Hamburg. Konfetti, Feuer, Verheißung: Helene Fischer bringt 35.000 Zuschauer in Hamburg zum Beben – und erinnert an einen US-Star.
„Mein Herz bebt für Helene“ steht auf dem T-Shirt einer Mittvierzigerin, und da ist sie an diesem Sonnabend nicht die einzige. In der ersten Reihe bekennen sich die „Helene Addicts“ zu ihrer großen Liebe, weiter hinten präsentieren „Helene’s Alsterherzen“ ihre Fan-Tracht. Und die „Helene Fischer Ultras“ finden sich in nahezu jedem Block des ausverkauften Volksparkstadions. Natürlich gibt es hier jede Menge offizielles Merchandise zu kaufen, doch das reicht vielen nicht. Man schreibt ja auch keine Liebesbriefe bei anderen ab, sondern überlegt sich was eigenes.
Und um nicht weniger als die Liebe geht es schließlich. „Heute Abend gehör’ ich nur euch!“ ruft Helene Fischer um 20.45 Uhr ins bereits brodelnde Rund. „Brüllt sie an! Voller Leidenschaft!“ hatte ein Einpeitscher kurz zuvor gefordert. Zwei Tage lang werde in Hamburg für eine DVD und Fernsehausstrahlung mitgeschnitten, da brauche man keine Dauer-Handyfilmer, sondern Top-Stimmung. Doch die herrscht ohnehin, befördert vielleicht auch von flüssigen Lockermachern wie Aperol Spritz und Hugo, die fliegende Händler im Innenraum verkaufen.
Das Stadion tobt
Bunter Rauch steigt auf, dann fährt sie aus dem dunklen Bühnenkeller in Licht: Helene ist da, und das Stadion, es tobt. Nicht nur ganz vorn, wo die härtesten Fans jede Zeile mitsingen, auch in den weit entfernten Oberrängen steht alles, klatscht und tanzt. Stimmungsmäßig liegt das deutlich über dem, was etwa Metallica oder Udo Lindenberg in der Regel entfachen. Erstaunlich.
Oder auch nicht, denn Helene Fischer geht den meisten hier direkt in die Blutbahn. Wenn sie „Verdammt, ich lieb’ Dich“ singt, wenn sie verspricht „Morgen früh küss ich dich wach“ und bekennt „Ich will immer wieder dieses Fieber spür’n“ dann ist das einerseits banal und eine Steilvorlage für Zyniker, andererseits aber genau das, was die 35.000 an diesem Sommerabend nicht nur hören, sondern auch spüren wollen.
Helene-Mobil fährt durchs Publikum
Die Welt da draußen mag in Aufruhr sein, voller Unsicherheit und Leid, aber hier, wenigstens hier, ist sie noch verstehbar, klar aufgeteilt in Zeiten voller Liebesglück und andere voller Liebesschmerz (der aber nicht ewig währt). Tröstlich, irgendwie. „Ich hoffe ihr merkt, wie glücklich ich bin“, sagt Helene Fischer zwischen zwei Songs, und die Fans strömen wie Gläubige an eine eilig abgesperrte Rundstrecke im Innenraum, auf der sie in einer Art Helene-Mobil durchs Publikum fährt.
Fehlt nur noch, dass sie übers Wasser geht? Keine Sorge, das kommt auch noch. Vorher wird aber der nächste Partyalarm ausgelöst: „Rhythm Is A Dancer“ (Snap!), „What Is Love?“ (Haddaway) und „I Like To Move It“ (Reel 2 Real) als Medley; für manche „Das Beste der Neunziger“, auf jeden Fall aber eine Stimmungsgranate, bei der sogar die mobilen Merchandise-Verkäufer ihre Wagen mit Blinkestäben und Helene-Kalendern stehen lassen, um mitzuklatschen.
Duett mit Ben Zucker
Und damit nicht genug der Coverversionen: Auch Westernhagens „Freiheit“ ist noch dran, im Duett mit Ben Zucker, der das Vorprogramm bestreiten durfte und sich nun durch Zeilen wie „Alle, die von Freiheit träumen, sollen’s Feiern nicht versäumen“ röchelt. Musikalisch keine Sternstunde, passt aber zur Grundstimmung irgendwo zwischen „ Ich liebe euch alle“ und „Aufs große Ganze kommt es an“.
Versöhnlich ist das, einander zugewandt; die AfD würde hier, an diesem Abend, wohl krachend an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Echte, harte Politik spielt bei Helene Fischer allerdings eh keine große Rolle. Zwar hatte sie sich nach dem Echo-Skandal um die Rapper Kollegah und Farid Bang auch zu Wort gemeldet, und erklärt, dass ihr Werte wie Menschlichkeit, Toleranz, Respekt und Gewaltfreiheit wichtig seien, „ganz gleich, woran man glaubt, woher man stammt, welche Hautfarbe man hat oder wen man liebt“, doch mit konkreten politischen Aussagen hält sie sich zurück. Auch an diesem Abend, der mit „Atemlos“, dieser perfekten Schlagerpopnummer, einen weiteren Stimmungshöhepunkt und den nächsten Outfit-Wechsel erlebt.
Ein brennender Laufsteg
Von knappen Jeans-Hotpants über das obligatorische Glitzerkleidchen in Silber bis zum hautengen schwarzen Einteiler wird kaum weniger geboten, als bei einem Beyoncè-Konzert. Und die Showeffekte – Tänzerinnen und Tänzer, Feuer- und Konfettifontänen, überdimensionale Luftballons, ein brennender Laufsteg, spektakuläre Videoanimationen – spielen durchaus auf hohem internationalen Niveau.
Dem entspricht auch die Dramaturgie des knapp zweieinhalbstündigen Konzerts, das mit „Die Hölle morgen früh“ und „ Herzbeben“ nochmal in den Partymodus schaltet, bevor sich bei „Nur mit Dir“ die Kameras immer wieder ins Publikum richten. „Nur mit dir möcht’ ich die Welt von oben sehen. Nur mit dir möcht’ ich auf allen Gipfeln stehen“, singt sie, und „Alles würde ich mit dir riskieren, zusammen kann uns beiden nichts passieren.“
Verheißung am Ende
Das ist Schlagerseligkeit, purer Kitsch, klar, aber überall im Stadion nehmen sich die Paare plötzlich noch ein wenig fester in den Arm. Die Videoleinwand zeigt aneinander gelehnte Köpfe, schmelzende Blicke, sachte Küsse. Großer Jubel brandet auf, als für einige Sekunden ein Ü60-Paar zu sehen ist. „Hach, so alt, und immer noch so verliebt“, dürften viele denken. „Das möchte ich auch.“
Der Traum vom großen Glück, er ist so allgegenwärtig, und wenn Helene Fischer erklärt, sie wolle „Liebe verteilen“, dann ist das zwar sprachlich etwas ungelenk, trifft aber den Kern des Konzerts, an dessen Ende eine Verheißung steht. Der Star im ultraknappen roten Latexoutfit singt „Achterbahn“ und wälzt sich dazu im Wasser.
Die Tropfen perlen von der gebräunten Haut, die Kamera fängt körperliche Vorzüge offensiv ein; auf manch Internet-Plattform wäre das der Auftakt zu etwas Handfestem. Hier jedoch bleibt’s am Ende jugendfrei und familientauglich. Die Herzen der 35.000 haben gebebt bei Helene, Fortsetzung folgt – bestenfalls – zuhause. Denn: Nur die Liebe zählt.