Berlin/Hamburg. Bei den G20-Krawallen setzte die Polizei verdeckt vermummte Beamte in der Menge ein. Das ist rechtens – wenn sie sich nicht einmischen.

Polizisten dürfen sich auf Demonstrationen vermummen. Sie sind keine Teilnehmer des Protests, sondern im verdeckten Einsatz. Sie sollen mögliche Straftaten in einer Menschenmenge unentdeckt beobachten und Beweise sichern. Nur: Polizisten dürfen nicht als „agents provocateurs“ einen Grund dafür liefern, dass Hundertschaften der Polizei die Kundgebung auflösen.

So hält es ein wissenschaftliches Gutachten des Bundestags fest, das der Linken-Politiker Andrej Hunko in Auftrag gegeben hat und dieser Redaktion vorliegt. Die Aussage eines sächsischen Polizisten als Zeuge in einem G20-Prozess hat nun diese heikle Frage aufgeworfen: Provozierten Polizisten am Rande des großen Gipfeltreffens eine Eskalation, weil sie vermummt im „Schwarzen Block“ unterwegs waren? Vier Beamte, undercover. Als „Tatbeobachter“, sogenannte „Tabos“.

Rückblick: Es ist eine der Schlüsselmomente bei den schweren Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels in Hamburg. Donnerstag, der Vorabend des Treffens Anfang Juli 2017, um kurz nach 19 Uhr stoppt die Polizei in der Nähe der Landungsbrücken den Demonstrationszug der G20-Gegner. Rund 12.000 Menschen protestieren, darunter mehrere Hundert Autonome. Sie nennen ihren Protest „Welcome to Hell“, Willkommen in der Hölle.

Wo in der Demo waren die vermummten Polizisten?

Doch die Polizei lässt die Masse nicht weiterlaufen, Teilnehmer im „Schwarzen Block“ sind vermummt. Das verstößt gegen das Hamburger Versammlungsgesetz. Es folgen Verhandlungen zwischen Demo-Anmelder und Polizei, es kommt zu Durchsagen auf beiden Seiten. Dann, eine Dreiviertelstunde später, geht die Polizei mit Spezialkräften in den Block der Autonomen, will die Gruppe laut eigenen Angaben vom Rest der Demonstration abtrennen.

Danach eskaliert die Lage, Steine, Flaschen und Böller fliegen auf Polizisten. Die antworten mit Schlagstöcken und Wasserwerfer. Wo die verdeckt agierenden Polizisten in dem Moment sind, ist bis heute unklar. Dafür, dass sie Ausschreitungen mit provoziert haben, gibt es keine Hinweise.

Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen haben die Zivilbeamten die Aufgabe, „Informationen über die Versammlung zu gewinnen und im Vorfeld aufzuklären, ob Lageänderungen zu erwarten“ seien. Also auch, ob Krawalle aufkommen kann, auf die die Polizisten reagieren müssen. Doch heißt es im Gutachten des Bundestags auch: Die verdeckt arbeitenden Beamten müssen sich dem Versammlungsleiter zu erkennen geben – und sich vorher bei ihm melden.

„Der Versammlungsleiter muss gerade die nicht uniformierten Polizisten als solche erkennen, um ihr etwaiges Eingreifen nicht als Verhalten von Teilnehmern zu missdeuten“, heißt es in dem Gutachten. „Er soll sie außerdem um Hilfe bitten können. Namen und Dienststelle soll entweder jeder einzelne Polizist nennen oder, wenn es sich um eine größere Zahl von Polizisten handelt, nur deren Leiter.“

Nur wie viel Sinn hat eine verdeckte Polizeimaßnahme noch, wenn die Polizisten sich vor der „Welcome to Hell“-Demonstration bei den linken Organisatoren melden? Keinen. Im Gegenteil: Das könnte die Lage von Beginn an zur Eskalation bringen. Das sieht auch die Linkspartei so. Deshalb fordert der Bundestagsabgeordnete Hunko ein Verbot verdeckt agierender Polizisten bei Demonstrationen.

Die Versammlungsfreiheit müsse Vorrang vor den Interessen der Sicherheitsbehörden haben, sagte Innenexperte Hunko dieser Redaktion. Die vermummten Polizisten hätten die Auslösung der Demonstration begünstigt. „Faktisch haben sie sich dabei als Agents Provocateurs betätigt.“

Die Polizei sieht es anders und verteidigt ihr Vorgehen. Der Einsatz von Tatbeobachtern sei aber ein „anerkanntes und legitimes Mittel“. Damit sich die Beamten im Einsatz unerkannt bewegen könnten, trügen sie „im Einzelfall gegebenenfalls auch eine dem Umfeld angepasste Bekleidung“. Entscheidend dabei ist die Anzahl der Beamten – und ihr konkretes Verhalten auf der Demonstration.

„Einstellige“ Zahl von Tatbeobachtern

Auch auf eine entsprechende Kleine Anfrage der Hamburger Linke-Abgeordneten Christiane Schneider wurden zunächst keine weiteren Details zu dem konkreten Fall benannt. Auf erneute Nachfrage dieser Redaktion sagte Polizeisprecher Timo Zill schließlich, dass es sich nur um eine „einstellige Zahl“ von Tatbeobachtern innerhalb des Demonstrationszuges gehandelt habe. „Damit wird deutlich, dass der behauptete Vorwurf der Einflussnahme durch die Tatbeobachter auf das Demogeschehen jeglicher Grundlage entbehrt, geradezu absurd ist.“ Vielmehr sei es schlicht die Aufgabe der Tatbeobachter, Straftäter zu überführen.

Ob es eine entsprechende Anweisung gab, sich im Einsatz während des G-20-Gipfels zu vermummen, ist nicht bekannt. Der sächsische Polizist hatte dies in seiner Zeugenaussage bestritten. Stattdessen hätten er und die drei weiteren Beamten sich jeweils selbstständig von entsprechenden Geldpauschalen der Polizei die entsprechende Kleidung gekauft, um im Demonstrationszug nicht aufzufallen.