Hamburg. Trinkhalme, Besteck und Wattestäbchen sind bald auch in vielen Hamburger Supermärkten nicht mehr im Sortiment.

Das Szenario klingt apokalyptisch: „Wenn wir nicht die Art und Weise ändern, wie wir Kunststoffe herstellen und verwenden, wird 2050 in unseren Ozeanen mehr Plastik schwimmen als Fische“, sagt Frans Timmermanns, Erster Vizepräsident der EU-Kommission. Ende Mai hat die Behörde mit einem Vorstoß für Aufsehen gesorgt: Sie will Trinkhalme, Wattestäbchen und Einweggeschirr aus Plastik verbieten. Diese Richtlinie ist zwar nur ein Vorschlag, dem die EU-Staaten und das EU-Parlament zustimmen müssen. Entsprechend könnte sich das endgültige Aus hinziehen – doch offenbar erzielte schon das geplante Verbot Wirkung.

Am Mittwoch gaben die ersten Handelsketten konkrete Schritte in dieser Richtung bekannt. „Als erste Einzelhändler in Deutschland wollen Rewe, Penny und Toom Baumarkt flächendeckend auf den Verkauf von Plastikhalmen in ihren insgesamt knapp 6000 Märkten verzichten“, teilte die Rewe Group mit. Die Trinkhalme seien ein typisches Wegwerfprodukt, das im Schnitt nur 20 Minuten genutzt werde, bevor es im Müll lande.

Alternativen aus Papier

Auf der anderen Seite gehörten sie zu den Artikeln, die weltweit am häufigsten als Plastikmüll an den Strand geschwemmt würden. „Mit dem Verzicht spart die Rewe Group zukünftig in ihren Märkten über 42 Millionen Einweg-Plastikhalme pro Jahr ein“, teilte das Unternehmen mit, das allein in Hamburg weit mehr als 100 Supermärkte, Discounter und Baumärkte betreibt. Restbestände sollen ab sofort nach und nach abverkauft werden. Ab dem nächsten Frühjahr sollen Alternativen aus Papier, Weizengras und Edelstahl in den Läden stehen.

Noch einen Schritt weiter, allerdings zu einem späteren Zeitpunkt, geht die Schwarz-Gruppe. Die Discounter-Tochter Lidl werde in seinen rund 3200 Filialen bis Ende 2019 Einwegplastikartikel wie Trinkhalme, Einwegbecher und -gläser, -teller und -besteck sowie Wattestäbchen mit Plastikschaft komplett auslisten, teilte Lidl gestern mit. „Sie werden ersetzt durch Produkte aus alternativen und recycelbaren Materialien, an denen das Unternehmen aktuell mit seinen Lieferanten arbeitet“, so Lidl.

Test von Mehrweglösungen

Nahezu zeitgleich versandte das ebenfalls zur Schwarz-Gruppe gehörende Unternehmen Kaufland die Pressemitteilung, ab Ende 2019 ebenfalls auf Ohrenstäbchen aus Kunststoff, Plastikstrohhalme und Einweg-Kunststoffgeschirr der Eigenmarken verzichten und durch nachhaltige Alternative ersetzen zu wollen. Neben nachhaltigem Pappgeschirr soll verstärkt Mehrweggeschirr ins Sortiment genommen werden.

„Je schneller von den Unternehmen gehandelt wird, umso besser ist es für Umwelt und Natur“, sagt Bernhard Baus­ke, Projektkoordinator Meeresmüll bei der Naturschutzorganisation World Wide Fund For Nature (WWF). Generell sei es gut, wenn die Handelsketten die vorhandene Neigung der Verbraucher unterstützen, zu Mehrwegprodukten zu greifen, indem sie diese ins Sortiment aufnehmen.

24.05.2018, Berlin: Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission, lächelt in die Kamera. Zum ersten Mal seit 25 Jahren findet der Europäische Justizgipfel wieder in Deutschland statt. Foto: Sina Schuldt/dpa [ Rechtehinweis: (c) dpa ]
24.05.2018, Berlin: Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission, lächelt in die Kamera. Zum ersten Mal seit 25 Jahren findet der Europäische Justizgipfel wieder in Deutschland statt. Foto: Sina Schuldt/dpa [ Rechtehinweis: (c) dpa ]

Die Konzerne Rewe und Schwarz sind damit dem Platzhirschen einen Schritt voraus. Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka mit Sitz in der Hamburger City Nord teilte auf Abendblatt-Anfrage mit: „Auch Edeka arbeitet bereits an ähnlichen Lösungen.“ So würden beispielsweise Trinkhalme aus nachwachsenden Rohstoffen in Bezug auf Geschmacksneutralität und Alltagstauglichkeit getestet. Als Alternative für bisherige Einwegartikel würden mehrfach verwendbare Artikel entwickelt wie Kunststoffteller und -becher. So würden bei vielen Artikeln zunehmend mehr recycelte oder nachwachsende Materialien eingesetzt. Ein Beispiel dafür sei von der Eigenmarke Gut & Günstig der Bambusbecher, der aus 70 Prozent Naturmaterialien wie Bambus bestehe.

In den acht Filialen des Hamburger Edeka-Händlers Niemerszein werden die wiederverwertbaren Kaffeebecher von den Kunden allerdings kaum verwendet – aber. „Die Mehrwegboxen an der Salatbar werden sehr gut angenommen“, sagt Niemerszein-Geschäftsführer Frank Ebrecht. Im Markt an der Hallerstraße und nach erfolgtem Umbau auch im Pöseldorf Center werden Mehrweglösungen für die Käse- und Wursttheke getestet. Weg von der einmal verwendeten Plastikflasche will Niemerszein bei frisch gepressten Orangensaft. Die Gespräche dazu liefen.

Generelle Vermeidung von Verpackungsmüll

Diese Maßnahmen zielen auf die generelle Vermeidung von Verpackungsmüll – ein Ziel, das Edeka, Rewe- und Schwarz-Gruppe sowie auch Aldi Nord unisono betonen. In den Rewe- und Penny-Märkten sollen noch in diesem Jahr 4,2 Millionen Tiefkühltaschen auf ressourcenschonende Recyclat-Folie umgestellt werden. Bei den Eigenmarken gibt es das Ziel, bis 2030 zu 100 Prozent auf umweltfreundliche Verpackungen umzustellen.

Kaufland will das Ziel fünf Jahre früher schaffen und bis dahin wie die Schwester Lidl den Kunststoffverbrauch um mindestens 20 Prozent senken. Dazu beitragen sollen zum Beispiel dünnere Folien oder das Verwenden von Schachteln aus Graspapier. Der Ausbau der Wiederverwertung von Materialen sei mindestens ebenso wichtig wie das Verbot von Plastiktrinkhalmen und Co., sagt WWF-Experte Bauske.

Die Reederei Royal Caribbean verbannt die Trinkhilfen aus Kunststoff übrigens schon ab Ende dieses Jahres von ihren Kreuzfahrtschiffen. Wer den Cocktail aus einem Halm schlürfen will, bekommt eine Variante aus Papier. Konkurrent Aida ist noch nicht so weit. Immerhin wurde in der Küche auf Einwegprodukte wie Probierlöffel, Einwegschürzen und -flaschen verzichtet. „Wir führen kontinuierlich flottenweit Untersuchungen durch, um wo immer möglich von Plastikprodukten auf biologisch abbaubare Artikel oder Mehrweg umstellen zu können“, sagte eine Aida-Sprecherin. Ein wenig Eigennutz ist wohl dabei: Schließlich wollen Kreuzfahrer ab 2050 nicht mehr Plastikteile als Fische im Meer schwimmen sehen.