Hamburg. Martha Argerich, die wahrscheinlich berühmteste Pianistin der Welt, gibt in Hamburg ein ganzes Festival.

In einer Stadt mit Donald Trump und Kim Jong-un zu sein, so etwas passiert selbst einer Martha Argerich nicht oft. Die berühmteste – und öffentlichkeitsscheueste – Pianistin der Welt und die größten Egos der Weltpolitik waren zeitgleich, aber nicht gemeinsam in Singapur. Die Herren wollten dort politisch unsterblich werden, die in Buenos Aires geborene Künstlerin hatte mit dem dortigen Symphonieorchester zu spielen. Ebenfalls vor Ort: Daniel Kühnel, Intendant der Symphoniker Hamburg. Mit diesem Orchester und vielen Argerich-Freunden startet am 25. Juni ein knapp einwöchiges Festival in der Laeiszhalle, und es gab noch viele Details zu besprechen.

Bald sind Sie in Hamburg. Warum bringen Sie Ihr Konzept, das als „Progetto Argerich“ so lange in Lugano erfolgreich war, nun hierher?

Martha Argerich: Weil das Konzept sehr gut war und ich es genossen habe. Viele Freunde kommen, die Symphoniker organisieren es ganz wunderbar. Wir machen es in der Laeiszhalle, die ich von ganzem Herzen liebe. Es wird interessant und angenehm werden.

Erzählen Sie mir mehr: Lag es am Orchester, dem Saal, der Stadt …?

Argerich: All das, und außerdem Erinnerungen. Mein langjähriger Manager Reinhard Paulsen war ebenfalls in Hamburg. Ich war oft hier.

Haben sich andere Städte und Festivals ­darum bemüht, Sie zu verpflichten?

Argerich: Ja, in Italien, München, ­Berlin … Aber am Ende ist es Hamburg geworden.

Weil niemand sonst so nett gefragt hat.

Argerich: Kann man so sagen (lacht).

Was muss ein Musiker tun oder lassen, um bei Ihren Konzerten mitspielen zu dürfen?

Argerich: Sich wie eine Diva zu geben – das wäre nicht gut. Und man muss demokratisch sein. Wir bekommen alle das gleiche Honorar. So war das Konzept in Lugano, und das möchte ich gern beibehalten.

Und wer sucht die Stücke aus?

Argerich: Well, it‘s something gemeinsam.

Und Sie haben das letzte Wort.

Argerich: Nein. So wichtig bin ich nicht.

Daniel Kühnel (aus dem Off): Doch, ist sie. Weil alle versuchen, Dinge aus dem gleichen Spirit wie sie zu tun. Bei der Planung hieß es oft: Martha würde gern dieses, Martha würde gern jenes …

Argerich: Na ja, okay. Aber ich muss ja auch ständig spielen.

Sie spielen all diese Konzerte, aber nicht eines davon in der Elbphilharmonie, jenem Konzertsaal, wo momentan alle auftreten wollen. Warum wollen Sie das nicht?

Argerich: Weil wir in der Laeiszhalle spielen, die wunderbar ist. Ich habe ja auch schon mal in der Elbphilharmonie gespielt, Kammermusik mit Mischa Maisky und Janine Jansen. Die Laeisz­halle hat mehr Atmosphäre, sie ist wärmer, interessanter. Sie bedeutet mir einfach mehr. In dem anderen Saal war ich bislang nur einmal, in der Laeiszhalle sehr oft, zum ersten Mal mit 17.

Und was sagen Sie zum Thema Akustik?

Argerich: Die ist wunderschön in der Laeiszhalle. Auf der Elbphilharmonie-Bühne ist es etwas kältlich. Anders. Die Laeiszhalle hat diesen goldenen Klang, der einen umgibt. Es gab so viele fantastische Konzerte in diesem Saal. Ich habe Horowitz dort gehört ….

… Sie waren bei seinem legendären letzten Konzert, damals, 1987?

Argerich: Ja. Ich war da.

Kühnel: Sechste Reihe Mitte. Und sie war die Erste, die aufsprang ...

Argerich: ... natürlich …

Kühnel: … als er die Bühne betrat.

Sie geben keine Solo-Abende mehr …

Argerich: … nicht ganz, einige Teile von Konzerten spiele ich allein. Es ist mir wirklich lieber so.

Aber warum nicht allein spielen? Alle lieben Sie, Sie haben wirklich nichts zu verlieren.

Argerich: Das denken Sie (lacht). Ich habe sehr wohl etwas zu verlieren. Es ist sehr anstrengend und extrem ermüdend. In letzter Zeit habe ich oft sehr anstrengende Konzerte gegeben, unter anderem mit Mischa Maisky. Aber das mag ich, dann bin ich nicht allein auf der Bühne. Ich sehe den anderen Musikern gern zu, beobachte, was sie fühlen. Direkte Kommunikation, das gefällt mir.

Nach wie vielen Sekunden Flügelberührung vor Publikum wissen Sie instinktiv, ob der Abend gut wird oder ob es besser gewesen wäre, im Hotel zu bleiben?

Argerich: Oh, das kann ich nicht sagen. Es gibt immer wieder Überraschungen. Es beginnt sehr gut und geht so nicht weiter – oder umgekehrt. Aber ich hatte schon oft auf dem Weg zum Konzerthaus das Gefühl, dass ich viel lieber ins Kino gehen würde. Dann habe ich die Menschen beneidet, die ins Kino konnten. Die Taxifahrten, das Gefühl von Einsamkeit … In Schweden ist mir das oft passiert.

Ach was. Warum ausgerechnet in ­Schweden?

Argerich: Es war dunkel und traurig dort. Ich war oft extrem einsam, wenn ich da Klavierabende gab, und ich bin immer allein gereist.

Schweden existiert also nicht mehr auf Ihrer Weltkarte?

Argerich: Nein, das alles hat sich ­geändert. Jetzt sind sie sehr nett. Es war schon wirklich schwierig. Und ich hatte da diesen Unfall, mit einem Tier, mit einem Elch … (lacht) Ich war in einem Auto, um 11 Uhr abends, auf dem Weg von Uppsala nach Falun, und da sind wir mit einem Elch zusammengestoßen. Der Wagen fuhr sehr langsam, wir ­wussten überhaupt nicht, was wir tun sollten, niemand hielt an. Am Ende hat uns ein junger Soldat, der gerade freie Tage hatte, mitgenommen und in unser Hotel gebracht.

Sie sind 77. Natürlich will niemand, dass Sie aufhören. Aber glauben Sie, dass Sie das überhaupt könnten?

Argerich: Nun ja, wenn es notwendig wäre. Jemand müsste mir das dann ­sagen. Ich frage meine Freunde ständig, wie sie mein Spiel finden. Ich arbeite jetzt mehr als jemals zuvor. Das ist ­sonderbar, finde ich, aber so ist es.

Wird man immer freundlicher zu Ihnen, je älter Sie werden?

Argerich: Wahrscheinlich nicht … Mein guter Freund, der Geiger Ivry Gitlis, ist 95, ein sehr respektables Alter. Und wenn man ihn fragt: Spielen Sie noch?, dann fragt er gern zurück: Ja. Atmen Sie noch?