Hamburg. Rot-Grün und die Volksinitiative gegen Flächenfraß treffen sich zur ersten Verhandlungsrunde. Motto: Alle duzen sich.

Der Auftakt war maximal Distanz abbauend. „Wie sprechen wir uns an? Du oder Sie?“, lautete die erste, sehr pragmatische Frage, als sich die sechs Vertreter des Naturschutzbundes (Nabu) mit den Fraktionsvorsitzenden Dirk Kienschef (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne) sowie deren Umwelt- und Stadtentwicklungsexperten vor wenigen Tagen im Rathaus trafen.

Das Gespräch war der Start zu Verhandlungen zwischen der Bürgerschaft und der vom Nabu gegründeten Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“. Es geht darum, mögliche Kompromisse auszuloten, um einen Volksentscheid zu vermeiden. Mehr als 23.000 Unterschriften hat die Umweltorganisation gesammelt, um der Forderung Nachdruck zu verleihen, Hamburgs Grünanteil trotz des massiven, vom rot-grünen Senat betriebenen Wohnungsbaus auf dem heutigen Stand zu halten.

Ort hatte Symbolcharakter

Tjarks schlug vor, dass sich alle duzen, schließlich kennen sich viele Akteure auf beiden Seiten seit Langem. Politisch gesehen ist die Stadt manchmal eben doch eher ein Dorf. Der Nabu-Vorsitzende Alexander Porschke zum Beispiel war zu Zeiten der ersten rot-grünen Koalition 1997 bis 2001 Umweltsenator und gehört den Grünen bis heute an. Und nicht nur aufseiten der Bürgerschaft, auch in der Nabu-Delegation saßen Sozialdemokraten, bei denen das Genossen-Du gewissermaßen zum politischen Glaubensbekenntnis gehört.

Niemand in der Runde widersprach Tjarks, vielleicht auch, weil keiner Stimmungstöter gleich zu Beginn durchaus spannungsgeladener Gesprächsrunden sein wollte. Und so kam es, dass langjährige Kombattanten wie Porschke und die SPD-Umweltpolitikerin Monika Schaal beim allfälligen Du abrupt zu ungewöhnlicher Nähe finden mussten – jedenfalls verbal.

Bebauung ehemaliger Kasernenflächen

Der Ort des Treffens hatte Symbolcharakter: In Raum 164 des Rathauses halten die Grünen ihre Fraktionssitzungen ab – Porschke hat hier viele Jahre lang über Politik und Strategien mit seinen Parteifreunden diskutiert. Der Ort eignet sich schon deswegen für die Verhandlungen, weil die Grünen im Grunde das Scharnier in dem Konflikt sind. Das Thema Grünerhaltung ist der Öko-Partei programmatisch in die Wiege gelegt oder wie es Fraktionschef Tjarks ausdrückt: „Wir Grüne sind schon per Definition die Schutzmacht für Hamburgs Grün.“

Andererseits tragen die Grünen die Senatspolitik mit, Jahr für Jahr zehntausend neue Wohnungen zu bauen. Das ist allein durch Gebäudeaufstockungen, Baulückenschluss und die Bebauung ehemaliger Kasernenflächen oder Bahnarealen nicht zu realisieren. Und so sind schon mehrfach ökologische Sündenfälle beschlossen wie die Bebauung von Landschaftsschutzgebieten etwa in der Hummelsbütteler Feldmark oder auf der „grünen Wiese“ wie bei dem Großprojekt Oberbillwerder.

Breite Unterstützung

Als der Nabu die Volksinitiative Ende 2017 startete, war der Ton denn auch durchaus rau. Der damalige SPD-Bürgerschaftsfraktionschef Andreas Dressel, heute Finanzsenator, sagte, es drohe eine „soziale Spaltung“ , wenn der Wohnungsbau durch ökologische Bedenken beschränkt werde und die Mieten in der Folge weiter stiegen. Für die SPD bedeutet die Nabu-Volksinitiative eine Kampfansage für die eigene Wohnungsbaupolitik. „Wir gehen mit sehr guten Argumenten in diese öffentliche Debatte“, betonte Dressel denn auch geradezu streitlustig.

Die Umweltschützer können sich im Prinzip auf breite Unterstützung derjenigen verlassen, die bereits Wohnung oder Haus in der Stadt haben und nicht umziehen wollen. Wer schon schön wohnt, hat es meist nicht gern, wenn seine Nachbarschaft zubetoniert wird. Doch der Nabu musste Federn lassen. Die anfangs verbreitete Zahl von 186 Hektar, die in Hamburg angeblich jährlich versiegelt würden, ließ sich nicht aufrechterhalten.

Datenbasis zu unsicher

Die Datenbasis erwies sich als zu unsicher und ungenau. Die Angaben aus der Umweltbehörde, auf die sich der Nabu bezog, enthielten als versiegelte Flächen auch Parkfriedhöfe und Straßenbegleitgrün. Manchmal sind die Angaben auch unpräzise: Da kann ein Wald seit 100 Jahren als Grünfläche markiert sein, und doch steht seit ebenso langer Zeit ein Forsthaus mittendrin – eine versiegelte Fläche, die die Bilanz verändert.

Es wäre vermutlich auch sinnvoll für die Verhandlungen herauszubekommen, wie viel Fläche in Hamburg nun wirklich versiegelt ist und wie die Entwicklung der vergangenen Jahre und Jahrzehnte war. Helfen könnte vielleicht das städtische Unternehmen Hamburg Wasser, das regelmäßig die Stadt überfliegen lässt, um zu kartieren, wo Flächen neu versiegelt sind. Solche Veränderungen können zur Neuberechnung der Regenwassergebühr führen.

Soll Hamburg weiterwachsen?

Ein weiterer Schwerpunkt für die Verhandlungen zwischen Rot-Grün und der Volksinitiative könnte die Frage nach der Qualität des Grüns sein. Tjarks hatte schon frühzeitig vorgeschlagen, nicht allein auf die Versiegelung von Flächen abzuheben, sondern das Grünvolumen insgesamt in den Blick zu nehmen. Dazu könnten dann etwa auch begrünte Dächer zählen.

Hinter der Diskussion über Flächenfraß und Grünvernichtung steht eine sehr grundsätzliche Debatte: Soll Hamburg immer weiterwachsen? „Die Fraktionsvorsitzenden Kienscherf und Tjarks tun so, als ob das Stadtwachstum Schicksal sei oder Hamburg zum Wachsen gezwungen werde“, kritisierte Porschke im Mai, nachdem Kienscherf gesagt hatte, Hamburg könne auch 2,2 Millionen Einwohner verkraften. Da hat der Ex-Umweltsenator einen Bündnispartner in seinem aktuellen Nachfolger. „Hamburg muss nicht um jeden Preis weiterwachsen, um eine tolle Stadt zu sein. Das ist sie auch so schon“, hatte Jens Kerstan (Grüne) schon im Herbst 2017 gesagt.

Trotz aller Unterschiede sieht Tjarks „Lösungsansätze“ für mögliche Kompromisse mit der Initiative. Vier Monate bleiben beiden Seiten, um zueinanderzufinden, nach der Sommerpause sollen die Gespräche fortgesetzt werden. Falls es am Ende keine Einigung gibt, ist ein Volksbegehren und letztlich möglicherweise ein Volksentscheid die Folge – vermutlich am Tag der Bundestagswahl 2021.