Hamburg. Im neuen German Institute for Defence and Strategic Studies sollen Soldaten und Wissenschaftler zusammenarbeiten.
Sie ist die höchste Aus- und Weiterbildungsstätte für das Spitzenpersonal der deutschen Streitkräfte: An der Führungsakademie der Bundeswehr (FüAk) in Nienstedten beschäftigen sich täglich bis zu 600 Stabsoffiziere, Generale und Admirale mit Themen wie Management, Operationsführung und Sicherheitspolitik, unterrichtet von 130 festen Lehrenden und 500 Gastdozenten pro Jahr aus aller Welt.
Nun, im 60. Jahr ihres Bestehens in Hamburg, überrascht die Elite-Einrichtung mit einer zumindest für Außenstehende bemerkenswerten Selbsteinschätzung: Das von den Dozenten und Lernenden an der FüAk produzierte Wissen sei bisher nur punktuell, aber nicht systematisch genutzt worden; Expertise aus Tausenden Seminararbeiten und Workshops schlummere in den Archiven; ein großer Teil der angehäuften Erkenntnisse sei nicht zu den Entscheidungsträgern in der Politik gelangt. „Das ist eine Vergeudung geistiger Ressourcen, die wir uns nicht leisten können und sollten“, sagt Brigadegeneral Oliver Martin Kohl, Kommandeur der FüAk.
Künftig soll die FüAk zu einer Denkfabrik werden und dafür enger mit der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr (HSU) in Wandsbek zusammenarbeiten. Als Kern ihrer Kooperation bauen die beiden Partner das neue German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS) mit 25 Mitarbeitern auf.
Die offizielle Gründung wird am Sonnabend bei einer Festveranstaltung an der HSU stattfinden, im Beisein von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU).
„Nicht auf angelsächsische Denke verlassen“
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit militärischer Strategie sei hierzulande unzureichend und vom Niveau nicht mit der Forschung im angelsächsischen Raum vergleichbar, sagt der Präsident der Helmut-Schmidt-Universität (HSU), Prof. Klaus Beckmann. „Mit Blick auf Trump und den Brexit sollten wir uns auch nicht auf die angelsächsische Denke verlassen. Die europäische Ertüchtigung wird an Bedeutung gewinnen.“
Bereits heute findet an der FüAk die erste Tagung des GIDS statt, die sich mit Strategien in Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport befasst und mit der Frage, was die Bundeswehr daraus lernen kann. Zu den Gästen zählen etwa Michael Vesper, ehemaliger Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes, Klaus Töpfer, ehemaliger Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen und Wilfried Schulz, Generalintendant des Düsseldorfer Schauspielhauses.
Zu ihrer Neuausrichtung kam die Führungsakademie wohl nicht von alleine. Vielmehr war es Ursula von der Leyen, die in einer Rede im November 2016 forderte, die FüAk müsse ihr Profil schärfen und als „Think Tank“ einen „wesentlichen Beitrag für die Strategiefähigkeit der Bundeswehr wie auch der Bundesregierung leisten“.
Probleme zu bedenken gibt es genug
An Herausforderungen und Problemen, denen sich eine Denkfabrik widmen könnte, mangelt es nicht. In Mali unterstützen deutsche Soldaten eine Friedensmission, in Afghanistan bilden sie einheimische Sicherheitskräfte aus, in Syrien und im Irak beteiligen sie sich mit Aufklärungsmissionen am Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat.
Für Negativ-Schlagzeilen sorgten defekte Gewehre, Hubschrauber und U-Boote, rechtsextreme Offiziere und sadistische Praktiken in der Ausbildung. Dabei brauchen Teile der Truppe dringend Nachwuchs, soll die Bundeswehr wie angestrebt wieder wachsen und will sie Experten gewinnen, die sich auch mit digitalen Attacken und der Kriegsführung im Cyberspace auskennen.
Zwar gibt es in Deutschland schon Denkfabriken, die sich mit militärischen Fragen beschäftigen, etwa die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. „Diese Institute betreiben aber keine Grundlagenforschung wie wir“, sagt HSU-Präsident Klaus Beckmann. An der Führungsakademie der Bundeswehr wiederum lernen Soldaten mit langjähriger Berufserfahrung, die schon in Einsätzen etwa in Afghanistan waren und Teams geführt haben. Sie sollen künftig am GIDS mit Forschern von der HSU zusammenarbeiten. „So lassen sich militärische Kompetenz und wissenschaftliche Expertise verbinden“, sagt Oberst Boris Nannt, Direktor Strategie und Fakultäten an der FüAk.
Kooperationspartner: Helmut-Schmidt-Uni und FüAk
Seit vier Jahren kooperiert die FüAk bereits mit der Helmut-Schmidt-Universität bei der Durchführung des Master-Studiengangs Militärische Führung und internationale Sicherheit. „Dabei sind wissenschaftliche Arbeiten entstanden, die uns mit ihrer Qualität überrascht haben“, sagt Nannt. „In Zukunft wollen wir die Untersuchungen besser kanalisieren und Arbeiten zu Schwerpunktthemen vergeben.“
Denkbare Forschungsthemen könnten etwa sein: Wie kann die zukünftige Afrika-Strategie der Bundeswehr aussehen? Was bedeutet der Klimawandel für die Menschen der betroffenen Region und für die dort eingesetzten Soldaten? Welche Folgen hätte es, wenn die Truppe künftig auf Elektrofahrzeuge setzen würde? Je nach Bedarf sollen in den Forschungsgruppen Soldaten und Zivilisten aus verschiedenen Disziplinen zusammenarbeiten, etwa Ingenieure, Betriebswirte, Informatiker und Geistes-wissenschaftler.
Im Zuge der Kooperation mit der HSU entstanden bisher nur Masterarbeiten. Künftig könnte die Arbeit der neuen Denkfabrik auch zu Promotionsprojekten an der HSU führen, sagt Uni-Präsident Klaus Beckmann. „Die Hoffnung ist, dass wir als Hochschule damit eine neue wissenschaftliche Qualität erreichen und international stärker wahrgenommen werden.“
Vorträge auch bei YouTube und im Internet zeigen
Stärker wahrgenommen werden will die FüAk auch in der Öffentlichkeit. „Über 60 Jahre ist hier geschrieben und gedacht worden, aber auf der Internetseite der FüAk findet man dazu kaum etwas“, sagt Boris Nannt. Künftig will die FüAk ihre Dozenten online vorstellen und ihre Arbeit besser erklären. Denkbar sei auch, Vorträge bei YouTube und auf der TED-Talks-Internetseite bereitzustellen.
Das GIDS soll in Hamburg zudem Tagungen anbieten, bei denen interessierte Bürger mit Soldaten und Wissenschaftlern diskutieren können. „Wir wollen gesellschaftliche Kräfte mit einbinden, weil wir denken, dass es einen Nachholbedarf gibt, sich über grundsätzliche Fragen in der Sicherheitspolitik zu verständigen, die nicht nur ein Fachpublikum interessieren sollten, sondern jeden Bürger unseres Landes betreffen“, sagt Kommandeur Oliver Kohl. Zwar werde es auch künftig Dokumente geben, die aus Sicherheitsgründen unter Verschluss bleiben müssten. „Aber was öffentlich gemacht werden kann, wird auch der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.“