Hamburg. 39 Verfahren eingestellt, erst 38 Beamte identifiziert. Ermittlungen sind schwierig: Oft fehlen Aussagen der vermeintlichen Opfer.

Man glaubt die Wut des Polizisten anschwellen zu sehen. Mit seiner Autokolonne will der Beamte während des G-20-Gipfels rechts abbiegen, aber ein Mann stellt sich mitten auf die Kreuzung, die Arme verschränkt. Die Polizisten drängen ihn weg, aber er kommt wieder. Einmal. Zweimal. Dann steigt der Beamte aus seinem Fahrzeug und schlägt den Mann – mit der geballten Faust in sein Gesicht.

150 untersuchte Fälle

War es ein Fall von strafbarer Polizeigewalt? Bereits unmittelbar nach dem G-20-Gipfel fanden Videos von Szenen wie dieser rasend schnelle Verbreitung im Internet; aus der Sequenz wurde auch ein Ermittlungsverfahren beim Dezernat Interne Ermittlungen (DIE). 150 Fälle von möglichem polizeilichen Fehlverhalten wurden nach dem G-20-Gipfel untersucht; nur noch 25 Verfahren liegen bei den Ermittlern selbst, der Rest ging bereits zur Entscheidung an die Staatsanwaltschaft.

-- Der Kommentar zum Thema: G20-Aufklärung: Linke dürfen sich nicht beschweren --

Diese bisherige Bilanz erscheint angesichts der Videos zunächst überraschend. Es gab keine Anklage, weder im Fall des Faustschlags auf der Kreuzung noch in den anderen Fällen. Dagegen wurden bereits 39 Verfahren eingestellt. „Die Ermittlungen haben ergeben, dass in einigen Fällen, anders als öffentlich behauptet, definitiv kein strafbares Verhalten der Polizeibeamten vorlag. Auch waren die Angaben von angeblich Betroffenen teils sehr widersprüchlich“, sagte Sabine Schmädicke, zuständige Abteilungsleiterin bei der Staatsanwaltschaft, dem Abendblatt.

Häufig reichen die Beweise für eine Anklage nicht aus

In keinem der eingestellten Fälle wurde offenbar im Gegenzug ein Verfahren wegen des Vortäuschens einer Straftat eingeleitet – von vorsätzlichen Falschbeschuldigungen gehen die Ermittler also nicht aus. Generell sei die Bewertung des Verhaltens von Polizeibeamten im Einsatz aber schwieriger als bei anderen Tatverdächtigen. „Es ist wichtig zu erinnern, dass Polizeibeamte auch Zwangsmittel einsetzen dürfen. Das gehört zu ihrer Aufgabe.“ Es komme darauf an, ob das jeweils gewählte Mittel „angemessen und verhältnismäßig“ sei.

Szenen wie der mutmaßliche Übergriff auf der Kreuzung gelten unter den Ermittlern als Beispiel dafür, dass auch ein ordnungsgemäßes Vorgehen wie der gewalttätige Wutausbruch eines Beamten aussehen könne. „Selbst ein Faustschlag kann ein legitimes Zwangsmittel sein“, sagt Schmädicke.

Wenig Ingewahrsamnahmen

Auch für die Frage, warum ein solcher „Störer“ nicht einfach in Gewahrsam genommen werde, statt zuzuschlagen, gebe es in einigen Fällen plausible Antworten. Eine Ingewahrsamnahme würde „auch weitere Kräfte binden und somit eine Gefahrensituation verstärken“, so Schmädicke. In linken Kreisen wird das gänzlich anders gesehen: Die Polizei habe bei G 20 systematisch ihre Macht demonstriert und friedlichen Protest zerschlagen, heißt es. Es ist vom „Gipfel der Polizeigewalt“ die Rede.

Einige der Fotos und Videos zeigen in der Tat grausam anmutende Szenen: Ein Polizist, der mit einem Stativ auf sitzende Demonstranten einschlägt, plötzlich lostretende und rempelnde Beamte, oft gruppenweise. Es sei leider nur menschlich, dass bei derart heftigen und langen Einsätzen einzelnen Beamten „die Sicherungen durchbrennen“ könnten, heißt es in Polizeikreisen. Die Staatsanwaltschaft betont, dass die Bewertung des Großteils der Fälle noch andauert.

Videos unzureichend

Für einen gerichtsfesten Tatverdacht reichten die Videos aber oft nicht aus. Die Vorgeschichte, die erst im Zuge der Ermittlungen bekannt werde, könne ein anderes Licht auf einen Vorfall werfen. „Wenn etwa eine massive Gewalthandlung eines Demonstranten vorangegangen ist, verändert das die Bewertung des anschließenden polizeilichen Handelns“, sagt Schmädicke.

Ein weiteres Problem laut der Staatsanwaltschaft: Zwar sind nach Angaben der Innenbehörde bereits 112 der mutmaßlichen Opfer identifiziert – aber nur 51 von ihnen haben selbst Anzeige erstattet, die Mehrzahl der Verfahren kam durch Hinweise Dritter und durch die Sichtung des Bildmaterials zustande. Viele mögliche Opfer machten keinerlei Angaben – das mache eine Anklage juristisch ungemein schwer. „Wir können nur dazu ermutigen, dass sich Betroffene genau zu dem Sachverhalt einlassen“, sagt die Staatsanwältin.

38 verdächtige Polizisten

Regelmäßig raten Vertreter von linken Gruppen und auch Anwälte den Opfern davon ab, sich bei den Ermittlern zu melden. Denn reflexhaft würden die verdächtigen Polizisten Gegenanzeige erstatten, etwa wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Wie es aus dem DIE heißt, werde die Zahl der Gegenanzeigen noch geprüft, es soll sich aber maximal um Einzelfälle handeln.

Laut Staatsanwaltschaft sind bislang insgesamt nur 38 verdächtige Polizisten namentlich identifiziert. Die Linke in der Bürgerschaft hat eine Große Anfrage zu den möglichen Übergriffen gestellt – und fordert eine bessere Kennzeichnung der Beamten. Von der Staatsanwaltschaft heißt es, die Identifizierung der Beamten sei in der Praxis kein Problem. Nicht alle der Verdächtigen seien vernommen worden. Das sei nicht nötig, „wenn der Verdacht einer Straftat sich nicht erhärtet hat“ – oder die sonstigen Beweise nicht ausreichen.

Die Soko „Schwarzer Block“ will am Mittwoch weitere Fahndungsfotos zu mutmaßlichen Randalierern und Plünderern veröffentlichen, die während des G-20-Gipfels etwa in der Schanze unterwegs waren. Das verlautete am Montag aus Polizeikreisen. Es ist von einer „größeren Anzahl“ an zusätzlichen Bildern aus Überwachungskameras und den Mitschnitten der Polizei die Rede. Derzeit laufen dazu die finalen Abstimmungen zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft. Zudem soll bei einer Pressekonferenz eine Bilanz zum Erfolg der bisherigen Öffentlichkeitsfahndung gezogen werden. Erstmals hatte die Polizei im Dezember zunächst 104 Fahndungsfotos veröffentlicht, bis Ende Januar wurden davon 21 Verdächtige identifiziert. Die Öffentlichkeitsfahndung ist stark umstritten.