Hamburg/München. Die Stadt erhält einen Konzertsaal auf Zeit. Entworfen hat es ein Hamburger Büro. Mit dabei: der Akustiker Yasuhisa Toyota.

Während in Hamburg die Freude über den Erfolg der Elbphilharmonie riesig ist, spielt ausgerechnet München – tolle Orchester, weltbekannte Dirigenten, enormes Selbstbewusstsein – mit seiner Konzertsaal-Infrastruktur nicht in der Champions League mit. Und während das BR-Orchester nun endlich ein neues Konzerthaus bekommen soll, soll der sanierungsreife Gasteig, in dem die drei großen Münchner Orchester spielen, durch eine Interimsphilharmonie ersetzt werden.

Beim Zuschlag dafür setzte sich das Hamburger Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner gegen ein Dutzend Konkurrenten durch. Für die Klangverfeinerung soll der Elbphilharmonie-Akustiker Yasuhisa Toyota sorgen. Er ist für die Umgestaltung des großen Gasteig-Saals ebenso im Gespräch wie für das Konzerthaus am Ostbahnhof, bei dem ihn BR-Chefdirigent Mariss Jansons gern dabei hätte. Der Architekt Stephan Schütz war bei gmp auch für die Sanierung des Dresdner Kulturpalasts zuständig, nun also: München. Ein Prestigebau mit Verfallsdatum, am liebsten auf ­Ohrenhöhe mit der Elbphilharmonie.

Als jahrelang auf der hiesigen Konzertsaal-Baustelle fast nichts klappte, war in München die Angst in der Neubau-Debatte groß: Um Himmels willen bloß keine Blamage wie an der Elbe! Wie groß ist für Sie, als Vertreter eines Hamburger Architekturbüros, jetzt, wo die Elbphilharmonie so brummt, der Erfolgsdruck?

Stephan Schütz: Bei dem Gasteig-Interim in München handelt es sich um einen temporären Konzertsaal. Dennoch oder gerade deswegen ist das Projekt extrem anspruchsvoll, was die Gratwanderung zwischen Kosten, Qualität und Termindruck angeht. Sobald der Gasteig geschlossen wird, hätte München ohne dieses Projekt für mehrere Jahre keinen großen Konzertsaal mehr.

Schon Konzertsaal in Dresden fertiggestellt

Haben Sie trotz oder wegen des Hamburg-Faktors den Zuschlag erhalten?

Weder noch. Wir haben uns von Berlin aus als Team beworben und konnten Erfahrungen aus verschiedenen realisierten Konzertsälen mitbringen. Im letzten Jahr haben wir in Dresden im Rahmen der Sanierung und Modernisierung des Kulturpalastes einen neuen Konzertsaal für die Dresdner Philharmonie fertiggestellt, der großen Anklang sowohl beim Orchester als auch Publikum gefunden hat. Außerdem sind in den letzten Jahren verschiedene große Konzert- und Theaterbauten in China entstanden, wie das Grand Theatre in Chongqing (2009), das Qingdao Grand Theatre (2010) und das Tianjin Grand Theatre (2012). Anfang des Jahres wurde der Guangxi Culture and Art Center in Nanning eröffnet. Diese Projekte waren den Entscheidern in München zum Teil bekannt.

Architekt Stephan Schütz hat schon mehrere Kulturbauten verantwortet
Architekt Stephan Schütz hat schon mehrere Kulturbauten verantwortet © Timmo Schreiber | TIMMO SCHREIBER

Die Eckdaten: 32 Millionen Euro soll das Ganze kosten, weniger als zwei Jahre Bauzeit und nach jetziger Planung fünf Jahre Nutzung.

Stimmt. Am 31. Dezember 2020 soll das Eröffnungskonzert stattfinden. Der Preis hört sich zunächst recht hoch an, aber es geht dabei um drei Münchner Spitzenorchester, allen voran die Münchner Philharmoniker sowie hochrangige Gastorchester, die einen akustisch anspruchsvollen Konzertsaal brauchen.

Ihr Büro hat etliche Großprojekte, von Flughäfen bis zu Stadien, im Lebenslauf. Ist so ein Konzertsaal – erst recht, wenn er nicht für die Ewigkeit gedacht ist – damit verglichen nur eine gehobene Fingerübung?

Das kann man nicht vergleichen. Es ist eine sehr spezielle, sehr komplexe Aufgabe, die trotz aller technischer Messbarkeit am Ende einen psychologischen Moment übrig lässt, denn sowohl das Publikum als auch die Künstler müssen sich in so einem Saal wohlfühlen. Es gibt Säle, die zurückgewiesen werden.

Architekten wählten Konzept der Schuhschachtel

Der Klassiker dazu ist das legendär gewordene Leonard-Bernstein-Urteil über den Münchner Gasteig: „Burn it!“ ...

Genau. Um so größer ist für uns der ­Ansporn in München trotz der begrenzten Nutzungszeit einen Konzertsaal mit einer angenehmen Atmosphäre und einer erstklassigen Akustik zu schaffen.

Wie sieht Ihr Plan für die Interimsphilharmonie aus? Sie bauen eine Schuhschachtel, die ist – anders als ein Weinberg-Modell à la Elbphilharmonie – ja vergleichsweise einfach zu bewältigen.

