschen im Bombenhagel der „Operation Gomorrha“ ihr Leben ließen – unter den Opfern waren überdurchschnittlich viele Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. Ihnen ist die Ausstellung gewidmet, die jetzt zum 75. Jahrestag der Angriffe in dem Mahnmal in der Hamburger Altstadt eröffnet wurde.
Es waren Häftlinge wie der niederländische Widerstandskämpfer Antoon Verberne, die nach den Angriffen gezwungen wurden, unter grausamen Bedingungen die Leichen aus den Kellern und Ruinen zu bergen. „Wir haben erst die Leichen hinausgetragen. Anschließend mussten wir den Schutt nach Knochenresten durchsuchen. Wir haben sie erst in Eimer gelegt und dann auf dem Boden verteilt – ein SS-Arzt hat dann geschätzt, wie viele Tote es wohl waren“, hat der damals 18-Jährige Jahrzehnte später in einem Interview berichtet. Zur Ausstellungseröffnung waren einige seiner Angehörigen nach Hamburg gekommen.
Kultursenator Carsten Brosda (SPD) machte in seiner Rede deutlich, wie immens wichtig es sei, sich heute an solche Ereignisse zu erinnern. „Der Jahrestag der ‚Operation Gomorrha‘ und die heutige Ausstellungseröffnung sind uns eine besondere Mahnung, dass aus Ressentiments und Hass eine unaufhaltsame Spirale der Gewalt mit unfassbaren Ausmaßen entstehen kann“, sagte Brosda, der immer wieder Bezüge zur Gegenwart herstellte. „Die Eskalation von Gewalt beginnt meist mit der Verrohung von Sprache. Das können wir gegenwärtig erleben an den Pöbeleien, Diffamierungen, Manipulations- und Skandalisierungsversuchen, die leider auch in den Bundestag eingezogen sind.“ Dem müsse ein „wehrhafter Humanismus“ entgegengesetzt werden.
Opfer „nicht gegeneinander aufrechnen“
Brosda sagte, man brauche einen demokratischen Diskurs, der „nicht auf Provokation, sondern auf die Stärke des besseren Arguments“ setze. Der Sinn von Gesprächen sei nicht, zu gewinnen – sondern das Verständnis, das Verstehen und der Meinungsaustausch. Brosda: „Orte wie dieser übernehmen dabei eine wichtige Aufgabe. Sie bieten Raum und Gelegenheit, das öffentliche Gespräch zu führen.“
Klaus Francke, der Vorsitzende des Fördervereins Mahnmal St. Nikolai – und als 1936 in Hamburg Geborener selbst ein Zeitzeuge –, ging auch auf die Bedeutung der Geschichte für die Gegenwart ein. Er zitierte Erich Kästner: „Die Vergangenheit muss reden, und wir müssen zuhören. Vorher werden wir und sie keine Ruhe finden.“ Er sprach von den drei großen Katastrophen in der Hamburger Geschichte: dem „Großen Brand“ 1842, der Flutkatastrophe 1962 und eben der „Operation Gomorrha“. „Ist das eine die Folge menschlichen Versagens und das andere ein Naturereignis, so ist ,Gomorrha‘ das Ergebnis einer verbrecherischen, nationalsozialistischen Politik der Jahre 1933 bis 1945.“
Detlef Garbe, der Direktor der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, erläuterte, dass 1943 etwa 73.000 Zwangsarbeiter in Hamburg gelebt hätten – die Zahl der Opfer der alliierten Angriffe sei bei ihnen im Verhältnis doppelt so hoch gewesen wie im Hamburger Durchschnitt. „Und es hat schon eine besondere Tragik, dass gerade die, die auf die alliierten Bomber hofften, um befreit zu werden, von ihnen getötet wurden“, sagte Garbe.
Er ging auch auf die Debatte ein, ob der zivilen Opfer der Bombardierungen in Hamburg angemessen gedacht werde – oder ob wegen der Verbrechen der Nazis das Leid der Zivilbevölkerung in den Hintergrund trete. „Wir dürfen keine Opfer gegeneinander aufrechnen“, betonte er. Wer versuche, Schuld auf diese Weise abzuschwächen oder Verbrechen zu relativieren, handele unverantwortlich. Das „Moral Bombing“, die gezielte Zerstörung von Wohnvierteln, sei eindeutig völkerrechtswidrig, sagte Garbe. Dieses Vorgehen habe den Nationalsozialismus geschwächt – zu einem Aufbegehren gegen die Diktatur habe es aber nicht geführt.
Die Ausstellung „Vor uns lagen nur Trümmer“ ist noch bis zum 29. September täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Sie ist eine Kooperation des Mahnmals St. Nikolai und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, unterstützt von der „Zeit“-Stiftung.