Hamburg. 350.000 Fans feierten den Schlagermove, auch aus England und Taiwan kamen sie. In diesem Jahr gab es kaum Anwohner-Beschwerden.

Grün, ruhig, idyllisch und weit entfernt vom Großstadttrubel – so stellt man sich die Stadtteile am Hamburger Rand vor. Theoretisch zu Recht, jedenfalls an den allermeisten Tagen des Jahres.

Praktisch aber ist an einem ganz bestimmten Tag alles anders. Schon an den Endhaltestellen der Bahn­linien steigen dann sehr bunt gekleidete Menschen, gerne mit neonfarbener Perücke und Schmetterlings-Sonnenbrillen und genüsslich an „Kaffeebechern“ nippend, in die Züge ein – und je näher die U- und S-Bahnen der Innenstadt kommen, desto voller werden sie (die Züge), und desto lauter wird gesungen.

Hossa! Am Sonnabend war wieder Schlagermove in Hamburg.

Mama Lauda, mach mal lauter!

Als im Waggon lautstark „Malle ist nur einmal im Jahr“ angestimmt wurde, erhärtete sich für die nicht schlagerbewegten Fahrgäste der Verdacht, dass die Getränke im Kaffeebecher nicht unbedingt nur koffeinhaltig waren. Für Schlagermove-Neulinge muss es auch äußerst merkwürdig geklungen haben, als im Kollektiv „Mama Lauda!“ skandiert wurde. Zur Erklärung: Hiermit war beileibe nicht die Mutter des ehemaligen Formel-1-Rennfahrers Niki Lauda gemeint, sondern eine Kurzform von „Mach mal lauter!“

Schlagermove 2018: St. Pauli tanzt

Schlagermove 2018 an den Landungsbrücken
Schlagermove 2018 an den Landungsbrücken © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Ein Tänzchen?
Ein Tänzchen? © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Die Sonnebrille muss doch nicht sein...
Die Sonnebrille muss doch nicht sein... © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Kreismeister der Luftgitarre
Kreismeister der Luftgitarre © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Elke Ostwald und Edgar Ostwald mit Tochter Lena Ostwald sowie Thomas Deuchen und Manu Fahr
Elke Ostwald und Edgar Ostwald mit Tochter Lena Ostwald sowie Thomas Deuchen und Manu Fahr © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
An den St Pauli Landungsbrücken
An den St Pauli Landungsbrücken © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
400.000 wurden erwartet
400.000 wurden erwartet © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Immerhin: Das Wetter hielt sich
Immerhin: Das Wetter hielt sich © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Die Trucks auf dem Weg zum Hafen
Die Trucks auf dem Weg zum Hafen © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Der Fernsehturm und die Feierwütigen
Der Fernsehturm und die Feierwütigen © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Schlagermove 2018
Schlagermove 2018 © HA | Marcelo Hernandez
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Wem die Handymusik in der Bahn tatsächlich nicht laut genug war, der kam spätestens nach dem Aussteigen auf seine Kosten – auf der Reeperbahn natürlich auch schon mittags um halb eins. Aus jeder Ecke und von jedem Getränkestand dröhnten Schlager – der Kiez wurde zur riesigen Partyzone. Einige Fans tanzten völlig losgelöst in ihren Schlaghosen und bunten Perücken durch die Menge, die meisten aber machten sich zielstrebig auf den Weg zum Heiligengeistfeld, von wo aus um 15 Uhr die 46 Partytrucks losfuhren.

Extra aus Enland angereist, in Tüllröckchen

Über die Hafenstraße und den Fischmarkt ging es auf die Reeperbahn und von dort wieder auf das Heiligengeistfeld. Damit die Lastwagen unfallfrei durch die Menge von mehr als 350.000 fahren konnten, spannten Sicherheitskräfte, die im Schritttempo mitliefen, um die einzelnen Wagen große Seile als Absperrung. Die am Rand stehenden Zuschauer kamen dennoch dicht genug dran, um (volle) Shot-Gläser aus den Trucks entgegennehmen zu können.

Anne Kirsley aus dem englischen Newcastle versuchte erst gar nicht, bis an die Paradestrecke zu kommen, und blieb lieber auf der Reeperbahn. Sie war mit ihren Freundinnen extra angereist, um hier ihren Junggesellinnenabschied zu feiern – stilecht in bunten Tüllröcken und mit passenden Glitzerhüten. „An der Strecke ist es uns zu voll, da kommt man gar nicht durch. Und hier ist die Stimmung genauso gut!“ Wie ihr Hamburg gefalle? „Die Menschen hier sind sehr ehrlich. Obwohl wir schon ein paar Tage hier sind und unsere Handys und Portemonnaies leicht zugänglich aufbewahren, wurde uns nichts gestohlen.“ Mit ihrem pinken aufblasbaren Flamingo im Arm lag die Engländerin jedenfalls im Trend, denn die langbeinigen Vögel waren in diesem Jahr das Accessoire schlechthin – egal ob als T-Shirt-Motiv, als Perücke oder sogar als Haarkranz. Und etwas verloren zwischen den Flamingo-Liebhabern und Schlagerhosenträgern stand ein junger Mann in bayerischer Tracht mit Hemd und Lederhose. Ob er davon ausgegangen war, hier das Oktoberfest des Nordens vorzufinden? Es sei eben sein ganz persönliches „Schlageroutfit“, gab er zu Protokoll.

Und auch Taiwanesen stehen auf Schlager

Ganz ohne Schlager-Utensil – ob nun Sonnenblumenkette, Hawaiihemd oder riesige Perücke – waren die wenigsten unterwegs. Wenn schon, denn schon, lautete die Maxime. Dem Farbspektrum waren keine Grenzen gesetzt. Zwischen den bunt gemischten Farbkombinationen tauchten auch zwei schwarz-rot-goldene Fanketten auf. WM – da war ja noch was? Trägerinnen waren übrigens zwei Studentinnen aus Taiwan, die seit zehn Monaten hier leben. „Wir mögen diese Art von Musik sehr und können auch schon die meisten Texte verstehen“, sagten sie, während aus einem der Trucks der von Ralph Siegel komponierte Hit „Moskau“ dröhnte. Die ganze Welt ein Schlager?

Eher nüchtern zog die Polizei später Bilanz. Insgesamt seien beim Schlagermove 52 Anzeigen aufgenommen worden. „30 Anzeigen wurden wegen Körperverletzung, sechs weitere wegen schwerer oder gefährlicher Körperverletzung erststtet“, rechnete ein Beamter vor. „In vielen Fällen waren Alkohol oder andere berauschende Mittel im Spiel.”

Nur wenige Anwohnerbeschwerden

Eher gering waren diesmal die Beschwerden der Anwohner. Sie waren kaum zu sehen, als ihre Nachbarschaft wieder zur gigantischen Partymeile wurde. Während es für 11.500 Schlagerfans abends noch zur „Aftermove Party“ aufs Heiligengeistfeld ging, fuhren andere weiter zum Konzert von Helene Fischer ins Volksparkstadion – wann sonst bekommt man schon mal an einem Tag das volle Programm geboten?

Viele Fans wird es wohl auch kommendes Jahr wieder zum Schlagermove ziehen. Die Frage ist nur, ob er dann immer noch auf St. Pauli stattfindet – oder ob der Endpunkt auf den Großmarkt in Hammerbrook verlegt wird. Sofern die Veranstaltung überhaupt genehmigt wird.