Hamburg. Politiker privat: Wie Fraktionschef Anjes Tjarks Triathlontraining, Familie und Beruf verbindet – nicht immer ökologisch korrekt.
Handball, Fußball, Tennis, Marathon – und jetzt auch noch der Wettbewerb für die Harten und Vielseitigen: Triathlon. Seit Monaten trainiert Anjes Tjarks für die Teilnahme an dem Kombinationswettbewerb aus Schwimmen, Radfahren und Laufen Mitte Juli an Alster und Elbe. Der Chef der Grünen-Bürgerschaftsfraktion schwimmt an Wochenenden 50 Bahnen im „Festland“, radelt zu allen Terminen durch die Stadt und läuft jeden Morgen um 6 Uhr, bevor er seine drei Söhne weckt, von der Altonaer Altbauwohnung zur Strandperle am Elbstrand und zurück. Falls das Sporttreiben nicht sogar eine Sucht ist, mehr als ein Hobby ist es auf jeden Fall für den Studienrat. „Sport ist die DNA meines Lebens“, sagt der 37-Jährige.
Schon als Jenfelder Junge begann Tjarks in Wandsbek mit Handball, danach spielte er jahrelang im defensiven Mittelfeld bei Concordia „Cordi“ Hamburg und in Barsbüttel Fußball und nebenbei Tennis. Viermal ist er den Marathon gelaufen, und nur zum Spaß macht er das alles ganz sicher nicht. Er würde es vielleicht nicht zugeben, aber es geht dem immer so locker daherkommenden Obergrünen auch darum zu zeigen, was er alles kann, zu welchen Leistungen er imstande ist. Seine exakte Marathonbestzeit hat er nicht zufällig im Kopf: In 3 Stunden 28 Minuten und sieben Sekunden hat er die mehr als 42 Kilometer mal geschafft. Damit war er unter den 2700 Besten der 20.000 Starter, auch das hat er parat.
Den Anstoß zum Marathontraining gab allerdings eine Niederlage. „Bei den Bundesjugendspielen habe ich irgendwann keine Urkunde mehr bekommen, nicht einmal mehr die kleine, das gefiel mir nicht“, erinnert sich Tjarks. „Ich war nie der bullige Typ, deswegen habe ich mich dann für Ausdauersport entschieden.“ Seither läuft er. Radfahren ist ohnedies eine alltägliche Beschäftigung für ihn. Die Familie hat kein eigenes Auto, alle Wege werden mit dem Rad erledigt, für Großeinkäufe steht ein Fahrradanhänger bereit. Auf den ihm als Fraktionschef zustehenden Dienstwagen und Fahrer verzichtet Tjarks wie alle Grünen vor ihm. So radelt er jeden Tag immerhin seine zehn bis 20 Kilometer durch Hamburg, meist mit dem Rennrad.
Bewegung als Ausgleich zur Politik
Die Bewegung schafft dabei einen elementaren Ausgleich zur Politik, die ja meist im Sitzen bei pappigen Brötchen betrieben wird. Auch hier hat der Sohn zweier Politiklehrer (sein Vater war mal in der SPD) seine Ausdauer bewiesen. Politisiert worden sei er in den letzten Ausläufern der Kohl-Jahre, für ihn als Jugendlichen eine „bleierne Zeit“: Vergewaltigung in der Ehe war nicht strafbar, Eltern durften ihre Kinder schlagen, es gab keine Homo-Ehe.
Nach dem Schröder-Fischer-Wahlsieg 1998 trat der 17-Jährige bei den Grünen ein – und wäre beinahe wieder rückwärts herausgelaufen aus einer seiner ersten Mitgliederversammlungen. Damals war Deutschland in den Balkankrieg eingetreten – ein Bundeswehrkriegseinsatz, ausgerechnet unter einem grünen Außenminister. In ihren Versammlungen seien die Grünen seinerzeit im Streit über dieses Thema beinahe schon körperlich aufeinander losgegangen, erinnert sich Tjarks. Geblieben ist er dann trotzdem. Vielleicht haben diese Erfahrungen ihn zu einem gemacht, der heute als Vollblut-Realpolitiker eher um Harmonie bemüht ist – und zusammen mit dem langjährigen SPD-Fraktionschef Andreas Dressel seit 2015 viele große Konflikte in der Stadt vor ihrer Eskalation abräumte.
