Hamburg. Die Zahl ist gegenüber dem Vorjahr deutlich gestiegen. Viele Jugendliche wollen lieber ein Studium beginnen.

Christian Klughardt sucht schon seit mehreren Jahren vergebens nach einem Auszubildenden. Der Großhändler für Fleisch, Fisch und Meeresfrüchte in Wilhelmsburg hat in diesem Jahr nicht einmal eine Bewerbung für den Beruf des Kaufmanns im Groß- und Außenhandel bekommen. „Dabei bilden wir seit 50 Jahren aus“, sagt der Geschäftsführer des Familienunternehmens, das vor allem mit Fleisch aus Neuseeland und Fisch aus Asien für Großabnehmer handelt. „Voraussetzung für den Beruf ist die mittlere Reife, das Interesse an der großen, weiten Welt und gute Fremdsprachenkenntnisse“, sagt Klughardt.

Er wundert sich auch deshalb über das Nichtinteresse der Jugendlichen, weil der Beruf des Kaufmanns für Groß- und Außenhandel den sechsten Rang der beliebtesten Lehrberufe belegt. Mit seinen Sorgen um den beruflichen Nachwuchs ist Klughardt in seiner Branche nicht allein. In Hamburg sind noch 128 Lehrstellen für Groß- und Außenhändler unbesetzt.

2500 freie Lehrstellen

Insgesamt verzeichnen Handels- und Handwerkskammer rund sechs Wochen vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres in Hamburg noch rund 2500 freie Lehrstellen, wie eine Abfrage des Abendblatts ergab. Verglichen mit dem Vorjahr sind das etwa 300 Plätze mehr. Für die Unternehmen wird es immer komplizierter, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen. Das zeigt sich auch an den bisher abgeschlossenen Lehrverträgen. Bei der Handelskammer waren es 4612 – das ist der niedrigste Stand seit fünf Jahren. Die Handwerkskammer nennt keinen konkreten Zwischenstand, aber der Trend liege auf Vorjahresniveau. Damals lag die Zahl der abgeschlossenen Lehrverträge bei rund 2500.

Bei der Handwerkskammer sind nun noch 1087 Lehrstellen unbesetzt, bei der Handelskammer sind es 1380. Darunter sind gefragte Berufe wie Kaufmann für Büromanagement (162 freie Plätze), Fachinformatiker (149), und Elektroniker (107). Gesucht werden auch noch 124 Anlagenmechaniker für das Heizungs- und Sanitärhandwerk. „Wir gehen davon aus, dass noch viele der freien Plätze in den nächsten Wochen besetzt werden“, sagt Bernd Seeger, Geschäftsführer des Berufsbildungswerks der Innung Sanitär, Heizung, Klempner in Hamburg.

Nach einer Umfrage der Handwerkskammer kümmern sich 40 Prozent der Jugendlichen erst nach ihrem Schulabschluss um eine Lehrstelle. Zudem wollen weniger Schüler sofort eine Ausbildung machen, sondern konzentrieren sich in der 10. Klasse darauf, den Übergang in die Oberstufe zu schaffen. „Wenn die Zensuren nicht für die Oberstufe reichen, erst dann rückt ein Ausbildungsplatz wieder stärker in das Interesse der Jugendlichen“, weiß Ute Kretschmann, Sprecherin der Handwerkskammer.

Größerer Bedarf im Handwerk

„Knapp die Hälfte der Ausbildungsplätze im Sanitär- und Heizungshandwerk haben wir im vergangenen Jahr sehr kurzfristig vor Ausbildungsbeginn besetzt“, sagt Seeger. Jährlich beginnen rund 300 Azubis in der Stadt eine Lehre im Heizungs- und Sanitärhandwerk. Das sind knapp 40 Prozent mehr als 2013. Die ausgezeichnete Auftragslage führt dazu, dass immer mehr Betriebe ausbilden. „Wir haben das Problem, dass es wegen der demografischen Entwicklung weniger Bewerber bei einem gleichzeitig größeren Ausbildungsplatzangebot gibt“, sagt Geschäftsführer Seeger.

