Hamburg. Sozialverband und DGB kritisieren vor allem beim Projekt Hausbesuche die zögerliche Umsetzung.
Als Peter Tschentscher Ende März das Bürgermeisteramt von Olaf Scholz (beide SPD) übernahm, hat er weitgehend auf inhaltliche Neujustierungen verzichtet. Umso auffallender war seine mehrfach getätigte Ankündigung, die Situation der Senioren stärker in den Fokus rücken zu wollen. „Ich halte das Leben im Alter für ein eigenständiges und wichtiges Thema“, hatte Tschentscher gesagt und betont, Hamburg tue ja schon viel für Kinder, Jugendliche, Studenten und Familien. Aber: „Die ältere Generation soll auch gut leben können in Hamburg.“
Das hatte große Erwartungen geweckt, aber auch die Frage aufgeworfen, was denn konkret verbessert werden solle. Antworten hatten sich Experten vor allem von dem Haushaltsentwurf für 2019/2020 erhofft, den der Senat vergangene Woche vorgestellt hatte. Doch zumindest aus Sicht des Sozialverbandes Deutschland (SoVD), der stadtweit Seniorenberatungen durchführt und die Situation der Rentner bestens kennt, ist das Zahlenwerk eher ernüchternd.
"Viel zu wenig Engagement“
„Auf der Strecke bleiben offenbar viele Senioren“, kritisierte Klaus Wicher, SoVD-Landesvorsitzender in Hamburg. „Ich frage mich, auch im Hinblick auf den demografischen Wandel und immer mehr ältere Menschen in der Stadt, welche Verbesserungen sich für sie einstellen werden. Ich sehe da viel zu wenig Engagement.“
Unterstützungsbedarfe besprechen
Enttäuscht zeigt sich der SoVD-Vorsitzende vor allem mit Blick auf das Projekt „Hamburger Hausbesuche“: Ursprünglich hätten SPD und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, „allen älteren Hamburger Bürgern“ Hausbesuche anzubieten, um medizinische, pflegerische oder soziale Unterstützungsbedarfe zu besprechen und gegebenenfalls Hilfen einzuleiten. Im Ergebnis werden nun ab Herbst im Rahmen einer Testphase nur in den Bezirken Harburg und Eimsbüttel Hausbesuche angeboten, und das auch nur für die Senioren, die in dem Jahr 80 Jahre alt werden.
„Das betrifft gerade mal 3300 Menschen“, sagt Wicher und kritisiert: „Auf eine große Ankündigung folgt eine sehr kleine Realisierung. In Hamburg leben immerhin mehr als 426.000 Menschen, die 60 Jahre und älter sind, und deren Lebensqualität durch aufsuchende Hausbesuche verbessert werden könnte und muss.“
Sowohl in der Senatskanzlei als auch in der für Senioren zuständigen Gesundheitsbehörde wird die unterschwellige Kritik, Tschentscher lasse seinen Worten keine Taten folgen, zurückgewiesen. „Ich freue mich, dass der Bürgermeister dem Thema Leben im Alter so große Bedeutung beimisst“, sagte Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) dem Abendblatt und betonte: „Auch im Haushalt 2019/2020 schlägt sich nieder, dass Selbstbestimmung, Integration und gute pflegerische und medizinische Versorgung der wachsenden Zahl älterer Hamburgerinnen und Hamburger Schwerpunkte des Senats sind.“
Mehr Mittel für die Seniorenarbeit
Ihre Behörde verweist auf konkrete Verbesserungen: So werde die Förderung für „generationengerechte Wohnformen im Quartier“ erstmals mit 500.000 Euro pro Jahr im Haushalt fest eingeplant. Derartige Förderung habe es früher zwar auch schon gegeben, aber immer nur projektbezogen und meistens nur finanziert, indem man Haushaltsreste zusammengekratzt habe. Verbessert werde auch die Wohn-Pflegeaufsicht: Zur Finanzierung von elf zusätzlichen Stellen in den Bezirken stelle die Behörde gut 800.000 Euro pro Jahr zusätzlich zur Verfügung. Die Mittel für die Seniorenarbeit in den Bezirken würden um 15 Prozent auf 3,16 Millionen Euro jährlich erhöht. Und auch die Ausweitung der Hausbesuche auf ganz Hamburg sei geplant: Von 2019 an stehe für das Projekt jedes Jahr eine Million Euro zur Verfügung (2018: 400.000 Euro).
Der Sozialverband begrüßt die einzelnen Maßnahmen durchaus, hält sie aber für unzureichend. So gehe die Förderung altersgerechter Wohnformen in die richtige Richtung. „Aber 500.000 Euro sind natürlich zu wenig, das ist schnell verbaut“, so Wicher. Auch die Steigerung der Mittel für die Seniorenarbeit sei gut, aber er hätte sich gewünscht, dass diese „nicht mit der Gießkanne“ verteilt würden. Wicher: „Es fehlt ein schlüssiges Gesamtkonzept für die Seniorenarbeit und die Linderung der Altersarmut in Hamburg.“
Diese Ansicht teilt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). „Mir fehlt ein roter Faden in der Seniorenpolitik, es gibt zu viele unterschiedliche Zuständigkeiten“, sagt die DGB-Vorsitzende Katja Karger. Mehr Mittel für Seniorenarbeit seien gut, es sei aber unklar, wo das Geld am Ende lande. Auch die Hausbesuche begrüßt Karger, das Projekt werde aber viel zu zögerlich angegangen. Ihr Gesamturteil fällt daher etwas wohlwollender aus: „Der Bürgermeister lässt seinen Ansagen durchaus etwas folgen“, sagt Karger. „Aber mir geht das zu langsam und es ist nicht entschlossen genug.“