Ein Sonderausschuss der Bürgerschaft bemüht sich seit zehn Monaten um die politische G-20-Aufarbeitung – Nennenswerte Konsequenzen wurden noch nicht gezogen.
Ob das seine schwerste Stunde als Bürgermeister sei? „Ganz sicher“, sagte Olaf Scholz, „das ist die schwerste Stunde.“ So niedergeschlagen wie am Sonntag nach dem G-20-Gipfel hat man den sonst so selbstbewussten Politiker selten gesehen. Sogar über Rücktritt habe er nachgedacht, räumte der Bürgermeister später ein: Hätte es bei den schweren Ausschreitungen einen Toten gegeben, wäre er zurückgetreten.
Zum Glück gab es den nicht, und so blieb die denkbar schärfste Konsequenz für die Hamburger Politik aus. Dennoch haben der G-20-Gipfel und die Frage, wie es trotz des größten Polizeieinsatzes in der Geschichte der Bundesrepublik zu einer derartigen Gewaltorgie kommen konnte, die Politik der Hansestadt maßgeblich geprägt und beschäftigen sie bis heute. Der von der Bürgerschaft eingesetzte Sonderausschuss will seine Aufklärungsarbeit nach der Sommerpause fortsetzen.
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Wie die gesamte politische Aufarbeitung des Gipfels war auch die Einsetzung dieses Ausschusses schon umstritten. Kurz nach den Ereignissen hatte die Bürgerschaft zunächst eine Sondersitzung des Innenausschusses einberufen – schließlich ging es bei den Krawallen um Innenpolitik. Es wurde ein denkwürdiger Abend: Mehr als acht Stunden lang, bis weit in die Nacht zum 20. Juli, tagten die Abgeordneten – eine der längsten Sitzungen in der Geschichte der Bürgerschaft. Und eine kuriose: Nachdem Senat und Polizei längliche Eingangsstatements abgegeben hatten, beschwerten sich CDU, FDP und Linkspartei über „Zeitspiel“, warfen der Regierung fehlenden Aufklärungswillen vor und verweigerten für die weitere Sitzung ihre Mitarbeit.
CDU, FDP, Linke und AfD drohten zwar immer wieder damit, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) einzurichten: Dieses „schärfste Schwert der Opposition“ agiert eher wie ein Gericht und hat auch Sanktionsmöglichkeiten, etwa gegen Zeugen, die die Mitarbeit verweigern. Doch obwohl die Opposition die nötigen Stimmen dafür gehabt hätte, konnte sie sich doch nicht dazu durchringen – wobei ein Grund gewesen sein dürfte, dass die CDU weder „ihre“ Bundeskanzlerin als G-20-Gastgeberin noch die Polizei auf die Anklagebank setzen wollte. So wurde schließlich auf Vorschlag von SPD und Grünen ein „Sonderausschuss“ eingesetzt: formal zwar ein normaler Ausschuss der Bürgerschaft, aber nur mit dem Auftrag, die G-20-Ereignisse aufzuklären.
Die Opposition verzichtete aufihr „schärfstes Schwert“
Er nahm am 1. September seine Arbeit auf und hat bis heute 13-mal getagt, selten unter fünf Stunden. Für Verdruss sorgten anfangs die Akten, die der Ausschuss bei Senat und Polizei angefordert hatte. Es seien zu viele – allein die ersten beiden Lieferungen umfassten mehr als 300 DIN-A4-Ordner –, die Papiere seien nicht logisch geordnet, und zu viele Stellen seien geschwärzt worden, lautete die Kritik der Politiker.
Während die Opposition den geringen Erkenntnisgewinn beklagte, gab es für neutrale Beobachter im Ausschuss durchaus Neues zu erfahren. Etwa, dass für die Austragung des Gipfels außer dem Messegelände auch das Volksparkstadion, die Barclaycard Arena, das CCH, das Rathaus und der Kleine Grasbrook im Gespräch gewesen waren.