Auf dem Stadtwerke-Gelände in München-Sendling gibt es eine sehr schöne, denkmalgeschützte Trafohalle aus den 1920er-Jahren, die das Foyer für die Gasteig-Zwischenlösung sein wird. Daneben errichten wir einen sehr einfachen, temporären Stahlbau, in den wir in Holzmodulbauweise den Konzertsaal einpassen. Das Konzept der Schuhschachtel ist hier deshalb richtig, weil es unterschiedliche Veranstaltungsformate erlaubt.

Warum dann Schuhschachtel und nicht etwas anderes?

In den ersten Überlegungen hatten wir einen Weinberg vorgeschlagen, weil wir die ­Erfahrung gemacht haben, dass er die konzentriertesten Musik-Erlebnisse ermöglicht. Aber die Münchner haben sich eine Schuhschachtel gewünscht. Weil sie den Saal vor allem als Konzertsaal nutzen wollen, aber auch, weil dort andere, halbszenische Formate stattfinden sollen.

Saal soll 1800 Plätze bieten

Was stand noch auf dem Wunschzettel?

Ein Saal mit 1800 Plätzen mit steil ansteigendem Parkett: keine üblicherweise flache Schuhschachtel, wie man sie aus dem Wiener ­Musikverein kennt. Das hat etwas damit zu tun, dass Hör- und Seherlebnis zusammenfallen sollen. Nur das, was ich sehe, kann ich auch gut hören und umgekehrt. Darüber hinaus planen wir eine differenziert verfahrbare Konzertbühne.

Da Toyotas Elbphilharmonie-Akustik so speziell ist, gab es da auch Ansagen wie: Wir möchten auch einen tollen Klang, aber sooo klar und ­geradezu digital dann lieber doch nicht? Gab es Nachhallzeit-Ansagen?

Die liegt wahrscheinlich ähnlich wie in der Elbphilharmonie, über zwei Sekunden, wobei die Nachhallzeit nur wenig über die akustische Qualität eines Konzertsaals aussagt. Die Protagonisten – vor allem der Philharmoniker-Chefdirigent Gergiev – haben bereits Konzerte in der Elbphilharmonie gegeben. Die finden den Saal toll. Deswegen gibt es grundsätzlich keine Ressentiments, einen ebenso brillanten Saal in München zu realisieren. Natürlich mit Abstrichen: Ein Konzertsaal für fünf Jahre wird nicht so fein gefräst sein wie die „Weiße Haut“ in Hamburg. Die Budgets sind überhaupt nicht zu vergleichen.

Haben Sie bereits ein Konzert im Großen Saal der Elbphilharmonie miterlebt?

Ich war schon da – allerdings bei der ­Inszenierung von Sasha Waltz & Guests, die bewusst auf Musik verzichtet hat. Es gab aber trotzdem einen Eindruck von dieser absolut klaren Akustik.

Bricht es einem Architekten nicht das Herz, wenn man so ein Projekt plant und dabei schon weiß, dass es nach nur fünf Jahren schon wieder ein Ende hat?

Wenn es danach ab- und woanders wieder aufgebaut wird, dann nicht. Das ist ja auch das Ziel, deshalb die modulare Bauweise. Momentan gibt es viele Säle und Einrichtungen in Europa, die in die Jahre gekommen sind und entsprechend ­umgebaut werden müssen. Es gibt also durchaus einen Markt für diese Art temporärer Konzertgebäude. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass man diesen Saal in München behält und unter ­Umständen einer ganz anderen Nutzung zuführt – wer weiß!

„Toyota hat fantastische Referenzen“

Wie läuft die praktische Arbeit mit Toyota? Er ist momentan für Weinbergigeres ­bekannt, nun aber soll er eine Schuhschachtel liefern. War er womöglich wenig erfreut über diesen Kurswechsel?

Nein, überhaupt nicht, da er ja auch schon Vergleichbares geplant hat. Die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles, eines seiner Meisterstücke, ähnelt zwar der Weinberg-Form, der Grundriss aber ist eher eine Schuhschachtel. Toyota hat mit den zahlreichen Sälen, deren Akustik er entwickelt hat, fantastische Referenzen.

Einer der Auslöser für die Elbphilharmonie-Katastrophen war neben der fehlenden Planungstiefe auch die anfängliche, verhängnisvolle Vertragskonstruktion zwischen Stadt, Baufirma und Architekten.

Das Problem haben wir nicht. Unser Auftraggeber ist der Gasteig, wir haben einen einzigen Bauherrn.

Sie legen auch erst los, wenn alles fertig durchgeplant ist?

Anders ist es bei der geplanten Modulbauweise auch gar nicht möglich.

Kosten sollen eingehalten werden

Was haben Sie für Ihre Arbeit aus dem Elbphilharmonie-Debakel gelernt?

Das Allerwichtigste: Dass man sich vorher darüber bewusst wird, welche Qualitäten, Kosten und Termine angestrebt werden.

Und Sie sind sich sicher, dass Sie im Kosten- und im Zeitrahmen bleiben?

Das ist unser Ziel. Sicherheit gibt es aber nur dann, wenn alle an einem Strang ziehen.

Sie könnten sich bei diesem Münchner Projekt doch auch entspannen: Alles, was überhaupt nur schiefgehen kann, ist bereits in Hamburg passiert.

Jedes Projekt hat seine eigenen Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Bislang sind wir mit unserem Gasteig-Interim-Entwurf auf viel positive Resonanz gestoßen. Das lässt uns optimistisch auf die jetzt anstehende Planungs- und Bauzeit blicken.