Hamburg. Ein fulminanter Abschied der hochpolitischen Sängerin, die mit Witz, Anmut und Eindringlichkeit durch das Konzert singt.
Joan Baez steht da, die Gitarre um den Hals, vor ihr ein Mikrofon – und singt. Seit über 50 Jahren zeigt sie eindrucksvoll, dass es manchmal nicht mehr braucht als eine Stimme, eine Gitarre und eine Botschaft. Baez hat für Martin Luther King gesungen, in Woodstock und im Bombenhagel von Vietnam. Nun verzaubert sie ihr Publikum im Hamburger Mehr! Theater. Es ist womöglich ihr letztes Konzert in der Hansestadt. „Fare Thee Well“ heißt die Abschieds-Tournee von Baez, „Lebe wohl“.
Am Abend zeigt die 77-jährige Folksängerin, wie schön so ein Abschied klingen kann. Glasklar wie einst ist die Stimme nicht mehr, tiefere und auch raue Töne stehen Baez aber gut. Und so singt und erzählt Baez unversöhnlich, aber nicht verbittert, mit Witz, Anmut und Eindringlichkeit durch das zweistündige Konzert, das immer auch politischer Kommentar ist.
Ihr musikalischer Protest: Ernst und schön
Er sei „as beautiful as serious, as serious as beautiful“, sagt Baez etwa über den Song „Another World“ von der Band Antony and the Johnsons – besser lässt sich Baez‘ musikalischer Protest nicht zusammenfassen: so schön wie ernst, so ernst wie schön. Außer „Diamonds and Rust“, in dem Baez ihre Beziehung mit Bob Dylan künstlerisch verarbeitet, spielt die Folksängerin ausnahmslos Songs anderer Künstler, die sie nicht selten mit einer klaren Botschaft verbindet: „Deportee (Plane Wreck At Los Gatos)“ von Folklegende Woody Guthrie für alle Flüchtlinge und Migranten auf der Welt, Bob Dylans „The Times They Are A-Changin’“ für die US-Teenager, die derzeit massenweise im Trump-Land gegen Waffengewalt auf die Straße gehen oder Josh Ritters „Silver Blade“.
Die bewegenste Nummer der aktuellen Platte „ Whistle Down The Wind“ – vielleicht auch des Konzertes – ist das Stück „The President Sang Amazing Grace“. Eine Geschichte aus „der Zeit als wir noch einen Präsidenten hatten“, wie Baez am Abend sagte. 2015 war das, als Barack Obama bei einer Trauerfeier für neun in einer Kirche in Charleston getötete Afroamerikaner sprach – und mit einem Volkslied endete. Mit gebrochener Stimme, erst allein, dann begleitet von der Gemeinde. Verewigt in vielen Videoclips im Internet.
Eine Kämpferin gibt nicht auf
Nicht nur dort, sondern auch als gesungenes Zeugnis funktioniert der Titel. Ein Gänsehautmoment. Musik bei Baez funktioniert ja auch ganz ähnlich: Widerstand, Botschaft und Ausdruck einer Gemeinschaft, verbunden im Protest. Letztere ist in Hamburg dann auch spätestens beim Antikriegslied „Sag mir, wo die Blumen sind“ in der Zugabe zu spüren. Bis in die letzten Reihen stehen die Zuschauer und singen gemeinsam.
Ein fulminanter Abschied also, verknüpft mit der Botschaft, dass es ja doch immer weiter geht, gehen muss. „But the fighter still remains“ aus dem Lied „The Boxer“ von Simon & Garfunkel ist die letzte Zeile des Abends, eine Kämpferin gibt nicht auf. Unterstützt wird Baez dabei immer wieder von „ihrer kleinen Big-Band“: Sohn Gabriel Harris als Perkussionist, Dirk Paul, der charmant unaufgeregt wahlweise Bass, Mandoline, Banjo, Gitarre oder Klavier spielt, und die junge Folksängerin Grace Stumberg, die mit starker Stimme und der Gitarre um den Hals von Zeit zu Zeit neben Baez steht. So oder so, der Kampf geht weiter.