Es reicht heute offenbar nicht mehr aus, eine Lehrstelle in Ausbildungsbörsen im Internet zu veröffentlichen, wie Außenhändler Klughardt es getan hat. Obwohl die Informationsmöglichkeiten heute viele besser sind als noch vor vielen Jahren, vermisst Klughardt die Eigeninitiative. „Viele lassen die Ausbildung auf sich zukommen und hoffen offenbar, dass bei Facebook das richtige Angebot für sie aufploppt“, sagt Klughardt. „Es gibt schlichtweg nicht genügend Bewerber, weil sehr viele an die Universitäten drängen“, ergänzt Volker Tschirch, Hauptgeschäftsführer des AGA Unternehmensverbandes, in dem Groß- und Außenhandelsfirmen organisiert sind. „Aber wir investieren in ein starkes Ausbildungsmarketing, um Jugendliche für unseren Beruf zu begeistern.“

Handwerksberufe werden im Riesenrad präsentiert

Auch Besim Ameti muss viel Werbung machen, um die Ausbildungsplätze bei der Traditionsbäckerei Dat Backhus mit insgesamt 116 Filialen in Hamburg zu besetzen. Er vermarktet dabei in Schulen und auf Ausbildungsmessen seine eigene Geschichte: der Aufstieg von der Aushilfe zum Ausbildungsleiter. „Neun Ausbildungsplätze zur Fachverkäuferin im Lebensmittelhandwerk können wir noch besetzen, 21 Ausbildungsverträge haben wir in diesem Jahr aber schon geschlossen“, sagt Ameti. Der Beruf werde unterschätzt, weil man nur den Verkauf und das Zubereiten von Kaffee sieht. „Aber die Verkäuferinnen lernen die Zusammensetzung der Produkte und was die Zutaten im Körper bewirken“, erklärt Ameti. Außerdem wirbt er mit schnellen Aufstiegschancen zum Fachgeschäftsleiter. So lässt sich auch das anfängliche monatliche Bruttogehalt von 1800 Euro auf 2500 Euro steigern.

Die Arbeitsagentur Hamburg versucht Auszubildende derweil mit einer Spiele-App zu begeistern. In dem Spiel „Amtliche Helden“ können sie selbst eine Arbeitsagentur leiten. „Das Spiel holt die Jugendlichen in einer Welt ab, die ihnen vertraut ist“, sagt Detlev Maxcord von der Arbeitsagentur. Denn auch die Behörde hat noch sieben unbesetzte Ausbildungsplätze für den Fachangestellten für Arbeitsdienstleistung. Auch eine sichere Stelle im öffentlichen Dienst ist heutzutage bei der Jugend kein Selbstläufer mehr.

Mehr Mädchen für Technisches

Die Tatsache, dass er noch rund 150 offene Lehrstellen für Fachinformatiker in der Kartei hat, zeigt André Mücke, wie gravierend das Fachkräfteproblem in Hamburg ist. „Davon sind eben nicht nur Branchen betroffen, die es immer schon schwer hatten, Personal zu finden“, sagt der Vizepräses der Handelskammer. Seiner Meinung nach müssen mehr Mädchen gerade für technische Berufe gewonnen werden.

Ein großes Problem ist in Hamburg zudem die hohe Studienneigung der Schulabgänger, von denen 62 Prozent Abitur haben. „Viele glauben, mit einem Studium besser aufgestellt zu sein“, sagt Mücke. 17.000 Studienfächer stehen gegen 300 Ausbildungsberufe. „Wir müssen die Vorzüge und Aufstiegsmöglichkeiten einer dualen Ausbildung noch besser vermitteln. Und die Firmen müssen umdenken, pfiffig in der Ansprache sein.“ Ideal sei es, Praktikumsplätze aktiv anzubieten, denn jeder Schüler muss schließlich mehrere Praktika absolvieren.

Gegenwärtig scheint dies der Handwerks- besser als der Handelskammer zu gelingen, bei der die Zahl der Ausbildungsverträge schon 2017 um zwei Prozent gesunken war. „Wir tun viel dafür, Jahr für Jahr mehr Jugendliche für einen Beruf im Handwerk zu gewinnen“, sagt Kammerpräsident Josef Katzer. So wird sich am 23. August auf dem Dom alles um 130 Handwerksberufe drehen. In 42 Gondeln des Riesenrads können sich dann Schüler über Handwerksberufe wie Tischler, Dachdecker, Bäcker, Fotografen, Uhrmacher oder Elektriker informieren.