Hamburg/Kabul . Der Afghane, der in Hamburg lebte, wollte zu seiner Familie reisen. Warum brachte er sich um? Mahnwache vor Bundesinnenministerium.

Die afghanische Polizei hat die Familie des 23-Jährigen, der sich nach seiner Abschiebung aus Deutschland in Kabul erhängt hatte, bis Donnerstag nicht gefunden. „Wir haben ihn ins Leichenschauhaus der Rechtsmedizin bringen lassen“, sagte der mit dem Fall befasste Polizeichef im zweiten Bezirk, Keyfatullah, der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag. „Er ist immer noch da.“

Ein Mitarbeiter der Rechtsmedizin, der namentlich nicht genannt werden wollte, bestätigte, dass die Leiche seit Dienstag dort gelagert werde. „Bisher ist niemand von seiner Familie aufgetaucht, um ihn mitzunehmen.“ Normalerweise würden unbekannte Tote in der Rechtsmedizin nicht länger als zehn Tage aufbewahrt, sagte der Mitarbeiter. „Dann lassen wir sie mithilfe der Stadtverwaltung auf einem Friedhof im achten Bezirk begraben.“

Der Mann, stammte aus der nordafghanischen Provinz Balkh

Andere aus Deutschland abgeschobene Afghanen sagten im Spinsar-Hotel, wo die Internationale Organisation für Migration (IOM) Rückkehrern vorübergehend Unterschlupf bietet, der junge Mann habe sich möglicherweise schon am ersten Abend nach der Ankunft in Kabul am 4. Juli oder kurz darauf getötet. Im Hotel habe es schon seit mehreren Tagen stark gerochen. Sie hätten sich dann am Dienstag an der Rezeption beschwert.

Das Hotel habe schließlich die Polizei gerufen und die Zimmer durchsucht. Ein Foto, das angeblich aus dem Zimmer des Opfers stammt und der dpa vorliegt, zeigt eine aufgedunsene, verfärbte Leiche an einem Seil von der Decke hängend.

Über die Zeit des 23-Jährigen in Hamburg ist wenig bekannt

Der Mann, der deutschen Behörden zufolge lange in Hamburg gelebt hat, stammte aus der nordafghanischen Provinz Balkh. Er war insgesamt acht Jahre in Deutschland, bevor er am 3. Juli mit einem Abschiebeflug aus München nach Kabul gebracht wurde. Über seine Zeit in Hamburg ist bisher wenig bekannt, außer, dass er als Minderjähriger ankam und mehrfach straffällig wurde.

Eine Quelle aus dem Flüchtlingsministerium sagte der dpa, dass der Mann in dem üblichen Interview mit afghanischen Behörden gleich nach seiner Rückkehr am Flughafen gesagt habe, er wolle weiter in die westafghanische Stadt Herat reisen. Dort lebten Verwandte. Wieso es dazu nicht kam, blieb am Donnerstag noch unklar.

Seehofer: „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69“

Mit dem jüngsten Abschiebeflug aus Deutschland hatten Bund und Länder 69 Passagiere und damit ungewöhnlich viele abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan zurückgebracht. Allein Bayern hatte 51 Afghanen ins Flugzeug gesetzt, das am Abend des 3. Juli in München gestartet war. Außerdem hatten sich laut Bundesinnenministerium die Länder Hamburg, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Berlin, Rheinland-Pfalz, Hessen und Schleswig-Holstein an der Abschiebung beteiligt.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte sich noch am Dienstag zufrieden über die hohe Zahl der Abgeschobenen geäußert. „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war“, sagte der CSU-Chef bei der Vorstellung seines „Masterplans Migration“ in Berlin.

Demonstration in Berlin: "Glückwunsch Horst"

Seehofer hat den Selbstmord des Flüchtlings bedauert. „Das ist zutiefst bedauerlich, und wir sollten damit auch sachlich und rücksichtsvoll umgehen“, sagte der CSU-Chef am Mittwochabend in Innsbruck. Der Flüchtling sei dem Innenministerium von der Stadt Hamburg für die Abschiebung gemeldet worden. „Die Bundesländer führen uns diese Personen zu, und wir unterstützen die Bundesländer bei diesen Abschiebungen.“ Man müsse die Hamburger Behörden fragen, „warum sie diese Person vorgeschlagen haben“. Seinen Tonfall bedauerte Seehofer nicht.

Menschen gedenken vor dem Bundesinnenministerium mit einem symbolischen Sarg Jamal Nasser M., der sich nach seiner Abschiebung in Kabul das Leben genommen hat. Die Demonstration richtet sich auch gegen die Aussagen von Bundesinnenminister Seehofer (CSU). Dieser stand nach einer Äußerung über Abschiebungen in der Kritik. Auf dem Sarg wird eine Geburtstagstorte für Seehofer platziert
Menschen gedenken vor dem Bundesinnenministerium mit einem symbolischen Sarg Jamal Nasser M., der sich nach seiner Abschiebung in Kabul das Leben genommen hat. Die Demonstration richtet sich auch gegen die Aussagen von Bundesinnenminister Seehofer (CSU). Dieser stand nach einer Äußerung über Abschiebungen in der Kritik. Auf dem Sarg wird eine Geburtstagstorte für Seehofer platziert © dpa/Arne Immanuel Bänsch


Aktivisten haben derweil am Donnerstag vor dem Bundesinnenministerium in Berlin an den verstorbenen Afghanen erinnert. Zugleich brachten sie bei der Aktion am Donnerstag im Berliner Regierungsviertel ihre Kritik an Äußerungen von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zum Ausdruck. Die Menschenrechtler trugen bei der Protestaktion einen schwarzen Sarg vor das Bundesinnenministerium. Davor stellten sie Grablichter auf. Anschließend dekorierten sie den Sarg mit einer Decke und einem Geburtstagskuchen. Auf zwei symbolischen Geburtstagspaketen war zu lesen: "Glückwunsch Horst" und "R.I.P. Jamal Nasser M."