Hamburg . Diskussion um Gastronomie auf neuen Pontons. Strenge Gestaltungssatzung verhinderte viele andere Ideen.
Es gibt nur wenige Orte, über die man in Hamburg so herrlich streiten kann wie über die Alster – und das schon seit Jahrzehnten. So war der Vorstoß der CDU um Fraktionschef André Trepoll und Ideengeber David Erkalp doppelt clever – beide konnten ein echtes Thema setzen, das viele Hamburger bewegt und die Senatsfraktionen zur Abwechslung in die Rolle der Opposition zwingt. Die geplanten Pontons am Ballindamm und am Neuen Jungfernstieg, die Uferpromenaden mit Gastronomie schüren manche Fantasie.
"Keine Ballermann-Promenade"
Der SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf tappte mit Verve in die Dagegen-Falle: „Die Binnenalster darf nicht durch leichtfertige Vorschläge zu einer Ballermann-Promenade verkommen“, zürnte er. Das hatte nur niemand gefordert. Plötzlich schlüpfen die Christdemokraten in die Rolle der Gestalter und die Sozialdemokraten in die der Verhinderer. Politik vermag zu überraschen.
Dabei wissen SPD und Grüne durchaus Argumente auf ihrer Seite. Die Binnenalsterverordnung ist seit dem 3. Mai 1949 in Hamburg Gesetz. Sie begrenzt die Höhen des Hauptgesims auf 24 Meter, verlangt ein graues oder kupfergrünes Steildach, hellen Naturstein oder Putz; Werbung erlaubt sie nur sehr diskret, das Licht muss weiß scheinen. Schon der legendäre Oberbaudirektor Fritz Schumacher, der 1909 sein Amt antrat, hatte eine strenge Gestaltungssatzung für Rathausmarkt, Kleine Alster, Binnenalster und Außenalster erlassen und damit das Postkartenmotiv Binnenalster gegen alle Moden und Torheiten geschützt.
So konnte Schumacher verhindern, dass Bauherren Gebäuden an der Alster Türme aufsetzten und so die Traufhöhe und die Silhouette der Stadt sprengten. Chilehaus-Architekt Fritz Höger plante damals Türme für das Hapag-Lloyd-Gebäude und das Broschek-Haus – und scheiterte an der Gestaltungssatzung für die Binnenalster. „Schumacher hat durch seine Gestaltungssatzungen verhindert, dass das Antlitz der Stadt vernichtet wird“, lobt der renommierte Architekt Volkwin Marg.
Keine bunte Leuchtreklame
Auch die Wünsche vieler Geschäftsleute, an ihren Läden und Kaufhäusern bunte Lichtreklame anzubringen, zerschellten an der Verordnung. Anfang der 50er-Jahre kämpften Handelskammer, Kaufmannschaft und sogar der Lichtwarkausschuss für bunte Lichtwerbung an der Alster. Der damalige Baubeamte Gustav Oelsner, der die Binnenalsterbauordnung miterarbeitet hatte, blieb standhaft: „Das schöne Bild der Binnenalster darf in seiner Würde nicht durch bunte Lichtreklame gestört werden. Wir werden notfalls gesetzliche Mittel anwenden, um dieser Senatsverordnung den notwendigen Respekt zu verschaffen“, machte er 1950 im Abendblatt klar. Bis zum heutigen Tag reglementiert die Binnenalsterverordnung das bunte Treiben an den Fassaden: In den Schaufenstern des Alsterhauses blinkten im März riesige LED-Buchstaben in Violett und Grün – der Bezirk musste eingreifen.
Zwar schreibt die Binnenalsterverordnung nicht die Gestaltung des Straßenraums vor, sie setzt aber einen konservativen Rahmen, der hochfliegende Pläne sofort erdet oder unmöglich macht. So schlug das Architektur- und Ingenieurbüro Hamburgplan 1985 eine große Tiefgarage unter der Binnenalster mit 4000 Stellplätzen vor, um die Parkplatznot in der Innenstadt auf einen Schlag zu lösen. Die Zu- und Ausfahrten waren vor dem Hotel Vier Jahreszeiten und an der Kennedybrücke geplant. Die Pläne scheiterten auch aus Sorge um das geschlossene Bild der Binnenalster.
Zwanzig Jahre später prüfte der CDU-Senat die Idee noch einmal – und verwarf sie erneut. Auch die Idee der damaligen Schill-Partei, eine Bühne auf der Binnenalster zu errichten, kam nicht weit. Andererseits wurde unter der CDU der Jungfernstieg komplett im Rahmen einer privat-öffentlichen Partnerschaft umgestaltet: Die Pavillons, furchtbare Bausünden an der Binnenalster, wurden abgerissen, die Straße verschmalert und zum Wasser geöffnet.
Europapassage als Fremdkörper
Wie mutig – mitunter auch übermütig – im ersten Jahrzehnt die Wasserseite Hamburgs umgestaltet wurde, zeigt die Europa-Passage. Gegen den erbitterten Widerstand der Denkmalschützer und der rot-grünen Opposition – „die Zerstörung der Silhouette am Ballindamm halte ich für untragbar“, schimpfte die Grüne Antje Möller – wurden das 1908 errichtete Europahaus und weitere Altbauten zwischen Jungfernstieg und Mönckebergstraße abgerissen. An die Stelle trat eine Einkaufspassage, die die Verordnung zwar peinlich genau umsetzte – und doch auch zwölf Jahre nach der Fertigstellung wie ein Fremdkörper an der Prachtstraße wirkt.
Das zeigt zweierlei: Die Konservativen sind zumindest an der Alster eher Sozialdemokraten gewesen. Und dieses Konservative hat der Stadt nicht geschadet – eben weil Hamburgs Zentrum nie zu einem Wasserspielplatz für Architekten wurde. Wandel ist kein Wert an sich. „Kein Wandel“ allerdings auch nicht. So dürfte die Debatte um Hamburgs Wohnzimmer in den kommenden Wochen weitergehen. Zu viele Hoffnungen darf sich die Union aber nicht machen, dass ihre Alsterpläne Wirklichkeit werden. Oberbaudirektor Franz-Josef Höing meldete in der „Bild“-Zeitung schon seine Bedenken gegen Promenade und Pontons an: „Das wirkt doch recht opulent. Die Binnenalster ist quasi der Tempelbezirk Hamburgs.“