Oder dass „Taktiken“ der Gewalttäter – etwa die Aufsplittung größerer Gruppen in „Finger“, der guerillamäßige Angriff auf mehrere Ziele gleichzeitig oder der gezielte Versuch, einen „Kontrollverlust“ der Sicherheitskräfte herbeizuführen – zumindest die Sicherheitsbehörden des Bundes keineswegs überrascht hatten. „Wir kannten das alles“, sagte eine hochrangige Verfassungsschützerin im Ausschuss. Offensichtlich hatte sie andere Erkenntnisse als die Hamburger Polizei: Die hatte nach G 20 eingeräumt, dass die Angriffe auf völlig unbeteiligte Ziele wie auf der Elbchaussee sie kalt erwischt hätten.
Wie der Mammut-Einsatz vorbereitet wurde, welche Taktik die Polizei verfolgte, warum sie die Verwüstungen im Hamburger Westen nicht verhindern konnte, warum sie bei den Ausschreitungen im Schanzenviertel so spät eingriff – alles das wurde im Ausschuss mehrfach und minutiös vorgetragen. Das galt ebenso für die Arbeit der Soko „Schwarzer Block“, die Fahndung nach den Straftätern sowie Vorwürfe gegen Polizisten. Die Wortprotokolle dieser Sitzungen sind alle öffentlich einsehbar.
Dass die Opposition den Sonderausschuss dennoch immer wieder als „Alibiveranstaltung“ kritisierte, hatte auch mit unterschiedlichen politischen Motiven zu tun. So war die Linkspartei fast ausschließlich auf ein mögliches Fehlverhalten der Sicherheitsbehörden fokussiert, während CDU und AfD lieber die linke Szene in Hamburg, die Rote Flora sowie die politische Verantwortung des Senats thematisierten. Rot-Grün, und hier vor allem die SPD, fokussierte sich wiederum stark auf die Gewalttäter und versuchte, den Senat durch freundliche Fragen in ein günstiges Licht zu rücken.
Bereitschaftspolizeisoll gestärkt werden
Bei der öffentlichen Anhörung im Mai in Altona gelang das nicht: Während die Politik zum Schweigen verdammt war, ließen vom Gipfelgeschehen Betroffene ungehemmt Luft ab. Sollte man im Rathaus die Hoffnung gehabt haben, dass sich die Wut der Bürger schon wieder legen werde, erhielt sie an diesem Abend einen Dämpfer.
Das lag auch daran, dass G 20 bislang zu keinerlei personellen Konsequenzen geführt hat: Der damalige Bürgermeister ist jetzt Bundesfinanzminister, Innensenator Andy Grote (SPD) und Polizeipräsident Ralf Meyer sind noch im Amt, und G-20-Einsatzleiter Hartmut Dudde wurde sogar befördert. Allerdings gilt das auch umgekehrt: Nachdem Scholz direkt nach dem Gipfel noch der von Autonomen besetzten Roten Flora mit „Konsequenzen“ gedroht hatte, fährt der Senat inzwischen eine andere Linie: Wenn von der Flora keine weitere Gewalt ausgehe, könne sie bleiben.
Dass die kürzlich beschlossene Kennzeichnungspflicht für Polizisten eine Konsequenz aus G 20 ist, weist der Senat zwar offiziell von sich. Das sei ohnehin geplant gewesen. Ob sie ohne die Ereignisse beim Gipfel jetzt auch gekommen wäre, darf aber zumindest bezweifelt werden. Der neue Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sieht dagegen die geplante Stärkung der Bereitschaftspolizei und die europaweite Strafverfolgung nach G 20 als Konsequenz aus dem Gipfel. Er ist zwar weiterhin offen für internationale Großveranstaltungen in Hamburg, sagt aber auch: „Mit dem Wissen von heute würde man einen G-20-Gipfel in dieser Form nicht mehr organisieren.“