Hamburg. 2500 Kilometer pro Jahr gehen Experten durch die Stadt und spüren Leitungsschäden auf. Ein Funke kann Explosion auslösen.

Man könnte Dieter Bruhns für einen Schatzsucher halten. Auf jeden Fall sieht es nach einer besonderen Mission aus, so, wie der 54-Jährige in der HafenCity unterwegs ist. In der Hand eine Art Ministaubsauger, vor der Brust einen elektronischen Lageplan und auf dem Rücken ein Messgerät. Begleitet vom leisen Brummen marschiert er langsam auf dem Fußweg des Großen Grasbrooks in Richtung Speicherstadt. Er folgt einer Spur, die nur für ihn sichtbar ist. Was als rote Linie auf der Karte seines Tablets leuchtet, ist eine unterirdische Gasleitung. Bruhn ist ein Gasspürer. „Meine Aufgabe ist zu überprüfen, ob es undichte Stellen im Gasnetz gibt“, sagt er. Es geht um die Sicherheit der Hamburger.

7900 Kilometer Hoch-, Mittel- und Niederdruckleitungen liegen auf dem Gebiet des Stadtstaats im Boden. Das entspricht in etwa der Entfernung von Hamburg bis Kuba und ist fast doppelt so lang wie das Straßennetz. Rund 260.000 Abnehmer in der Hansestadt werden darüber versorgt. „Hochdruckleitungen müssen jedes Jahr überprüft werden“, sagt Stefan Kretschmer, der beim Betreiber Gasnetz Hamburg für die Netzsicherheit verantwortlich ist. Bei niedrigeren Druckstufen sind es alle zwei bis vier Jahre. In der frostfreien Prüfsaison von April bis Oktober müssen 2500 Kilometer Leitungen überprüft werden – zu Fuß.

Ein Funke genügt für eine Explosion

Wenn Dieter Bruhns im Einsatz ist, schafft er sechs Kilometer am Tag. An diesem Morgen hat er seinen Einsatzwagen vor dem Marco Polo Tower geparkt. Mit geübten Handgriffen schultert er den Gasleckdetektor, schließt die Sonde an, die er an einem langen Stab auf Rollen vor sich herführt, und hängt sich zum Schluss das Tablet mit dem speziellen Stadtplan um den Hals. „Über die Sonde wird die Luft über dem Boden angesaugt und ständig auf ihren Gasgehalt überprüft“, sagt der Gasspürer. Das Gerät ist so sensibel, dass es durch den Deckbelag kleinste Mengen Gas im sogenannten ppm-Bereich (Parts per Million) erkennt. Lange bevor die menschliche Nase etwas riechen würde. Im Ernstfall würde ein lauter Signalton ertönen. „Dann lokalisiere ich den Hinweis und bewerte die Relevanz des Gefährdungspotenzials“, erklärt Bruhns.

Das passiert nicht bei jeder Tour. In der HafenCity hat Bruhns bislang keine Auffälligkeiten registriert. Im Schnitt werden während der jährlichen Überprüfung 50 Schäden im Jahr festgestellt. Statistisch wäre das alle 50 Kilometer ein Leck. „Man kann natürlich nie voraussagen, was noch kommt“, sagt er. Mögliche Lecks haben meistens nichts mit dem Alter der Leitungen zu tun. Oftmals entstehen sie durch Beschädigungen bei Bauarbeiten. In der vergangenen Woche etwa war er zu einem Fall gerufen worden. „Letztlich ein Kleinstschaden“, sagt der gelernte Gas- und Wasserinstallateur, der seit 30 Jahren als Gasspürer unterwegs ist. Eine Tiefbaufirma hatte bei Bauarbeiten in der Stephanstraße in Wandsbek einen leichten Gasgeruch festgestellt. Bruhns ortete das Leck und eine Leitungsbaukolonne beseitigte den Austritt.

Gas ist geruchlos

Gasspürer haben eine hohe Verantwortung. Insgesamt schickt Gasnetz Hamburg, das nach dem Volksentscheid zum Netzerückkauf seit Jahresbeginn wieder städtisch ist, acht Experten auf die Straße. Alle müssen eine praktische und theoretische Ausbildung absolviert haben. Alle vier Jahre muss der Gasspürerausweis erneuert werden. Die Experten überprüfen Leitungen auf öffentlichen Grund, aber auch Hausanschlussleitungen, die über private Grundstücke verlegt sind. Den Kontrolleuren ist es erlaubt, diese auch ohne Vorankündigung zu betreten. Wenn Schäden in der Nähe von Gebäuden auftauchen, ist Gefahr im Verzug. Dann können sie auch Gebäude betreten oder sich Zutritt verschaffen, um die notwendigen Maßnahmen einzuleiten. „Schon ein kleiner Zündfunke kann bei bestimmten Gas-und Luftgemischen im schlimmsten Fall eine Explosion auslösen“, sagt Bruhns.

Das Problem: Gas ist nicht nur nicht sichtbar, sondern auch von Natur aus geruchslos. Damit man es wahrnehmen kann, fügen die Versorger Geruchsstoffe dazu. Früher hat Erdgas durch den Zusatz von Schwefel stark nach verfaulten Eiern gerochen. Vor zehn Jahren wurde der Geruch aus Umweltschutzgründen gewechselt. Gas bekam einen ätzend-synthetischen Alarmgeruch. Seit Ende März setzt Gasnetz Hamburg wieder einen Geruchsstoff ein, der nach verfaulten Eiern riecht – aber in geringeren Mengen dosiert werden kann. Die regelmäßige Überprüfung soll auch dazu beitragen, dass Gefahrensituationen gar nicht erst auftreten. Und dass schleichende Schäden früh gefunden werden, damit Gaskunden möglichst geringe Ausfallzeiten haben. Hamburg steht dabei im Vergleich gut da, mit im Schnitt 12,4 Sekunden störungsbedingten Versorgungsunterbrechungen pro Jahr. Bundesweit sind es laut Bundesnetzagentur 61 Sekunden.

Dieter Bruhns hat den ersten Straßenabschnitt seines Tagespensums inzwischen abgelaufen. „Es ist wichtig, dass man die Touren gut plant und die Kräfte einteilt“, sagt er. Und man muss sehr konzentriert sein, sonst kann man schnell von der richtigen Spur abkommen. Für alle Hamburger hat der Gasspürer noch gute Ratschläge parat, sollten sie Gasgeruch wahrnehmen: Ruhe bewahren, keine elektrischen Schalter oder andere Zündquellen inklusive Mobiltelefon betätigen, für Durchzug sorgen, Störungsdienst benachrichtigen. Sagt’s und verschwindet hinter der nächsten Straßenecke.