Hamburg. Staatsanwaltschaft steht bei Aufarbeitung von Vorwürfen bei Einsätzen vor Problemen. Neue Details zu vermummten Beamten.

Die Videos scheinen eine klare Sprache zu sprechen: Sie zeigen Polizisten, die plötzlich drauflosprügeln, auf Demonstranten eintreten, sie zu Boden zerren und weiter angreifen. Wasserwerfer, die anscheinend Unbeteiligte mit voller Härte erfassen. Trotz 150 Ermittlungsverfahren gegen Beamte wegen mutmaßlicher Übergriffe beim G-20-Gipfel gibt es bislang jedoch keine Anklage – nun wird anhand einer Statistik erstmals deutlich, vor welchen massiven Problemen die internen Ermittler bei der Aufarbeitung stehen.

Weniger als die Hälfte der bisher 52 eingestellten Verfahren wurde nach Senatsangaben eingestellt, weil das Verhalten der Polizisten nachweisbar legitim gewesen sein soll. Dagegen konnte in 20 Fällen keine Anklage erhoben werden, da es nicht genügend Beweise für eine Straftat gab – und in elf weiteren Fällen konnten die verdächtigten Polizisten namentlich nicht ermittelt werden. Das geht aus der Senatsantwort auf eine Große Anfrage Der Linken in der Bürgerschaft hervor, die dem Abendblatt exklusiv vorliegt.

Ernüchternde Zahlen

Für die innenpolitische Sprecherin der Fraktion, Christiane Schneider, handelt es sich um ernüchternde Zahlen. „In jedem einzelnen Fall mögen berechtigte Gründe für die Einstellung sprechen. In der Summe aber ist dieses Zwischenergebnis der Ermittlungen sehr bedenklich“, sagte Schneider. Wenn Übergriffe wegen fehlender Beweise oder Identität der Verdächtigen nicht aufgeklärt würden, hinterlasse das bei „vielen Menschen neue Verbitterung“.

Bilder vom G20-Gipfel:

Die Ermittler vom Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) verweisen darauf, dass die Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen ist. „Grundsätzlich lassen sich nur diejenigen Beweise verwerten, die der Staatsanwaltschaft zur Verfügung stehen“, sagte der Hamburger Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich dem Abendblatt. Bereits mehrfach hatten die Verantwortlichen auch beklagt, dass sich viele der Geschädigten zwar teils gegenüber Medien zu angeblichen Übergriffen äußerten, aber nicht zu einer Aussage in den Verfahren bereit waren.

Gewaltige Datenmenge an Videomaterial

„Vage Schilderungen von ,Polizeigewalt‘, mehrdeutige Filmsequenzen, tendenziöse Behauptungen und vorschnelle Schuldzuweisungen helfen bei der Aufklärung des Sachverhalts nur bedingt weiter“, sagte Fröhlich. 69 mutmaßliche Opfer aus allen Verfahren konnten noch nicht identifiziert werden. „Zudem wird oft vergessen, dass die Unschuldsvermutung auch für Polizisten gilt.“

Nach der Senatsstatistik waren 74 der Verfahren von Amtswegen eingeleitet worden – einer 15-köpfigen Sonderkommission des DIE steht demnach dieselbe gewaltige Datenmenge an Videomaterial zur Verfügung, auf die auch die Soko „Schwarzer Block“ bei der Fahndung nach Randalierern zurückgreift. 45 Geschädigte zeigten einen Übergriff selbst an, 36 weitere Hinweise von Dritten führten zu Ermittlungs­verfahren. Jedoch zeigte sich weder ein Beamter selbst an – noch gab es Fälle, in denen Polizisten das Fehlverhalten ihrer Kollegen im Einsatz meldeten.

Die Soko „Schwarzer Block“ meldete bislang acht Verdachtsfälle von mutmaßlichen Straftaten durch Polizisten an das DIE weiter – eines der folgenden Verfahren wurde bereits eingestellt.

Streit um Kennzeichnung von Beamten

Dabei handelt es sich um den Fall eines Beamten, der im Zusammenhang mit der Demonstration „Welcome to Hell“ einen Gegenstand – wahrscheinlich einen Feuerlöscher – auf eine Gruppe von Demonstranten geworfen haben soll, die demnach zuvor die Polizisten angegriffen hatten. Die Staatsanwaltschaft begründet die Einstellung damit, dass „kein gezielter Wurf“ und kein Geschädigter auszumachen gewesen sei.

Gericht überprüft Ingewahrsamnahmen

Für die juristische Bewertung der Vorwürfe ist entscheidend, ob das Verhalten der Beamten als „verhältnismäßig“ einzustufen ist. Die Staatsanwaltschaft muss dabei nach eigenen Angaben auch abwägen, ob etwa im Einzelfall die Ingewahrsamnahme eines Demons­tranten eine Alternative zu Gewalt sei.

Politisch folgt für die Linke-Innenexpertin Christiane Schneider aus den neuen Daten, dass alle Polizisten im Einsatz künftig individuell gekennzeichnet sein müssen. Generalstaatsanwalt Fröhlich sagt dagegen: „Mir ist nicht bekannt, dass eine Anklage gegen einen Polizeibeamten ausschließlich an der fehlenden Identifizierung des Beschuldigten gescheitert ist.“

Scharfe Kritik am Einsatz von Polizisten

Seit der Zeugenaussage eines sächsischen Beamten vor Gericht gibt es auch scharfe Kritik am Einsatz von Polizisten, die sich bei „Welcome to Hell“ offenbar teilweise vermummt unter die Demonstranten gemischt hatten. Das Vorgehen ist unter Juristen umstritten – aber auch Rechtswissenschaftler forderten Aufklärung darüber, wie viele sogenannte Tatbeobachter im Einsatz waren und ob sie auch Straftaten begangen haben könnten.

Polizeisprecher Timo Zill gab gegenüber dem Abendblatt nun erstmals Informationen dazu preis: Demnach seien in dem Demonstrationszug nur „eine einstellige Zahl“ an verdeckten Beamten eingesetzt worden. „Aus taktischen Gründen lag der Einsatz der Tatbeobachter insgesamt außerhalb des Demozuges.“ Damit solle klar sein, dass der Vorwurf der gezielten Provokation „geradezu absurd ist“.