Hamburg. Die Polizei rechnet die schwersten Taten eingereisten Linksextremisten zu, darunter vor allem Franzosen und Skandinavier.

Die schweren Ausschreitungen und Gewaltexzesse beim G-20-Gipfel 2017 in Hamburg waren eine Ausnahmesituation, die durch viele Faktoren ermöglicht und befeuert wurde. Zu dieser Einschätzung kamen die meisten der befragten Experten am Mittwochabend im G-20-Sonderausschuss der Bürgerschaft.

Das gute Wetter, viel Alkohol, Feindbilder wie die umstrittenen Präsidenten Trump, Putin und Erdogan in der Stadt, mit dem großen Polizeiaufgebot ein sichtbarer Gegner, dazu das Schanzenviertel als „mythischer Ort“ der linken Szene – vor einem Jahr sei einfach alles zusammengekommen, sagte Nils Zurawski vom Institut für Kriminologische Sozialforschung der Universität Hamburg: „Die Menge war da, der Gegner war da – die Situation bot sich einfach an.“

Die starke Mobilisierung durch die linksextreme Szene, permanent kreisende Hubschrauber und eine „dramatisierende Berichterstattung“ hätten sich hochgeschaukelt, sagte der Kriminalwissenschaftler Dirk Enzmann. Darauf seien dann auch viele junge Leute angesprungen, die einfach Spaß an der Gewalt hätten: „Es gibt auch ­Polit-Hooligans.“ Ähnlich sah es der Politikwissenschaftler und Extremismusforscher Rudolf van Hüllen: „Das war der optimale Kick.“ Hamburg habe die „Maximalmobilisierung“ erlebt, zu der die linke Szene in Europa derzeit fähig sei.

Höhere Gewaltbereitschaft im Ausland

Dass es generell eine zunehmende Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft gibt, bestätigten die Experten nicht, im Gegenteil: Alle diesbezüglichen Statistiken, etwa zur Familiengewalt oder die Kriminalitätsstatistik, seien rückläufig, sagte Enzmann. Zurawski sagt, die Gesellschaft werde eher immer pazifistischer, daher würden Ereignisse wie bei G 20 als umso dramatischer wahrgenommen.

Van Hüllen sah allerdings eine Veränderung in der Qualität der Gewalt. Noch vor zehn Jahren habe es zum Grundkonsens von Autonomen gehört, dass bei ihren Aktionen keine Unbeteiligten zu Schaden kommen dürfen. „Diese Sperren fallen weg.“ Seien früher Verletzungen von Polizisten nur billigend in Kauf genommen worden, würden heute gezielt Gehwegplatten aus dem fünften Stock geworfen. Da könne man eine Tötungsabsicht unterstellen.

Auch dass Brandsätze in Häuser geworfen werden, in denen sich Menschen aufhalten, wäre der linken Szene „früher nicht passiert“, so van Hüllen. Als Erklärung für die Exzesse in Hamburg verwiesen sowohl die Wissenschaftler als auch Hamburger Behördenvertreter im Ausschuss auf die deutlich höhere Gewaltbereitschaft bei ausländischen Linksextremisten.

Großteil aus Frankreich und Skandinavien

Wie die stellvertretende Verfassungsschutz-Chefin Anja Domres sagte, seien etwa 3000 Linksextremisten aus Deutschland zum G-20-Gipfel nach Hamburg gereist sowie 1600 bis 1700 aus dem Ausland, die größten Gruppen dabei aus Frankreich und Skandinavien.

Allerdings bekräftigte van Hüllen auch, dass die hiesige linke Szene sehr genau wisse, wie die von ihr eingeladenen ausländischen Extremisten ticken: „Eindeutig ja.“ Jan Hieber, Chef der Soko „Schwarzer Block“, sprach von einer Art „Arbeitsteilung“: Die Hamburger linke Szene habe durch logistische Unterstützung die Ausschreitungen erst möglich gemacht, sagte der Polizist. Aber die schwersten Taten seien überwiegend ausländischen Extremisten zuzurechnen.

Van Hüllen warnte zwar davor, jedem Menschen mit linker Gesinnung zu unterstellen, er würde Gewalt tolerieren. Aber es gebe in Hamburg halt ein „schützendes Milieu“ für Links­extremisten, ähnlich wie für andere Formen von Extremismus in den Vorstädten Frankreichs oder für Islamisten im Brüsseler Stadtteil Molenbeek.

Hamburg muss sich arrangieren

Hamburg müsse sich zwar grundsätzlich mit einer starken linken Szene arrangieren, so der Extremismusforscher. Denn in der ehemaligen Arbeiterstadt gebe es schon aus historischen Gründen neben der Sozialdemokratie auch eine starke kommunistische Strömung: „Das ist anders als in Garmisch-Partenkirchen, damit muss Hamburg leben.“

Er riet jedoch eindringlich davon ab, aus den G-20-Exzessen gar keine Konsequenzen zu ziehen: Das könne die linksextremistische Szene als Schwäche auslegen und ihre „Kampfzone ausweiten“, so Hüllen. Das sei in Berlin oder Leipzig zu beobachten gewesen. Von einer Räumung der von Autonomen besetzten Roten Flora, wie von CDU und AfD gefordert, halte er jedoch nichts, das sei nur „Symbolpolitik“. Wichtiger wären frühzeitig ansetzende Projekte gegen Linksextremismus, wie es sie auch gegen Rechts­extremismus gebe.