Er ist gern der Gute und Nette
Dass er damit das glatte Gegenstück zum kampfeslustig-kantigen grünen Umweltsenator Jens Kerstan ist, würde Tjarks vermutlich bestreiten – aber dass die Grünen die „Good Guy“- und „Bad Guy“-Rollen in Hamburg fest verteilt haben, das streitet niemand in der Partei ab. Tjarks ist gerne der Gute, der Kluge, der Nette und Adrette, der Sportliche. Manche in der Partei finden, er sei gegenüber der SPD bisweilen zu nachgiebig. Austeilen kann er trotzdem. Er gilt als einer der besten Redner in der Bürgerschaft. Besonders stolz ist der grüne Politpädagoge auf den Klick-Erfolg seiner Generalabrechnung mit der AfD-Parlamentsarbeit aus dem Jahr 2016 bei Facebook und Co.
Wie aber bekommt man all das unter einen Hut – die Betreuung zehnjähriger Zwillinge und eines Sechsjährigen, die Pflege einer Ehe, das Putzen der 160-Quadratmeter-Wohnung, Einkaufen, Laufen und dann auch noch das grüne Hauptgeschäft: jeden Tag wieder die Welt retten? Ist auch Tjarks, wie viele Spitzenpolitiker, ein Fünfstundenschläfer und hat damit mehr Zeit zur Verfügung als die meisten anderen?
Zeit sinnvoll nutzen
„Nein“, sagt er und versucht als bekennender Koffeinverächter für den Besuch einen ordentlichen Kaffee aus der Maschine in seiner Küche herauszubekommen, die er jeden Morgen für seine Frau bedient. Er sei Frühaufsteher, meist springe er um 5 Uhr aus dem Bett. Dafür gehe er aber schon mal um 21 Uhr schlafen. Der Trick sei: Man müsse „kompakt arbeiten und unnötigen Kram vermeiden“, sagt Tjarks. Wenn man die deutsche WM-Niederlage gesehen habe, könne man die Glotze ausmachen. Kein Mensch brauche drei Stunden Spielanalyse, die dann folgten. „Man muss seine Zeit sinnvoll nutzen.“
Zu sinnvoller Organisation gehört im Hause Tjarks, dass Vater Anjes morgens nach dem Joggen seinen Jungs die Brote schmiert und sie in die Schule verabschiedet, während seine Frau, die für die grüne Bundestagsabgeordnete Anja Hajduk arbeitet, sich um ihren Job kümmern kann. Seine Söhne seien ihm ziemlich ähnlich geraten, sagt er. Auch sie seien Linkshänder und hätten Probleme mit Rechtschreibung – für deren Überwindung auch er lange gebraucht habe. Ab Vormittag wird gearbeitet, im Rathaus oder am heimischen Schreibtisch. Wie Familie funktioniert, testet Tjarks nicht nur seit Jahren im echten Leben. Er hat auch seine Doktorarbeit darüber geschrieben. Darin untersuchte er, wie Familienbilder Einfluss auf die Weltbilder der Menschen nehmen. Wer in einer Familie mit strengem patriarchalen Vater aufwächst, tendiert demnach zu einer konservativen Weltsicht mit klaren Regeln. Wer in einer eher „empathischen“ Familie groß werde, blicke liberaler in die Welt.
Kiloweise Pizza aus Fertigteig
Auch deswegen ist Tjarks überzeugt, dass in der politischen Auseinandersetzung nicht nur die besseren Argumente zählen. Bei politischen Entscheidungen von Menschen gehe es um Erfahrungen, Gefühle und Weltbilder – und erst am Ende auch um rationale Argumente. Daher sei es für Politiker wichtig, Gefühle zum Klingen zu bringen – etwa mit Sprachbildern. Er habe sich viel mit der Kraft von Metaphern wie etwa dem der „Heuschrecke“ für Finanzinvestoren befasst, so Tjarks.
Aber nicht nur sprachliche Bilder, auch Fotos sind wichtig. Tjarks vermarktet sich auch in sozialen Medien wie Facebook oder Instagram selbst mit Schnappschüssen aus dem eigenen Leben. Statusgehabe sei ihm zuwider, sagt er zwar, und Authentizität wichtig. Dabei weiß der Grüne aber sehr wohl, an einem positiven Image zu arbeiten – sonst würde er sich kaum beim Sport für die Zeitung fotografieren lassen. Auch bei Facebook zeigt er sich oft in Bewegung – meistens auf dem Fahrrad. Neulich hat er mal ein Bild seines mit Einkäufen bepackten Fahrradanhängers gezeigt. Voll und verräterisch: Seither weiß alle Welt, dass es im Hause Tjarks nicht nur ökologisch korrekte Äpfel, Milch und Käse gibt – sondern auch kiloweise Pizza aus Fertigteig.