Hamburg. Abendblatt-Redakteur Heiner Schmidt verbannt Kunststoffverpackungen aus seinem Leben. Dritter Teil des Tagebuchs.
Montag, 8.30 Uhr: Zum Frühstück gibt es weiter nur Margarine-Brot mit Marmelade und schwarzem Kaffee. Nachdem es in den vergangenen Tagen bei meinem Versuch, ohne Plastikverpackungen zu leben, viele Rückschläge und einige kleine Erfolge gegeben hat, soll heute der Tag der Lösungen sein. Das Ziel: ein plastikfrei erworbener Lebensmittelvorrat und ein Grundstock an Körperpflege- und Reinigungsmitteln. Die Internetrecherche ergibt: Die Osterstraße ist ein guter Ort für mich.
Verstoß gegen die Regeln: nur die immer noch unvermeidbaren im Bad.
9.30 Uhr: Im Biosupermarkt Basic. Schon durch das Schaufenster entdecke ich auf einem Regal im Laden das Wort „plastikfrei“. Sehr gut! Eine Käse-Frischetheke haben sie auch. Dort hole ich meinen Dauerbegleiter hervor, die Plastikbox für Aufschnitt. Der Verkäufer bleibt – anders als seine Kolleginnen in den Supermärkten an den Tagen zuvor – völlig gelassen. Er legt 100 Gramm Tilsiter (ohne Zwischeneinlagen) in die Box, die ich auf den Tresen gestellt habe, und klebt den Bon darauf. Perfekt! Das Wort „plastikfrei“ steht auf einer Art Zapfstation, aus der ich ungefähr ein Dutzend verschiedene Lebensmittel – Nüsse, Haferflocken, Spiralnudeln, Müsli, Couscous – entweder in eine Papiertüte, einen Jutebeutel, ein verschließbares Glas oder in einen mitgebrachten Behälter füllen kann.
Davon habe ich morgens gleich sechs eingesteckt, in einen lasse ich jetzt – indem ich an einem Plastikgriff (!) ziehe – zwei Hände voll Croutons mit Honig/Zwiebelgeschmack rieseln. Außen am Behälter steht das Mindesthaltbarkeitsdatum. An der Kasse stelle ich fest, dass ich den Behälter vorher nicht leer gewogen habe. Wo und wie ich das machen soll, wird nicht erklärt. Oder ich habe es übersehen. Wie auch immer: Ich habe eine identische Box dabei, deren Leergewicht sich ermitteln lässt.
11.30 Uhr: Nur 100 Meter weiter im Bioladen namens Bio-lose ist das Angebot an unverpackten Lebensmitteln noch größer: Um die 50 Sorten Nudeln, Getreide, Hülsenfrüchte, Müsli. Außerdem Spül- und Waschmittel, Duschgel und Shampoo. Mitgebrachte Behälter muss man auswiegen, die Waage spuckt einen Gewichtsaufkleber aus, dann kann man den Behälter füllen. Ich lasse Badreiniger in einen Keramikseifenspender mit Metallkopf laufen. Blöderweise zeigt sich, dass der Pumpmechanismus teils aus Plastik besteht. Und ich fülle Schoko Crunchy Müsli ab. Für 7,69 Euro das Kilo. Egal jetzt! Milch und Milchprodukte in plastikfreier Verpackung? Auch hier Fehlanzeige. So etwas lose zu verkaufen, wäre wegen der Mindesthaltbarkeitskennzeichnung ein Problem, erklärt mir der Verkäufer. Er weist zudem darauf hin, dass der Käse in der Frischetheke von Plastikfolie umhüllt sein müsse. Das war beim Tilsiter vorhin auch so.
Verstoß gegen die Regeln: Trotz allen Bemühens wohl mehrere. Langsam beschleichen mich Zweifel, ob ein konsequent plastikverpackungsfreies Leben tatsächlich möglich ist.
13.45 Uhr: Kleines Wortgeplänkel mit der Buchhändlerin bei Stories am Straßenbahnring beim Abholen des Ratgebers „Besser leben ohne Plastik“. „Geht’s so mit?“, fragt sie. Ich: „Klar. Sie hätten mir doch wohl keine Plastiktüte angeboten?“, „Nee, haben wir gar nicht.“ Als ich die EC-Karte zücke, revanchiert sie sich keck: „Ach, Sie zahlen mit Plastik?“ Ich zahle dann bar und erfahre noch, dass der Chef beim Großhandel gebeten hat, sämtliche Bücher ohne Plastikumhüllung anzuliefern. Ich bin nicht allein!
Verstoß gegen die Regeln: nein!
16.15 Uhr: Ich bin im Plastikfrei-Paradies! Der verpackungsfreie Laden Stückgut in der Rindermarkthalle. Lose Lebensmittel in Hülle und Fülle, Fachliteratur, Gläser und Flaschen mit Gummi- statt Plastikdichtung. Mich zieht es ans Körperpflegeregal. Sensiblere Naturen würden weinen vor Glück. Zahncreme in Glasflasche mit Metallschraubverschluss, ein Deostift in 100 Prozent Recyclingpapier (ich wähle den Duft Nordic Timber) und endlich: unverpacktes Toilettenpapier. Zweilagig, na ja. Mehr als 700 Blatt, gut. Preis pro Rolle: 2,20 Euro, Schock! Da muss ich durch. Weil Zahnpasta und Deo fünf- bis siebenmal teurer sind als üblich, verkünde ich offensiv: „Ich zahle mit Plastik!“ Die Verkäuferin tröstet: „Na ja, die Karte schmeißen Sie ja erst in ein paar Jahren weg.“ Sie bietet mir dann noch die Kundenkarte an. Wahrscheinlich gilt die Regel: Wer 2,20 Euro für eine Rolle Klopapier zahlt, muss schon sehr überzeugt sein und kommt wieder. An einer Milchzapfstation, heißt es, werde gearbeitet. Aber ob die plastikfrei wäre ...?
Verstoß gegen die Regeln: nein! Aber ich muss petzen. Das Mehl lagert in einem Behälter mit Plastikdeckel.
Lesen Sie morgen: Plastikfreie Rasur – geht das überhaupt?